Adventskalender 2010: HRT
Wie Colin Kolles das marode Campos-Projekt eingedeutscht und doch noch an den Start gebracht hat - Experte Marc Surer: "Senna hat nicht das Talent des Onkels"
(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2010 geht als eine der spannendsten in die Formel-1-Geschichte ein. Vier Fahrer kämpften beim letzten Rennen in Abu Dhabi noch um den Gewinn der Weltmeisterschaft; den Sieg sicherte sich letztendlich einer, der die Fahrerwertung zuvor noch nie angeführt hatte. Auf dem Weg nach Abu Dhabi kam es zu zahlreichen Sternstunden und Dramen. Grund genug für 'Motorsport-Total.com', das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Thema heute: HRT.

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Bruno Senna konnte bei HRT nur selten auf sich aufmerksam machen
Vorneweg: Man kann über Colin Kolles denken, was man will, aber der aktuelle HRT-Teamchef hat es in den vergangenen Jahren noch jedes Mal geschafft, die chaotischsten Projekte am Leben zu erhalten. Dass das an und für sich bei der FIA als Campos eingeschriebene Team aus Spanien 2010 überhaupt am Start war, ist vor allem ihm zu verdanken.
Dabei ist sein Background keineswegs der eines typischen Old-School-Racers: Geboren im rumänischen Timisoara wanderte seine Familie nach Deutschland aus, wo Kolles in Ingolstadt gemeinsam mit seiner Mutter eine Zahnarztpraxis eröffnete. Der 42-Jährige, der in genau zehn Tagen Geburtstag feiert, folgte damit in den Fußstapfen seines Vaters, der ebenfalls Zahnarzt war. Es passt zum Hardliner-Image von Kolles im Fahrerlager, dass damals unter anderem auch der rumänische Diktator Nicolae Ceausescu zum Patientenkreis gehört haben soll.
Carabante übernimmt das Team von Campos
Wie dem auch sei: Im Januar erhärteten sich Gerüchte, wonach Adrian Campos seine Rechnungen nicht bezahlen konnte, sodass ihm Chassishersteller Dallara abgesprungen ist. Der spanische Geschäftsmann José Ramón Carabante übernahm den Rennstall von seinem Landsmann, setzte Kolles als Teamchef ein und begann am 19. Februar mit der "Mission impossible", HRT (kurz für "Hispania Racing Team") beim Saisonauftakt in Bahrain an den Start zu bringen - sehr zur Verblüffung von Marc Surer und vielen anderen Formel-1-Fachleuten.

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Karun Chandhok musste in Bahrain den ersten Trainingstag auslassen Zoom
"Es ist wirklich sehr überraschend, dass sie bei jedem Rennen angetreten sind und es irgendwie geschafft haben, über die Saison zu kommen", findet der 'Motorsport-Total.com'-Experte. "Einerseits hatten sie das Theater mit Dallara, dann mit dem fehlenden Geld und letztendlich auch mit dem fehlenden Standort. Man muss Colin ein Kompliment machen, dass er es geschafft hat, dass die Autos trotz alledem immer vorbereitet an die Strecke gekommen sind."
"Sie hatten ja nicht einmal ein richtiges Zuhause", spricht der Schweizer die von Campos geplante Fabrik in Murcia an, die nie existiert hat. "Dann ist Colin mit seinen Leuten eingesprungen. Die sind zumindest angetreten - mehr konnte man nicht erwarten." Kolles stellte binnen kürzester Zeit 80 Mann auf, die inzwischen von seiner Fabrik in Greding aus operieren. Interimistisch arbeiteten Teile der Crew auch bei Dallara in Parma; zudem wurde ein Netzwerk mit Dienstleistern wie etwa Holzer in Bobingen oder Toyota in Köln errichtet.
"Deutscher" als Mercedes
HRT ist damit viel "deutscher" als etwa das angebliche Silberpfeil-Nationalteam Mercedes, auch wenn Carabante natürlich Wert darauf legt, mit spanischer Lizenz anzutreten. Fakt ist: Bei HRT wird Deutsch gesprochen - nicht nur vom Teamchef. Der kämpfte dieses Jahr gegen Gläubiger, sah sich von Rennen zu Rennen Gerüchten ausgesetzt, seine Crew werde schon beim nächsten Mal nicht mehr dabei sein. Man kann von Kolles halten, was man will, aber eines ist klar: Seinen Auftrag mit HRT hat er 2010 erfüllt.
¿pbvin|512|3331||0|1pb¿"Er ist einer, der gelernt hat, mit wenig Geld und schwierigen Leuten umzugehen. Das hat er in der Vergangenheit schon zeigen müssen und jetzt wieder", applaudiert Surer dem einzigen deutschen Teamchef in der Königsklasse. "Da gab es Leute ohne Geld und mit falschen Vorstellungen, aber er hat das immer unter einen Hut gebracht - meisterlich, wie er das gelöst hat. Aber vielleicht muss man eben so gestrickt sein wie Colin, der ja nicht nur Freunde hat, aber er hat diese Fähigkeit, aus nichts was zu machen."
Und zwar genauer gesagt den elften Platz in der Konstrukteurs-WM, dank der besseren Einzelplatzierungen sogar vor Virgin und knapp hinter Lotus. Den für die Beteiligungen an Bernie Ecclestones Preisgeldtopf so wichtigen zehnten Rang erreichte die spanisch-deutsche Truppe zwar nicht, aber dafür hielt sie sich mit Überweisungen von zahlungswilligen Piloten über Wasser - Bruno Senna, Karun Chandhok, Sakon Yamamoto und sogar Christian Klien mussten allesamt Sponsoren mitbringen, um zu Renneinsätzen zu kommen.
Senna kein künftiger Weltmeister?
Deren sportliche Leistungen bis ins kleinste Detail zu analysieren, ist angesichts der materiellen Unterlegenheit von HRT müßig. Manchmal konnten Senna und Co. einigermaßen mit Virgin mithalten, manchmal spielten sie auch nur eine Statistenrolle. Pleiten wie etwa Kliens Ausrollen noch vor der Aufwärmrunde in Brasilien gehörten zur Tagesordnung, waren aber angesichts der chaotischen Vorbereitungszeit (sofern vorhanden) unvermeidbar. So konnten die Fahrer dann auch nur selten positiv auf sich aufmerksam machen.

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Mit Bruno Senna kehrte der berühmte gelbe Helm in die Formel 1 zurück Zoom
"Senna", analysiert Surer, "hat zwar den Namen seines Onkels, aber nicht das Talent. Er ist ein guter Fahrer, aber er wird nie eine Weltmeisterschaft gewinnen, egal in welchem Auto. Chandhok war erstaunlicherweise auf dem gleichen Level. Offensichtlich hat dann sein Sponsor nicht mehr bezahlt und damit war er draußen. Dass dann Yamamoto zum Einsatz kam, war klar, denn Colin brauchte Cash. Wenn einer Geld überwiesen hat, konnte er wieder Rechnungen bezahlen, also musste er Bezahlfahrer nehmen, um das Team am Leben zu halten."
Am meisten hatte man sich vor Saisonbeginn sicher von GP2-Vizemeister Senna erwartet, dessen Performances dann speziell im Vergleich zu Klien am Saisonende eher enttäuschend waren. Der Neffe von Ayrton Senna begann spät mit dem Motorsport, aber das wird bald nicht mehr als Ausrede gelten: "Natürlich war sein Aufbau nicht wie bei anderen großen Talenten, aber schlussendlich hat man nicht oft die Möglichkeit, in der Formel 1 zu üben. Das Jahr hat er jetzt hinter sich, aber mir fehlt ein bisschen die Steigerung. Ich glaube nicht an eine große Zukunft", meint Surer.
Ex-Newey-Partner als Berater
Einer der wichtigsten HRT-Mitarbeiter hinter den Kulissen war der ehemalige Partner von Adrian Newey bei Williams und Red Bull, Geoff Willis. Der arbeitslose Konstrukteur wurde im Winter von Kolles angeheuert, um das Dallara-Chassis auf Vordermann zu bringen - ein Himmelfahrtskommando, wie sich später herausstellte. Stattdessen konzentrierte sich Willis darauf, den Grundstein für eine erfolgreichere Zukunft zu legen. Vom Dallara-Chassis war er so enttäuscht, dass er im April selbst um ein Interview mit 'Motorsport-Total.com' bat, um seinem Frust freien Lauf lassen zu können.

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Das Dallara-Chassis war zweifellos das schlechteste der Saison 2010 Zoom
"Die Technologie entspricht bei weitem nicht modernen Formel-1-Standards", so Willis damals. "Das liegt am Zeitmangel, an der Erfahrung, am Geld, aber selbst in Anbetracht dieser Faktoren war ich sehr enttäuscht." Dallara habe "viele Tricks übersehen, die für alle anderen heutzutage selbstverständlich sind. Und die Arbeit mit diesem Auto ist nicht einfach. Das hat mich überrascht, denn ich hätte gedacht, dass ein erfahrener Rennwagenbauer wie Dallara gerade das sehr gut hinbekommt. Das ist nicht der Fall. Es ist eine Qual, wenn man während einer Session das Setup umbauen oder andere Wartungsarbeiten vornehmen möchte."
Auch Kolles selbst macht gar keinen Hehl daraus, dass es keine einfache Saison war: "Es ist nicht einfach, aber wir sind noch da und werden bis zum Schluss da sein. Wir haben einen Plan für die Zukunft. Es gibt natürlich Verzögerungen und Probleme, jeden Tag, aber da muss man durch. Ich bin das gewöhnt", sagt der "Feuerwehrmann" der Formel 1 im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. Sein größter Erfolg des Jahres 2010 wäre, auch 2011 noch dabei zu sein...
Saisonstatistik:
Team:
Konstrukteurswertung: 11. (0 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 31,0 Prozent (10.)
Durchschnittlicher Startplatz: 20,5 (12.)
Qualifyingduelle:
Chandhok vs. Senna: 3:6
Chandhok vs. Yamamoto: 1:0
Senna vs. Yamamoto: 5:1
Klien vs. Senna: 2:1
Karun Chandhok (Startnummer 20):
Fahrerwertung: 22. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 10/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 23,3 (27.)
Bester Startplatz: 22.
Bestes Rennergebnis: 14.
Ausfallsrate: 20,0 Prozent (13.)
Sakon Yamamoto (Startnummer 20):
Fahrerwertung: 26. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 7/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 22,7 (25.)
Bester Startplatz: 19.
Bestes Rennergebnis: 15.
Ausfallsrate: 12,5 Prozent (9.)
Christian Klien (Startnummer 20):
Fahrerwertung: 27. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 3/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 23,0 (26.)
Bester Startplatz: 22.
Bestes Rennergebnis: 20.
Ausfallsrate: 33,3 Prozent (21.)
Bruno Senna (Startnummer 21):
Fahrerwertung: 23. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 18/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 22,2 (24.)
Bester Startplatz: 18.
Bestes Rennergebnis: 14.
Ausfallsrate: 50,0 Prozent (27.)
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06. Sauber
07. Force India
08. Williams
09. Renault
10. Mercedes
11. Ferrari
12. McLaren
13. Red Bull
14. Christian Klien
15. Timo Glock
16. Nick Heidfeld
17. Sébastien Buemi
18. Nico Hülkenberg
19. Adrian Sutil
20. Michael Schumacher
21. Nico Rosberg
22. Mark Webber
23. Fernando Alonso
24. Sebastian Vettel

