Adventskalender 2010: Fernando Alonso

Obwohl er nicht Weltmeister wurde, erlebte Fernando Alonso bei Ferrari eine Traumsaison - Weg zur Nummer eins ohne Rücksicht auf Felipe Massa

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2010 geht als eine der spannendsten in die Formel-1-Geschichte ein. Vier Fahrer kämpften beim letzten Rennen in Abu Dhabi noch um den Gewinn der Weltmeisterschaft; den Sieg sicherte sich letztendlich einer, der die Fahrerwertung zuvor noch nie angeführt hatte. Auf dem Weg nach Abu Dhabi kam es zu zahlreichen Sternstunden und Dramen. Grund genug für 'Motorsport-Total.com', das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Thema heute: Fernando Alonso.

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso

Fernando Alonso fühlt sich bei Ferrari wohler als bei jedem anderen Team

Für den zweifachen Weltmeister ist alleine schon mit dem Wechsel zu Ferrari ein Traum in Erfüllung gegangen: "Ich wache jeden Morgen mit einem Lächeln im Gesicht auf", strahlt er. "Als Ferrari-Fahrer habe ich endlich alles vorgefunden, was ich mir wünsche: Entschlossenheit, Professionalität, ein freundliches und glückliches Team. Das Team gibt nie auf und hat eine Philosophie, die ich zum ersten Mal in meiner Karriere kennenlernen durfte. Ich muss mich jeden Morgen kneifen, um zu realisieren, dass ich Teil davon bin."

Alonso und Ferrari gehören zusammen

"Ferrari ist kein normales Team", fährt er fort. "Ferrari ist mehr, Ferrari ist eine Philosophie, eine Lebenseinstellung - und für die italienischen Fans eine Religion. Wie groß Ferrari ist, hat mich überrascht. Wenn du zu Ferrari kommst, rechnest du damit, dass dich eine neue Welt erwartet, aber es war sogar viel mehr als das." Und das aus dem Mund eines millionenschweren Superstars, der mit Renault zweimal die Weltmeisterschaft gewonnen hat und auch schon für McLaren gefahren ist.

Fernando Alonso

Endlich Ferrari, dabei durfte er anfangs noch keine Teamkleidung tragen... Zoom

"Klar", gibt Alonso weiter zu Protokoll, "Stefano Domenicali und Präsident di Montezemolo haben mir einige Aspekte der Ferrari-Geschichte erklärt und mir wichtige Ferrari-Werte beigebracht, aber ich habe viele Dinge in Maranello erst nach und nach entdeckt: Die Teststrecke in Fiorano, das Haus von Enzo Ferrari - das alles habe ich in den ersten Monaten kennengelernt. Und wenn du diese Dinge einmal kennst, dann bist du noch viel mehr beeindruckt."

Der temperamentvolle Spanier und das "Cavallino Rampante" hatten ihr erstes "Date" in Form eines Vorvertrags schon vor einigen Jahren, die "Hochzeitsnacht" war aber erst für 2011 geplant. Doch nach einer ernüchternden Saison fühlte sich Kimi Räikkönen bemüßigt, mit ein paar Milliönchen Schmerzensgeld in die Rallye-WM zu wechseln - tatkräftig unterstützt von Alonso-Sponsor Santander. Letztendlich musste Räikkönen freiwillig gehen, doch der Abschied aus Maranello wurde ihm sehr leicht gemacht...

Lovestory vom ersten Tag an

Umgekehrt war Alonso & Ferrari von Anfang an eine Liebesgeschichte: "Fernando hat in zwei Tagen mehr von der Fabrik in Maranello gesehen als so mancher vor ihm in zwei Jahren", zeigte sich ein Ingenieur der Scuderia nach Alonsos erstem Besuch in der Gestione Sportiva im November 2009 beeindruckt. Denn schnell war klar: Das Latino-Temperament des zweifachen Weltmeisters ist zwar nicht immer leicht zu bändigen, harmoniert aber besser mit der italienischen Mentalität als Räikkönens stillschweigendes "Iceman"-Auftreten.

Immerhin eine Parallele zwischen Räikkönen und Alonso gibt es: Beide gewannen gleich ihr erstes Rennen für Ferrari. Die Tifosi-Bibel 'Gazzetta dello Sport' titelte am Montag nach dem Saisonauftakt in Manama: "Ferrari magisch - Alonso triumphiert!" Doch was die italienischen Medien übersahen: Ferrari startete mit dem F10 zwar gut vorbereitet ins neue Formel-1-Jahr, doch wenn nicht bei Sebastian Vettel eine Zündkerze den Geist aufgegeben hätte, wäre es mit dem Doppelsieg in der Wüste von Bahrain nichts geworden.

¿pbvin|512|2866|alonso|0|1pb¿Beim zweiten Rennen fiel Alonso im Gerangel der ersten Kurve an die letzte Stelle zurück, doch er rettete noch einen vierten Platz und damit die WM-Führung nach Sepang, wo er sie als 13. an seinen Teamkollegen Felipe Massa abgeben musste. Bis dahin waren die beiden Ferrari-Piloten auf Augenhöhe, aber spätestens in Schanghai wendete sich das Blatt: Alonso verschenkte zwar ein mögliches Podium durch einen Frühstart, klärte aber mit einer umstrittenen Szene während des Rennens die internen Fronten.

Bei einsetzendem Regen stürmte das Feld fast geschlossen an die Box, um die Reifen wechseln zu lassen. Massa lag zu jenem Zeitpunkt vor Alonso - aber in der Linkskurve der Boxeneinfahrt drängelte sich der Spanier rabiat an seinem eigenen Teamkollegen vorbei! "Ich sah ihn auf einmal innen neben mir, da wollte ich natürlich keine Karambolage riskieren", grummelte Massa später, während Alonso nichts Ungewöhnliches feststellen konnte: "Alles ganz normal. Würden wir in zwei unterschiedlichen Autos sitzen, wäre das überhaupt kein Problem gewesen."

Team von Anfang an auf Alonsos Seite

Entscheidend aber die Reaktion von Teamchef Domenicali, der Massas interne Klagerufe relativierte und Alonso nicht zusammenstauchte: "Felipe hat sich sehr, sehr gut verhalten", vertröstete der Italiener seine zu dem Zeitpunkt schon angehende Nummer zwei und fügte an: "Fernando ist eben ein Racer." Und zwar einer, der sich nur als Nummer eins im Team wirklich wohl fühlt - vielleicht mit ein Grund, weshalb McLaren neben Lewis Hamilton 2007 nicht für ihn funktioniert hat.

Felipe Massa und Fernando Alonso

Die Boxeneinfahrt in Schanghai stellte die Weichen für den Rest der Saison Zoom

Die Situation in der Boxeneinfahrt in Schanghai sei "psychologisch eine ganz klare Ansage an Massa" gewesen, findet 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer: "'Lieber Felipe, du hast hinter mir anzustehen!' Das war eine entscheidende Situation, denn wenn beide gleichzeitig an die Box kommen, wird natürlich der Vordere zuerst abgefertigt. Damit hat er gezeigt: 'Hallo, hier komme ich!'" Ergebnis: Alonso beendete das Rennen als Vierter, Massa wurde nur Neunter. Eine Trendwende.

"Er ist so ein Typ, so ein Leader - das war er auch in seinen vorherigen Teams immer. Für ihn ist es das Normalste auf der Welt, dass alle für ihn arbeiten und dass alles für ihn läuft", sagt Surer über Alonso. "Ich erinnere mich an seine Funksprüche zu Renault-Zeiten: 'Ich muss gegen meinen eigenen Teamkollegen kämpfen, was soll das?' Er geht davon aus, dass alles nach seiner Pfeife tanzt, weil er sich für den Besten hält. Wenn etwas gegen ihn läuft, versteht er die Welt nicht mehr. Da hat er eine ganz einfache Denkweise."

Weltklasse-Galavorstellung in Sepang

Die er aber auch mit Leistung rechtfertigt, denn wie er in Sepang trotz massiver Schaltprobleme Jenson Button im McLaren attackierte und nur durch einen Motorschaden gebremst werden konnte, das war nach Meinung aller Experten Extraklasse. Stark dann auch Platz zwei hinter Mark Webber beim Heimrennen in Barcelona, enttäuschend hingegen Rang sechs in Monte Carlo: Den hatte sich Alonso nämlich wegen eines Unfalls selbst zuzuschreiben.

Unfallauto von Fernando Alonso

In Monte Carlo zerlegte Fernando Alonso seinen Ferrari F10 für das Qualifying Zoom

Im dritten Freien Training setzte er seinen Ferrari bei Massenet in die Leitplanken und zermalmte dabei die Technik des F10 dermaßen, dass die Mechaniker mit der Reparatur nicht rechtzeitig vor dem Qualifying fertig wurden. Alonso setzte auf eine Harakiri-Strategie, kam gleich zu Rennbeginn zum Pflichtboxenstopp, lieferte dann eine mitunter recht sehenswerte Aufholjagd und sammelte als Sechster immerhin noch acht WM-Punkte. In der Fahrerwertung lag er mit nur drei Zählern Rückstand an dritter Position.

Platz acht in Istanbul sollte weniger schmerzen, weil sich die Red Bulls gegenseitig ins Auto fuhren, Platz drei in Montréal tat allerdings nach verlorenem Zweikampf mit Lewis Hamilton in der Seele weh. Nach Platz acht in Valencia - ein unglückliches Rennen, weil Hamilton regelwidrig das Safety-Car überholte, aber trotz Strafe besser dran war als der sich korrekt verhaltende Alonso - und Platz 14 nach Durchfahrstrafe in Silverstone schien das Thema WM-Titel schon gegessen. Aber der Ferrari-Neuzugang gab nicht auf: "Solche Rennen spornen mich an. Es ist noch nicht vorbei!"

Massas Todesspruch: "This is ridiculous!"

Es folgten die "Alonso-Wochen" in der Formel 1: Zuerst der umstrittene Stallorder-Sieg von Hockenheim, dann Platz zwei in Budapest, ein selbstverschuldeter Ausfall in Spa-Francorchamps, zwei Siege in Monza und Singapur, ein dritter Platz in Suzuka, ein "geerbter" Sieg in Yeongam und ein weiterer dritter Platz in São Paulo. So jettete der 29-Jährige wie durch ein Wunder als WM-Führender zum Saisonfinale nach Abu Dhabi, wenn auch mit tatkräftiger Unterstützung durch Red Bull, wo viele Chancen nicht genutzt wurden.

Felipe Massa und Fernando Alonso

In Monza steckte Felipe Massa nach der ersten Kurve freiwillig zurück Zoom

Quasi "along the Way" verpasste er Massa teamintern endgültig den Todesstoß: Als Alonso in Hockenheim seinem führenden Stallgefährten vom Speed her überlegen schien ("This is ridiculous, what else I have to do?"), hatte er nämlich sein Benzingemisch noch fetter eingestellt als Massa. Dieses entscheidende Detail aus den FIA-Untersuchungsunterlagen war jedoch kaum medienpräsent. Stattdessen war ab Hockenheim klar, dass sich Ferrari nun endgültig hinter Alonso stellen würde.

Das konnte man auch in Monza sehen, als Massa nach der ersten Kurve auffällig zurücksteckte, um seinem Teamkollegen den Vortritt zu lassen. Und, ganz abgesehen vom Sportlichen: Dass Großsponsor Santander lieber Alonso als Massa mit WM-Krone im Ferrari vermarkten würde, versteht sich von selbst. Ferraris sportliche Entscheidungsträger zogen bei dieser klaren Rollenverteilung allerdings nur mit, weil sie sich durch die Leistungen auf der Strecke quasi von selbst aufdrängte.

Der kompletteste Fahrer 2010?

Für viele war Alonso 2010 der kompletteste Fahrer im Feld. Experte Surer unterschreibt diese Aussage nicht bedingungslos: "Am Jahresende hat er das bewiesen, ja, aber davor hat er viele Fehler gemacht: Frühstart in China, Unfall in Monaco, ganz alleine rausgedreht und in die Leitplanke geflogen in Belgien. Da hat er jeweils Punkte verschenkt. Um sagen zu können, er war der Beste von allen, hat er meiner Meinung nach zu viele Fehler gemacht."

Vitaly Petrov vor Fernando Alonso

An Vitaly Petrov zerschellten in Abu Dhabi Fernando Alonsos Titel-Seifenblasen Zoom

Der strategische Fehlgriff beim Saisonfinale in Abu Dhabi, der letztendlich den WM-Titel gekostet hat, darf freilich nicht dem Fahrer, sondern muss dem Team angelastet werden. Alonso fightete 40 Runden lang mit stumpfen Waffen gegen den pfeilschnellen Renault von Vitaly Petrov, versuchte im Gegensatz zu Webber dahinter zumindest eine Hauruck-Attacke mit der Brechstange. Die hätte er möglicherweise öfter auspacken sollen, schließlich hatte er ohnehin nichts mehr zu verlieren.

"Ich hätte von Alonso erwartet, dass er es versucht", analysiert Surer, "aber irgendwann waren natürlich seine Reifen kaputt, weil er da ständig am Diffusor hing. Man hat gesehen, dass er sehr viel gerutscht ist, sodass seine Reifen hinüber waren. Aber ich hätte schon erwartet, dass er mal einen Gewaltakt probiert. Dann hätte man einen 'Schwarzen Peter' gehabt und fertig. Der eine Versuch war ja ziemlich halbherzig, da war er nicht mal halb daneben. Das konnte gar nicht gehen."

Saisonstatistik:

Fahrerwertung: 2. (252 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 5
Podestplätze: 10
Pole-Positions: 2
Schnellste Rennrunden: 5
Durchschnittlicher Startplatz: 5,8 (4.)
Bester Startplatz: 1.
Bestes Rennergebnis: 1.
Ausfallsrate: 5,3 Prozent (1.)

Qualifyingduelle:

Alonso vs. Massa: 15:4


Fotos: Highlights 2010: F. Alonso


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