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Adventskalender 2010: Lotus

Am spätesten gestartet, am besten abgeschnitten: Lotus sicherte sich Platz zehn in der Konstrukteurs-WM und war damit das beste der drei neuen Teams

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2010 geht als eine der spannendsten in die Formel-1-Geschichte ein. Vier Fahrer kämpften beim letzten Rennen in Abu Dhabi noch um den Gewinn der Weltmeisterschaft; den Sieg sicherte sich letztendlich einer, der die Fahrerwertung zuvor noch nie angeführt hatte. Auf dem Weg nach Abu Dhabi kam es zu zahlreichen Sternstunden und Dramen. Grund genug für 'Motorsport-Total.com', das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Thema heute: Lotus.

Titel-Bild zur News: Heikki Kovalainen, Jarno Trulli

Lotus hat sich im ersten Jahr als professionelles Formel-1-Team etabliert

Bereits am 12. Juni 2009 akzeptierte der Automobil-Weltverband FIA die Formel-1-Nennungen von Campos (später HRT), Manor (später Virgin) und US F1. Doch weil US F1 von der Bildfläche verschwand und auch die Zukunft des Sauber-Teams nach dem Ausstieg von BMW an einem seidenen Faden hing, entschied man sich im Nachhinein, eine weitere Nennung zu akzeptieren. Erst am 15. September wurde dieser letzte Startplatz an Lotus vergeben.

Aus vier Mann mach 260

"Am ersten Tag waren wir zu viert", erinnert sich Technikchef Mike Gascoyne im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Der Generaldirektor, der Produktionsleiter, ich und meine Freundin Silvi, die jetzt Marketingleiterin ist. Silvi war Personalchefin, Marketing und PR in Personalunion. Wir drei setzten uns zusammen und vereinbarten: 'Ich designe das Auto, der Produktionsleiter produziert es und der Generaldirektor macht alles andere. Mehr haben wir nicht, also finden wir uns damit zurecht.' Die Geschichte ist wirklich wahr. Das war am 14. September 2009."

Bei dem neuen Projekt handelt es sich wohlgemerkt nicht um direkte Nachfolger des legendären Colin Chapman, sondern um ein Konsortium malaysischer Geschäftsleute rund um AirAsia-CEO Tony Fernandes. Auch ging das Team 2010 nicht mit der offiziellen Lizenz von David Hunts "Team Lotus" an den Start, sondern als Lizenznehmer der Lotus-Gruppe unter dem Namen "Lotus Racing". Die Lotus-Gruppe wiederum gehört zum malaysischen Staatskonzern Proton.

Lotus-Fabrik

In Hingham wurde binnen kürzester Zeit ein Formel-1-Team aufgebaut Zoom

Dennoch legten Fernandes und seine Partner von Anfang an großen Wert darauf, frühere Lotus-Traditionen aufrechtzuerhalten. So wurden zum Beispiel Colin Chapmans Witwe Hazel und deren Sohn Clive das eine oder andere Mal an die Rennstrecke eingeladen und mit der grün-gelben Lackierung bemühte man sich ebenfalls, eine Brücke zum "alten" Lotus-Team zu schlagen. Zudem engagierte Fernandes mit Gascoyne einen britischen Konstrukteur und die Fabrik wurde in Hingham angesiedelt.

Mit zwei Siegern in die Saison

Obwohl HRT und Virgin drei Monate mehr Zeit hatten, machte Lotus von Anfang an den professionellsten Eindruck. Das zeigte sich schon in der Fahrerwahl, denn Fernandes holte keine Paydriver an Bord, sondern verpflichtete mit Routinier Jarno Trulli (von Toyota) und Newcomer Heikki Kovalainen (McLaren) zwei Grand-Prix-Sieger. Die wurden bei den Wintertests wie die anderen neuen Teams von Zuverlässigkeitsproblemen mit Hydraulik und Getriebe geplagt, überstanden aber beim Saisonauftakt in Bahrain die volle Distanz.

"In Bahrain mit beiden Autos ins Ziel zu kommen, war vielleicht mein emotionaler Höhepunkt", reflektiert Fernandes im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Silverstone war auch sehr schön, denn dort hat alles angefangen - und auch dort hatten wir beide Autos im Ziel. Außerdem war Hazel Chapman da. Ich muss aber auch sagen, dass das Qualifying in Monza sehr gut war - da haben wir wirklich wie ein professionelles Team ausgesehen. Man hat mich im TV gesehen, wie ich auf und ab gesprungen bin. Das war ein großer Schritt in die richtige Richtung."

¿pbvin|512|2465||0|1pb¿Lotus war meistens das schnellste der drei neuen Teams - manchmal sehr klar, manchmal weniger klar vor Virgin und HRT. Letztendlich war es Kovalainens zwölfter Platz in Suzuka, der den zehnten Platz in der Konstrukteurs-WM absicherte. "Wenn du unter die ersten Zehn kommst, werden im nächsten Jahr deine Reisespesen bezahlt. Von dem her ist das wichtig", weiß 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. "Außerdem sind sie nun dabei, wenn der TV- und Preisgeldkuchen aufgeteilt wird. Da ist der zehnte Platz Gold wert."

Doch so unbestritten Lotus den zehnten WM-Platz verdient, so weit war das Team vom Schlusslicht der Etablierten, 2010 zumeist Toro Rosso, entfernt: In Bahrain fehlten 2,8 Sekunden auf das Mittelfeld, in Monte Carlo nur 0,9, beim Saisonfinale in Abu Dhabi wieder 1,7. Das zeigt einerseits, dass Lotus während der Saison gute Fortschritte gemacht hat, doch andererseits kann man an diesen Zahlen auch ablesen, dass der Fokus schon recht früh nur noch dem 2011er-Modell galt. Gesamtbilanz 2010: im Rahmen der Erwartungen positiv.

Abstand zu Toro Rosso und Co. noch groß

"Wenn ein Mike Gascoyne dahintersteckt und zwei erfahrene Piloten im Cockpit sitzen, dann muss man davon ausgehen, dass es funktionieren wird, auch wenn man später angefangen hat", analysiert Surer. "Mich wundert trotzdem, dass sie so weit weg waren, denn ich dachte, Gascoyne würde ein Auto aus dem Ärmel schütteln, das mit dem Mittelfeld mithalten kann. Man muss jetzt abwarten, wie gut das nächstjährige Auto wird, aber für mich war die Lücke zu groß."

In Hingham weiß man, dass Surer mit seiner Meinung nicht alleine dasteht. Dementsprechend steckt man sich dort ehrgeizige Ziele: "Wir hatten es sehr schwer, weil wir als letztes neues Team den Startplatz bekommen haben, aber ein neues Team bist du nur ein Jahr lang", so Gascoyne. "Nächstes Jahr sind wir kein neues Team mehr, sondern ein Formel-1-Rennstall wie jeder andere auch. Dem müssen wir gerecht werden. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass uns dieser Schritt gelingen wird."

Heikki Kovalainen

In Bahrain überstand Lotus wie durch ein Wunder die volle Renndistanz Zoom

Wahrscheinlich wird es mit der Fahrerpaarung Trulli/Kovalainen weitergehen, die sich 2010 bewährt hat. Trulli, ähnlich wie Mark Webber einer der alten "Superqualifyer" der Formel 1, entschied das Stallduell mit 11:8 für sich, im Rennen hatte aber oft Kovalainen das bessere Ende für sich. "Kovalainen", geht Surer der teaminternen Situation auf den Grund, "hat immer noch eine Zukunft vor sich, muss was zeigen, muss motiviert sein. Trulli hingegen fragt sich: 'Was mache ich hier eigentlich?'"

Trulli: Absturz von der Pole-Position

"Wenn einer letztes Jahr noch auf Pole-Position (Bahrain 2009; Anm. d. Red.) gestanden ist und dann plötzlich um Platz 18 kämpft, dann verstehe ich, dass er darauf keine Lust mehr hat. Dass da die Motivation ein bisschen verloren geht, ist ja logisch. Nach so vielen Jahren da hinten herumzugurken, das ist knallhart. Ich kann das verstehen", verteidigt unser Experte den Italiener, der diese Saison oftmals schon eine Stunde nach dem Qualifying lieber mit Freunden in der Lotus-Hospitality saß anstatt sich in mühsamen Briefings mit den Ingenieuren abzurackern.

Doch Trulli zu kritisieren, ist Kritik auf hohem Niveau: "Er ist ein professioneller Rennfahrer, der weiß, dass er pushen muss. Ich finde nicht, dass er anders ist als bei den anderen Teams. Und wenn ich das so sehen würde, würde ich es ihm sagen", nimmt Gascoyne seinen Wunschpiloten in Schutz und sagt über Kovalainen: "Erst Fisichella im ersten Jahr bei Renault, dann Hamilton - er hatte nicht die leichtesten Teamkollegen. Bei uns ist er viel entspannter, er fühlt sich wohl und weiß, dass er unterstützt wird. In diesem Umfeld blüht er richtig auf."

Jarno Trulli

Jarno Trulli wirkte 2010 nicht immer so motiviert wie in vergangenen Jahren Zoom

Wenn man bedenkt, dass die Lotus-Story erst im September 2009 begonnen hat und die ersten Schlagzeilen nicht auf der Rennstrecke, sondern im Gerichtssaal geschrieben wurden, dann sind Fernandes und Co. binnen weniger Monate weit gekommen. Ob sie ihre Story allerdings unter dem Titel Lotus fortsetzen dürfen, steht auf einem anderen Blatt Papier geschrieben, denn die Lotus-Gruppe hat dem Team die Lizenz für die Verwendung des Namens "Lotus Racing" entzogen.

Streit um die Lotus-Lizenz

Fernandes hatte ursprünglich vor, mit dem Erwerb der "Team-Lotus"-Lizenz von James Hunts Bruder David endgültig den Kreis zu Chapmans Erbe zu schließen, aber daraus entwickelte sich ein Rechtsstreit mit der Lotus-Gruppe, die neuerdings ihre eigenen Formel-1-Ambitionen verfolgt. Surer würde es jedenfalls "nicht verstehen", sollte Fernandes den Namen Lotus für die kommende Saison tatsächlich verlieren: "Dann hätte man es nie machen dürfen!"

"Dany Bahars Idee ist schon richtig: Wenn du die Möglichkeit hast, ein Team zu übernehmen, das funktioniert, ein Team, das unter Benetton- und Renault-Führung Weltmeisterschaften gewonnen hat, dann könnte es auch unter dem Namen Lotus wieder Weltmeister werden - es ist ja immer noch die gleiche Truppe aus Enstone. Dass das eine Verlockung ist, ist klar", findet der ehemalige Formel-1-Pilot. "Bahar kam erst im letzten Moment zu Lotus und konnte im Vorjahr wohl keine langfristigen Pläne mehr machen."

Colin Chapmans Kappe

In case of victory, break glass: Tony Fernandes' und seine Chapman-Kappe Zoom

"Nur: Jetzt, wo Tony Fernandes das ein Jahr gemacht hat - angesichts seiner Möglichkeiten noch dazu recht gut -, wäre es knallhart, die rauszuschmeißen und einem anderen Team den Namen Lotus zu geben. Ich finde, Fernandes verdient es, weitermachen zu dürfen", fordert Surer und rät der Lotus-Gruppe, lieber Fernandes und Co. mehr Geld zu geben statt wie geplant 50 Prozent des Renault-Teams zu übernehmen: "Lotus sollte dafür sorgen, dass sie das richtige Material kriegen und genügend Geld haben."


Saisonstatistik:

Team:

Konstrukteurswertung: 10. (0 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 27,9 Prozent (9.)
Durchschnittlicher Startplatz: 16,7 (10.)

Qualifyingduelle:

Trulli vs. Kovalainen: 11:8

Jarno Trulli (Startnummer 18):

Fahrerwertung: 21. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 18/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 18,8 (20.)
Bester Startplatz: 15.
Bestes Rennergebnis: 13.
Ausfallsrate: 38,9 Prozent (22.)

Heikki Kovalainen (Startnummer 19):

Fahrerwertung: 20. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 18/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 18,9 (21.)
Bester Startplatz: 13.
Bestes Rennergebnis: 12.
Ausfallsrate: 27,8 Prozent (19.)


Fotos: Highlights 2010: Lotus


Alle 24 Adventskalender-Türen:

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02. Virgin
03. HRT
04. Heute: Lotus
05. Toro Rosso
06. Sauber
07. Force India
08. Williams
09. Renault
10. Mercedes
11. Ferrari
12. McLaren
13. Red Bull
14. Christian Klien
15. Timo Glock
16. Nick Heidfeld
17. Sébastien Buemi
18. Nico Hülkenberg
19. Adrian Sutil
20. Michael Schumacher
21. Nico Rosberg
22. Mark Webber
23. Fernando Alonso
24. Sebastian Vettel