Adventskalender 2010: Mark Webber

Von "Scheißrennen", "Webber-Wochen" und Siegerehrungen mit der linken Hand: Die wechselhafte Saison des WM-Dritten in der Analyse

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2010 geht als eine der spannendsten in die Formel-1-Geschichte ein. Vier Fahrer kämpften beim letzten Rennen in Abu Dhabi noch um den Gewinn der Weltmeisterschaft; den Sieg sicherte sich letztendlich einer, der die Fahrerwertung zuvor noch nie angeführt hatte. Auf dem Weg nach Abu Dhabi kam es zu zahlreichen Sternstunden und Dramen. Grund genug für 'Motorsport-Total.com', das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Thema heute: Mark Webber.

Titel-Bild zur News: Mark Webber

Mark Webber lieferte eine starke Saison ab, am Ende wurde er aber nur Dritter

Obwohl er diesmal ohne Spätfolgen eines Beinbruchs in die Saison startete, begann der Australier eher bescheiden: Achter in Manama, Neunter nach einem laut 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer "Scheißrennen" vor eigenem Publikum in Melbourne, trotz der ersten Pole-Position wegen des verlorenen Starts nur Zweiter in Sepang und Achter im Regen von Schanghai. Webber lag vor der "Heimkehr" der Formel 1 nach Europa nur an achter (!) Stelle der Fahrerwertung - und das im anerkannt schnellsten Auto.

Schlechter Auftakt, dann "Webber-Wochen"

Selbst Sebastian Vettel, dem das Pech an den Fersen haftete, stand als Fünfter besser da. Doch der Frühsommer sollte das Etikett "Webber-Wochen" verliehen bekommen: Der Australier packte ab Barcelona seine ganze Klasse aus, fuhr beim Heimrennen von Ferrari-Superstar Fernando Alonso erstmals auf Pole-Position und gewann auch den Grand Prix von Spanien. In Monte Carlo doppelte er noch einmal mit Pole-Position und Sieg nach - und zwar auf höchst beeindruckende Art und Weise.

Mark Webber und Sebastian Vettel

In Istanbul kam es zur Kollision des Jahres: Doppelsieg für Red Bull futsch! Zoom

In Istanbul holte er sogar zum Hattrick aus, bis es zur folgenschweren Kollision mit Vettel kam, über die so ausführlich berichtet wurde, dass wir darauf an dieser Stelle gar nicht mehr eingehen. Tatsache ist: Die bis dahin recht harmonische Stimmung bei Red Bull erhielt erste Risse - und Webber brachte in der Öffentlichkeit immer öfter das Argument, Vettel werde teamintern bevorzugt. Immerhin nahm er aus Istanbul noch einen dritten Platz mit, wohingegen sein Stallgefährte frühzeitig aufgeben musste.

Es folgte das für Red Bull eher schwierige Rennen in Montréal, in dem Webber Fünfter wurde, und der Unfall des Jahres in Valencia: Der 29-Jährige schloss bei voller Fahrt auf den Lotus von Heikki Kovalainen auf, der über die Vorfahrt offenbar eine andere Meinung hatte als sein Hintermann. Webber fuhr auf den Lotus auf, hob ab wie eine Rakete, überschlug sich in der Luft - und überlebte diesen "Salto mortale" wie durch ein Wunder ohne einen Kratzer!

"Nicht schlecht für eine Nummer zwei!"

Just als sein Schwung in Sachen WM-Kampf gestoppt schien, schlug er in Silverstone mit einem wichtigen Sieg ("Nicht schlecht für eine Nummer zwei!") zurück. Webber gewann vom zweiten Platz aus den Start gegen Vettel, der wegen einer Berührung mit Lewis Hamilton einen Reifenschaden erlitt und weit zurückfiel. Das war möglicherweise ein Schlüsselerlebnis, denn gerade in dem Moment, als der Trend bei Red Bull stärker in Richtung Vettel zu zeigen drohte, gab Webber genau die richtige Antwort auf der Strecke.

Zumal ihm das Team vor dem Qualifying ein unerwartetes Hindernis in den Weg gelegt hatte: Von der neuesten Frontflügel-Spezifikation standen für das Wochenende nur zwei Exemplare zur Verfügung, aber Vettels Flügel löste sich im dritten Freien Training und ging dabei kaputt. Also entschieden Teamchef Christian Horner und Designer Adrian Newey, dass Vettel das verbliebene Exemplar bekommen sollte. Webber war stinksauer, ließ sich auch von der Argumentation nicht beeindrucken, dass nach WM-Stand entschieden wurde.

¿pbvin|512|3348|webber|0|1pb¿Seinen letzten Saisonsieg feierte er in Budapest, wo er gegen Vettel unter normalen Umständen keine Chance gehabt hätte. Doch Vettel wurde bestraft, weil er sich hinter dem Safety-Car zu weit zurückfallen hatte lassen, sodass Webber die vollen Punkte "erbte". Auch beim Ardennenklassiker in Spa-Francorchamps (Pole-Position und hinter Lewis Hamilton Zweiter im Rennen) war er der schnellere Red-Bull-Pilot, und in Monza verlief das Wochenende einigermaßen ausgeglichen. Der Punktevorsprung sprach aber für den australischen Routinier.

Doch dann kippte seine WM-Kampagne: In Singapur, wo er gegen Vettel noch nie Land gesehen hat (was dort nur an einer einzigen Kurve liegt), trat Webber eher bescheiden auf - Platz drei. Dann Zweiter in Suzuka, selbstverschuldeter Unfall in Yeongam, Zweiter in São Paulo und farbloser Achter beim WM-Showdown in Abu Dhabi. Vettel hingegen gewann drei der vier letzten Rennen und hätte wohl auch in Yeongam triumphiert, wenn ihn dort nicht der Renault-Motor in Führung liegend im Stich gelassen hätte.

Vettel schneller als Webber?

Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren: Das ist nicht mehr der gleiche Webber wie im Sommer. Aber woran lag das? Experte Surer versucht sich an einer Analyse: "Grundsätzlich glaube ich, dass Vettel schneller ist als er. Vettel verkrampfte aber Mitte der Saison, denn wenn du um die WM fährst, wird dir bewusst, dass nicht alles so locker geht." Das habe auch Webber zu spüren bekommen: "Die Last der WM-Führung hat ihn vielleicht ein bisschen gebremst."

Mark Webber

Ab Singapur konnte Mark Webber nicht mehr mit Sebastian Vettel mithalten Zoom

"Bei Webber war es so: Wenn alles gestimmt hat, konnte er gewinnen - der Red Bull war ja auch das beste Auto. Wenn aber irgendwas nicht so lief, dann hat er mehr verloren als Vettel im gleichen Auto. Das war immer wieder zu sehen, dass es zwischendurch ein Rennen gab, bei dem er nicht in Erscheinung getreten ist. Mir scheint, dass er einer ist, der es umsetzt, wenn alles für ihn läuft, der es aber nicht immer selbst zum Laufen bringen kann. Aus solchen Situationen kann er sich weniger gut herausarbeiten als Vettel", glaubt der ehemalige Formel-1-Pilot.

Was Surer zum Zeitpunkt seiner Analyse noch nicht wusste: Webber hatte sich vor den letzten vier Rennen in Australien die rechte Schulter gebrochen und war angeschlagen, erzählte dies aber niemandem außerhalb seines allerengsten Vertrautenkreises - nicht einmal seinem Team! Ob nun Zufall oder nicht, aber im Nachhinein betrachtet ist es durchaus auffällig, dass er just ab Beginn der Asientournee nicht mehr Vettels Speed gehen konnte.

Keine Suche nach Ausreden

Webber selbst schiebt seine Fraktur gar nicht erst als Ausrede für den bescheidenen Saisonabschluss vor: "Die Schulter hat mir keine Probleme bereitet. Es gab also keinen Grund, es irgendjemandem zu erzählen", argumentiert er. "Hätte ich damit im Auto Probleme gehabt, dann hätte ich es natürlich dem Team erzählt. Das war aber nicht der Fall. Ich habe keinen Grand Prix auslassen müssen. Aber wenn ich das Auto nicht sicher und am Limit hätte bewegen können, dann hätte ich das Team informiert."

Mark Webber

Ab Suzuka jubelte Mark Webber nur noch mit links - reiner Zufall? Zoom

Auffällig ist allerdings, dass er auf Podiumsfotos ab Suzuka die Trophäen jeweils mit der linken Hand in die Höhe streckt - vielleicht, weil es ihm mit der rechten zu große Schmerzen bereitet hätte? Teamchef Horner ist jedenfalls sauer darüber, dass er nicht eingeweiht wurde: "Die Fahrer sind vertraglich verpflichtet, sich fit zu halten, auf ihre Gesundheit zu achten und sich nicht in Gefahr zu begeben. Wir müssen vielleicht mal darüber nachdenken, ob Radfahren für Mark das Richtige ist."

Denn schon im November 2008 hatte sich Webber jenen ominösen Beinbruch, der seine Frühsaison 2009 beeinträchtigte, beim Mountainbiken in Tasmanien zugezogen. Diesmal passierte es in Australien: "Ich fuhr mit einem guten Freund", berichtet der Red-Bull-Pilot in seinem neuen Buch 'Up Front'. "Plötzlich stürzte er vor mir und ich konnte nicht mehr ausweichen. Ich zog mir dabei eine sogenannte Skiläufer-Fraktur meiner rechten Schulter zu."

Red-Bull-Auto als "rollende Schikane"

Mark Webber

Beim Saisonfinale trug Mark Webber seine Niederlage wie ein Sportsmann Zoom

Vielmehr ärgerte ihn aber zum Beispiel, dass die Taktik seines frühen Boxenstopps in Abu Dhabi ausgerechnet von Toro-Rosso-Pilot Jaime Alguersuari zunichte gemacht wurde: "Es hat mich im Nachhinein betrachtet nicht die Meisterschaft gekostet, aber es hätte die Meisterschaft kosten können. Wenn ich an Alonso nicht vorbeikomme, Rosberg und Petrov nicht da sind, dann wird Alonso Vierter, dann ist es passiert." Dass ein Pilot des Schwesterteams zur Gefahr wurde, bringt eine besondere Note mit sich: "Ehrlich gesagt war das lächerlich, aber genau das ist passiert..."

Webber macht aus diesen Dingen jedoch keine große Sache, hatte vielmehr die Größe, Vettel ehrlich zu gratulieren und den Partymarathon von Red Bull mitzumachen, bei dem er meistens nur im Schatten stand. Menschlich sammelte er 2010 - nicht nur damit - viele Sympathien bei den Beobachtern im Fahrerlager. "Ich finde", nickt Experte Surer zustimmend, "Webber ist ein guter Typ und ein guter Sportsmann. Er musste lange Zeit viel einstecken, hat sich aber nie unterkriegen lassen."

Saisonstatistik:

Fahrerwertung: 3. (242 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 4
Podestplätze: 10
Pole-Positions: 5
Schnellste Rennrunden: 3
Durchschnittlicher Startplatz: 2,8 (2.)
Bester Startplatz: 1.
Bestes Rennergebnis: 1.
Ausfallsrate: 10,5 Prozent (3.)

Qualifyingduelle:

Webber vs. Vettel: 7:12


Fotos: Highlights 2010: M. Webber


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