Noch 24 Punkte: Der WM-Kampf spitzt sich zu...
In Istanbul hat Räikkönen seinen Rückstand auf Alonso wieder verringert, dennoch liegt vor ihm eine nur sehr schwer lösbare Aufgabe
(Motorsport-Total.com) - 24 Punkte Rückstand bei fünf noch zu fahrenden Rennen bedeuten, dass Kimi Räikkönen von jetzt an in jedem Fall alles gewinnen muss - und selbst dann reicht es für ihn nicht automatisch zum WM-Titel. Nicht einmal lauter Doppelsiege würden dem Finnen zwingend genügen, denn Fernando Alonso braucht von nun an nur noch 27 Zähler, um sich den Titel definitiv zu sichern. Das entspricht umgerechnet zwei dritten und drei vierten Plätzen, was mit dem standfesten Renault eigentlich zu machen sein sollte.

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Alonso oder doch Räikkönen? Noch sind fünf Grands Prix zu fahren...
Trotzdem kommt im Finale dieser längsten Weltmeisterschaft aller Zeiten noch einmal so etwas wie Spannung auf, nachdem das große Duell zwischen "Iceman" Räikkönen und "Magic" Alonso nach dem Grand Prix von Deutschland in Hockenheim, als der Abstand stattliche 36 Punkte betrug, eigentlich schon für entschieden erklärt worden war. Bei McLaren-Mercedes schöpfte man zuletzt dank der technischen Überlegenheit des MP4-20 noch einmal Hoffnung.#w1#
Whitmarsh: "Haben die Fahrer-WM noch nicht aufgegeben"
"Wir hatten in Istanbul ganz klar das stärkste Paket", analysierte McLaren-Geschäftsführer Martin Whitmarsh. "Ich sehe keinen Grund, der dagegen spricht, dass wir in den verbleibenden Rennen lauter Doppelsiege einfahren. Renault macht einen guten Job, aber wir müssen unseren eben noch besser erledigen. In der Konstrukteurs-WM fehlen uns nur noch neun Punkte, da ist noch alles möglich. Wir haben aber auch die Fahrer-WM noch nicht aufgegeben."
Die Marschrichtung in Woking und Stuttgart lautet: Der Markenpokal ist Pflicht, die Fahrerkrone wäre hingegen nur die Kür, quasi das berühmte Sahnehäubchen auf dem Fruchteisbecher. Allerdings sind derartige Zielsetzungen der Herren Ron Dennis und Norbert Haug auch unter dem Gesichtspunkt zu betrachten, dass man sich nicht selbst Druck machen möchte - schließlich würde man dumm aus der Wäsche gucken, wenn man den Fahrertitel vollmundig ankündigt, ihn dann aber doch verliert...
Daher heißt es vor laufenden Kameras nur: "Der Fahrertitel ist eher unwahrscheinlich, aber bei den Konstrukteuren sind wir nicht so weit weg. Da wollen wir es wissen", gab Haug gestern gegenüber 'Premiere' zu Protokoll. "Wenn wir es am Ende nicht packen, dann wegen der ersten vier Rennen. Seit dem fünften Rennen - das muss auch mal gesagt sein - hat keiner mehr Punkte gemacht als wir. Das ist eine sehr gute Leistung."
Kommt bei Renault langsam Nervosität auf?
Umgekehrt übt man sich auch bei Renault in Understatement, denn Teamchef Flavio Briatore, noch vor kurzem so selbstsicher wie Goliath vor dem Kampf gegen David, scheint plötzlich Nervenflattern zu bekommen: "Ich weiß, dass wir 24 Punkte Vorsprung haben. Wir schauen von Rennen zu Rennen", so der Italiener. Aber: "McLaren ist sehr stark", fügte er an. "Wir hatten einen sehr starken Saisonbeginn, jetzt ist McLaren besser - aber die Punkte, die wir schon haben, kann uns niemand mehr nehmen."
Fakt ist allerdings, dass Renault zuletzt zumindest Anzeichen von Nervosität erkennen ließ - wie beispielsweise in Ungarn, als man sich hinsichtlich der Fahrer-WM aus Sicherheitsgründen für die härtere Reifenmischung von Michelin entschied und damit sang- und klanglos unterging. Briatore: "Wir müssen ja nicht mehr gewinnen, sondern wir schauen nur noch auf die Weltmeisterschaft", aber dieser Schuss kann durchaus auch nach hinten losgehen.
Zuverlässigkeit bei McLaren-Mercedes wird immer besser
McLaren-Mercedes hat im Gegensatz dazu nicht mehr viel zu verlieren, kann von nun an voll angreifen. Außerdem scheint die Zuverlässigkeit langsam unter Kontrolle zu sein: "Es hat kein Hersteller zweimal zwei Rennen mit jeweils einem Motor gewonnen. Wir wechseln also die Motoren nicht nur, wie man uns manchmal nachsagt, sondern wir machen auch da gute Arbeit. Darauf wollen wir aufbauen", übte sich Haug nach dem Sieg gestern in Eigenlob.
Allerdings sieht er schwarz, was das bevorstehende High-Speed-Rennen in Monza angeht: "Monza ist eine spezielle Strecke", äußerte der 52-Jährige Bedenken. "Da würde ich uns nicht unbedingt als den Überfavoriten sehen." Auf allen anderen Strecken müsste es aber "noch einmal richtig zur Sache gehen für uns", fügte Haug an. Briatore sieht dies ähnlich: "Zumindest in Monza müssten wir besser sein. Für Brasilien bekommen wir dann eine Ausbaustufe", so der Renault-Teamchef.
Dennis will Renault mit Druck in Fehler hetzen
Sein McLaren-Gegenpart Dennis übt sich aber ebenfalls in Optimismus: "Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir in den verbleibenden Rennen sehr konkurrenzfähig sein werden", kündigte der Brite an. "Die Performance eines anderen Teams können wir sowieso nicht beeinflussen. Unser Ziel ist aber, das, was wir in unserer Hand haben, umzusetzen. Wer weiß, was dann passiert? Hoffentlich können wir Renault so unter Druck setzen, dass sie noch ein paar Fehler machen."
Als "realistisches Ziel" bezeichnete Dennis den Konstrukteurstitel, bei dem McLaren-Mercedes mit Doppelsiegen vor dem Renault-Duo schon am 11. September in Spa die WM-Führung übernehmen könnte. Derzeit trennen die "Silberpfeile" neun Punkte vom Platz an der Sonne, während man sich nach hinten keine Sorgen mehr machen muss. Dementsprechend locker kann man die letzten fünf Rennen in Angriff nehmen - und ohne Bauchweh auch das eine oder andere Risiko eingehen.
Formel-1-Experte Hans-Joachim Stuck setzte am vergangenen Wochenende seine Jetons übrigens erstmals klipp und klar auf Räikkönen: "Irgendwie sagt mir das innere Gefühl, dass der Kimi das noch packt! In einer WM ist man immer besser der Fuchs als der Hase. Alonso hat schon gezeigt, dass er Fehler macht - in Montréal zum Beispiel. Das ist zwar bei Kimi auch so, aber irgendwie spüre ich, dass McLaren-Mercedes das ganz knapp schaffen wird", sagte er einer 'F1Total.com'-Boxengassenreporterin.
Briatore eingeschnappt: "Punkte sind Punkte!"
Generell tendiert die Medienberichterstattung derzeit dahin, dass McLaren-Mercedes wegen der beeindruckenden Grundschnelligkeit des Pakets Räikkönen/MP4-20 schon als moralischer Weltmeister gefeiert wird, doch Briatore ist darüber naturgemäß nicht allzu erfreut. Der Renault-Teamchef fragt sich, warum die Erfolge seiner Truppe zu Saisonbeginn weniger wert sein sollen als die jetzigen Erfolge der "Silberpfeile".
"Was für einen Unterschied macht es, ob die Punkte zu Saisonbeginn geholt werden oder am Ende? Zehn Punkte sind zehn Punkte", beschwerte er sich in Istanbul bei einigen Journalisten. "Im Fußball kommt es auch nicht darauf an, ob man in der ersten Sekunde ein Tor schießt oder erst in der Nachspielzeit. Ich kann nur immer wieder sagen: Punkte sind Punkte - und im Moment hat Fernando 24 mehr auf seinem Konto als Räikkönen..."

