Formel-1-Countdown 2010: Lotus

Auf den Spuren von Colin Chapman: Was das neue mit dem alten Lotus-Team gemein hat und was man von Tony Fernandes' Truppe erwarten darf

(Motorsport-Total.com) - Am Sonntag beginnt in Manama (Bahrain) die neue Formel-1-Saison - und die Königsklasse birgt dieses Jahr so viel Spannung wie schon lange nicht mehr: Vier Weltmeister, sensationelle Comebacks und klingende Namen lassen jedes Racingherz höher schlagen. 'Motorsport-Total.com' nimmt vor dem Auftaktrennen wie jedes Jahr alle Teams genau unter die Lupe. Heute: Lotus.

Titel-Bild zur News: Lotus-Cosworth T127

British-Racing-Green: Auch anno 2010 setzt das Lotus-Team auf Tradition

Mit dem klassischen Lotus-Team um das 1982 verstorbene Ingenieursgenie Colin Chapman hat das neue Projekt nur noch den Namen gemein, doch die frühere Tradition soll respektiert werden: "Das ist uns sehr wichtig", räumt Teamchef Tony Fernandes ein. "Wir können als Lotus nicht wie die anderen neuen Teams in die Formel 1 kommen und hinterherfahren. Der Name verpflichtet. Dem wollen wir gerecht werden und daher mindestens bestes der neuen Teams sein."#w1#

Comeback nach 15 Jahren Pause

Das "alte" Lotus-Team hat seinen bisher letzten Grand Prix 1994 in Adelaide bestritten - Alessandro Zanardi und Mika Salo produzierten damals einen Doppelausfall. Aber in den letzten Jahren seines Daseins war der Rennstall ohnehin nur noch ein Schatten seiner selbst. Die größten Erfolge gelangen in den 1960er- und 1970er-Jahren, als Legenden wie Graham Hill, Jochen Rindt, Emerson Fittipaldi und Mario Andretti für Chapman Weltmeister wurden.

Colin Chapman

Colin Chapman 1962: Sein Team ist Nummer vier der ewigen Siegerliste Zoom

Die letzten fünf Siege des Teams feierte zwischen 1985 und 1987 Ayrton Senna, zuletzt im gelben Camel-Design und mit Honda-Power. Doch wer heute an Lotus denkt, der denkt nicht an die 1980er- und 1990er-Jahre, sondern an Chapmans geniale Ideen wie den Ground-Effect, das nie zugelassene Doppelchassis oder die aktive Radaufhängung, die sich der erfinderische Konstrukteur in ihren Grundzügen kurz vor seinem Tod ausgedacht hatte.

Lotus hat mit Cosworth einen britischen V8-Motor gekauft und den T127 ganz klassisch in British-Racing-Green lackiert, sich sogar wie früher in der Grafschaft Norfolk niedergelassen. Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein komplett neues Team handelt - auch wenn der nächste Sieg als 75. Triumph von Lotus in der Formel 1 gelten würde und nicht als erster. Die Lizenz des Rennstalls ist übrigens keine britische, sondern eine malaysische.

Klassischer Name nur eine Mogelpackung?

"Es ist ein gekaufter Name", urteilt 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer. "Zum Glück ist Mike Gascoyne ein erfahrener Mann und sie haben auch zwei erfahrene Piloten. Das bringt schon mal Ruhe in die ganze Geschichte. Man muss ihnen auch lassen, dass sie in kurzer Zeit ein Auto auf die Beine gestellt haben. Sie hatten wenig Vorbereitungszeit - noch weniger als die anderen neuen Teams. Von dem her muss man ihnen eigentlich ein Lob aussprechen."

Ayrton Senna

Unvergessen: Ayrton Senna feierte 1987 den bisher letzten von 74 Lotus-Siegen Zoom

Denn während HRT (damals noch als Campos) und Virgin bereits am 12. Juni von der FIA für die Weltmeisterschaft 2010 angenommen wurden, musste Lotus bis zum 15. September warten. Technikchef Gascoyne installierte in der Folge ein Designbüro in Köln, in dem der T127 entwickelt wurde, und begann gleichzeitig mit dem Aufbau der Fabrik im britischen Hingham in der etwas trostlosen, aber traditionsreichen Grafschaft Norfolk.

"Ich bin fünf Meilen von der Fabrik entfernt aufgewachsen und in die Schule gegangen", schwärmt Gascoyne, der sich eigenen Angaben nach "wieder wie ein Schuljunge fühlt", weil er bei kleinen Teams schon immer erfolgreicher gewesen sei als bei großen Werksteams wie zuletzt Toyota, wo er den Vorschusslorbeeren nie gerecht werden konnte. Aber Surer kontert: "Wieso hat es dann bei Force India nicht funktioniert?"

Kritik an Konstrukteur Gascoyne

"Gascoyne hat seine beste Zeit wohl hinter sich", findet der ehemalige Formel-1-Pilot und kritisiert auch das Gesamtkonzept des Teams: "Die Zusammensetzung mit dem britischen Lotus-Ast und dem malaysischen Ast des Teams könnte schwierig werden. Ich glaube, da wäre es besser, sich an einem Standort darauf zu konzentrieren, das Team und das Auto weiterzuentwickeln. Ich erwarte nicht allzu viel von Lotus."

¿pbvin|512|2465|lotus|0|1pb¿Das Lotus-Team hat mit dem Sportwagenhersteller Lotus nur insofern zu tun, als beide Unternehmen mit dem malaysischen Automobilhersteller Proton in Verbindung stehen. Auch die malaysische Regierung ist involviert, ebenso wie Teamchef Fernandes, Geschäftsführer von Williams-Sponsor AirAsia, aus Malaysia kommt. Der ursprünglich vorgesehene Name war dementsprechend auch "1Malaysia Lotus F1 Team".

Lotus bestritt im Februar immerhin acht Testtage und legte an diesen 2.852 Kilometer zurück. Sowohl von der Distanz als auch von den Rundenzeiten her war man damit dem direkten Konkurrenten Virgin klar überlegen. An den durchschnittlichen Rückständen hochgerechnet belegt Lotus derzeit mit einem Defizit von fünfeinhalb Sekunden pro Runde den zehnten Platz in der Teamhierarchie - über zwei Sekunden vor Virgin (11.), aber auch über drei Sekunden hinter Renault (9.).

Formel-1-Teams sind keine Nasenbohrer

Insofern ist davon auszugehen, dass die neuen Teams das Schlusslicht bilden werden: "Alles andere würde mich überraschen", sagt Experte Surer. "Das finde ich gut, denn das zeigt, dass das keine Nasenbohrer sind. Wenn im Training alle Autos innerhalb von neun Zehntelsekunden lagen, konnte man das Gefühl haben, dass jeder Formel 1 machen kann. Wenn man aber jetzt die Zeiten anschaut, dann erkennt man, dass es doch nicht so einfach ist, ein konkurrenzfähiges Formel-1-Auto zu bauen."

Heikki Kovalainen

Nach Heikki Kovalainens Testunfall reichten die Ersatzteile noch nicht aus Zoom

"Das Hydrauliksystem", räumt Heikki Kovalainen ein, "ist der Schwachpunkt des Autos. Damit hatten wir einige Probleme. Immer wieder treten zwar neue Schwierigkeiten auf, wenn wir uns dieser Sache widmen, aber die Probleme werden immer kleiner. Das bereitet mir also keine Sorgen." Genau wie bei Virgin scheint die Feinabstimmung zwischen Chassis, Cosworth-Motor und vor allem dem Xtrac-Getriebe noch nicht zu passen.

"Du hast Lieferanten und musst dich darauf verlassen", erläutert Surer. "Der sagt dann vielleicht: 'So wie ihr das montiert habt, kann das nicht funktionieren.' Gerade bei der Hydraulik ist man vielleicht wo zu nahe an einer Leitung dran oder es ist wo die Temperatur zu hoch. Das sind Anfangsschwierigkeiten, die auftreten können. Dass das von Xtrac her wunderbar funktioniert, glaube ich schon, aber in der Praxis kommen andere Probleme dazu. Für diese Geschichten braucht man Erfahrung."

Nur kein Risiko eingehen

In Sachen Aerodynamik ist der T127 noch auf der konventionellen Seite, allerdings ganz bewusst, um keine unnötigen Zuverlässigkeitsrisiken einzugehen. Erst beim Europaauftakt in Spanien sollen neue Teile in diesem Bereich einen großen Fortschritt bringen. Kovalainen ist daher realistisch: "Womöglich fehlt dem Lotus auf aerodynamischer Seite mehr als dem Minardi, den ich 2003 getestet habe, wenn man diese Fahrzeuge mit den Topautos vergleicht."

Mike Gascoyne und Tony Fernandes

Die neuen Lotus-Teamchefs: Mike Gascoyne und Tony Fernandes Zoom

"Ja, wir sind ein bisschen langsamer als die Topteams", sucht Teamchef Fernandes gar nicht erst nach Ausflüchten, "aber mit Leidenschaft, harter Arbeit und einer klaren Vision werden wir hinkommen. Ich möchte jedes Rennen ins Ziel kommen. Wenn wir einige der neuen Teams schlagen könnten, wäre das ein Anfang. Wenn wir am Jahresende auch einige der etablierten Teams ärgern können, umso besser!"

"Es wäre nett, einen Punkt zu holen, aber das wird nicht einfach. Wir müssen realistisch sein", lehnt sich auch Jarno Trulli nicht weit aus dem Fenster. "Wir stießen erst spät zum Starterfeld und der Wagen wurde spät fertig. Wir können also nicht behaupten, dass wir bereit sind. Immerhin sind wir dabei und werden professionell auftreten. Wir liegen vielleicht vier Sekunden zurück, aber immerhin fahren wir schon einmal. Sobald wir wieder zurück in Europa sind, können wir sicherlich Fortschritte machen."

Good Vibrations

Das wird auch dringend notwendig sein, denn bei den Testfahrten zeigte sich das volle Ausmaß des Rückstandes in allen Bereichen, als Lotus nach einem Unfall von Kovalainen mangels ausreichender Ersatzteile vorzeitig den Rollbalken runterlassen musste. Der positiven Stimmung der 260 Mitarbeiter - damit bewegt sich Lotus auf Sauber-Niveau - tat das freilich keinen Abbruch, weil man zu Beginn ohnehin nichts anderes erwartet hatte.

Lotus-Fabrik in Hingham

Die Lotus-Fabrik in Hingham liegt wie auch die alte Fabrik in Norfolk Zoom

Generell ist die Atmosphäre ein Faktor, auf den Teamchef Fernandes besonders stolz ist: "Heikki beschwert sich immer, dass er keinen Parkplatz mehr findet, wenn er nicht schon um 8:30 Uhr da ist! Man bemerke die Demokratie im Team - das würde es bei anderen Teams nicht geben. Formel-1-Fahrer haben normalerweise ihren eigenen Parkplatz, aber für uns sind alle gleich. Wir mögen das Feeling, die Vibrations stimmen, das Umfeld passt."

Doch Ex-Grand-Prix-Pilot Alexander Wurz liegt wohl zumindest für die ersten Saisonrennen richtig, wenn er sagt: "Die Frage ist nicht ob, sondern wie oft die neuen Teams überrundet werden." Den neuen Lotus-Bossen geht es darum, Chapmans Erbe nicht zu verunglimpfen. Doch ob es dem 1982 verstorbenen "Mister Lotus" gefallen würde, wenn "seine" Autos in der Formel 1 überrundet werden, sei dahingestellt...


Fotos: Lotus, Testfahrten in Barcelona


Saisonstatistik 2009:

Team:

Konstrukteurswertung: -
Siege: -
Pole-Positions: -
Schnellste Rennrunden: -
Podestplätze: -
Ausfallsrate: -
Durchschnittlicher Startplatz: -
Testkilometer 2010: 2.852 (10.)
Testbestzeiten 2010: 0 (8.)

Qualifyingduelle:

Trulli vs. Glock: 12:3
Trulli vs. Kobayashi: 2:0
Kovalainen vs. Hamilton: 5:12

Jarno Trulli (Startnummer 18):

Fahrerwertung: 8. (32,5 Punkte)
Gefahrene Rennen: 17/17
Siege: 0
Podestplätze: 3
Pole-Positions: 1
Schnellste Rennrunden: 1
Durchschnittlicher Startplatz: 8,5 (7.)
Bester Startplatz: 1.
Bestes Rennergebnis: 2.
Ausfallsrate: 23,5 Prozent (18.)
Testkilometer 2010: 1.425 (19.)
Testbestzeiten 2010: 0 (12.)

Heikki Kovalainen (Startnummer 19):

Fahrerwertung: 12. (22 Punkte)
Gefahrene Rennen: 17/17
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 11,0 (12.)
Bester Startplatz: 2.
Bestes Rennergebnis: 4.
Ausfallsrate: 29,4 Prozent (22.)
Testkilometer 2010: 737 (22.)
Testbestzeiten 2010: 0 (12.)