Ein schwerer Unfall von Ralf Schumacher hat große Folgen und führt zu einem der verrücktesten Rennen in der Geschichte der Formel 1
Es beginnt mit einem Unfall: Im ersten Freien Training erleidet Ralf Schumacher in der Steilkurve einen Reifenschaden und schlägt heftig in die Mauer ein. Der Deutsche fällt für das restliche Wochenende aus. Zu diesem Zeitpunkt behauptet man bei Michelin noch, dass kein generelles Problem mit den Pneus vorliegt. Doch schnell wird klar: Hier liegt etwas ganz gewaltig im Argen ...
Michelin nimmt weitere Untersuchungen vor und vor dem dritten Training erhalten sämtliche Piloten mit Michelin-Reifen die Anweisung, auf eine schnelle Runde zu verzichten. Der Reifenhersteller kann die Sicherheit der Fahrer nicht mehr garantieren. Im Qualifying setzen zwar wieder alle Michelin-Piloten eine Zeit, doch zu diesem Zeitpunkt ist bereits klar, dass die Pneus keine komplette Renndistanz überstehen werden. Das Problem: In der Saison 2005 sind Reifenwechsel im Rennen verboten.
Auch am Sonntagmorgen ist noch keine Lösung gefunden. Von einer Absage des Rennens bis hin zu einem Start mit nur sechs Autos scheint alles im Bereich des Möglichen zu liegen. Die Fans an der Strecke bekommen davon allerdings nur wenig mit, da der Formel-1-Zirkus inklusive Fahrerparade und allem Drum und Dran zunächst weiter seinem gewohnten Ablauf folgt.
Zunächst fahren auch alle 20 Autos in die Startaufstellung. Noch immer haben viele Fans auf den Tribünen keine Ahnung, dass sie in wenigen Minuten Augenzeugen des wohl verrücktesten Formel-1-Starts aller Zeiten sein werden. Hinter den Kulissen herrscht derweil Chaos ...
Unter anderem gibt es den Vorschlag, die Steilkurve durch eine zusätzliche Schikane zu entschärfen. Die FIA lehnt diese Idee allerdings ab. Auch ein freiwilliges Langsamfahren an der besagten Stelle ist unmöglich, da dadurch hinterherfahrende Piloten gefährdet werden könnten. Bernie Ecclestone sind die Hände gebunden, auch der mächtige Formel-1-Boss scheint das Rennen nicht mehr retten zu können.
McLaren und Renault kämpfen zu diesem Zeitpunkt um die Weltmeisterschaft - und beide sind auf Michelin-Reifen unterwegs. Ron Dennis und Flavio Briatore gelten zwar beide als vom Erfolg besessen, doch in diesem Fall sind auch die zwei Alphatiere (und alle anderem Teambosse der Michelin-Teams) sich einig: Die Sicherheit der Piloten steht im Vordergrund, ohne eine Schikane wird es kein Rennen unter Beteiligung der Michelin-Teams geben.
Es folgt das Unvermeidliche: Nach der Aufwärmrunde biegen alle 14 Michelin-Piloten auf Anweisung ihrer Teams in die Box ab und verweigern einen Start zum Grand Prix. Viele Fans an der Strecke realisieren erst zu diesem Zeitpunkt, dass man sich nicht auf eine Lösung einigen konnte. Bis zu diesem Moment hatte man noch immer auf ein - mehr oder weniger - normales Formel-1-Rennen gehofft.
Es folgt der wohl verrückteste Start der Formel-1-Geschichte: Michael Schumacher geht von Rang fünf - in diesem Moment effektiv die Poleposition - ins Rennen. Außer ihm sind nur Teamkollege Rubens Barrichello, die beiden Jordan-Piloten Tiago Monteiro und Narain Karthikeyan und Christijan Albers und Patrick Friesacher im Minardi mit dabei. Die vier letztgenannten starten aus den beiden letzten Reihen.
An der Spitze "kämpfen" Schumacher und Barrichello um den Sieg. Ein wirkliches Duell ist es allerdings nicht, eher ein Abspulen der 73 Runden. Trotz der Umstände erledigen beide Ferrari-Piloten ihren Job professionell. Am Ende hat Schumacher die Nase vorne. Es wird 2005 sein einziger Saisonsieg bleiben - und der einzige für Bridgestone.
Eine große Chance ist das Rennen für die beiden kleinen Teams. Jordan und Minardi belegen am Ende des Jahres die beiden letzten WM-Plätze, stauben in diesem Rennen allerdings ordentlich ab. Alle vier Piloten sehen die Zielflagge, für Karthikeyan, Albers und Friesacher sind es jeweils die einzigen WM-Punkte in ihrer gesamten Formel-1-Karriere.
Die Fans an der Strecke machen ihrem Ärger derweil Luft. Unter anderem fliegen sogar Wasserflaschen und andere Gegenstände auf die Strecke. Die Formel 1, die in den Vereinigten Staaten sowieso keinen leichten Stand hat, verspielt dort an diesem Sonntag auch noch ihre letzten Sympathien.
Viele Zuschauer verlassen den Indianapolis Motor Speedway bereits lange vor dem Ende des Rennens. Auf eine Show mit nur sechs Auto - von denen vier regelmäßig am Ende des Feldes zu finden sind - hat keiner Lust. Später wird den Zuschauern immerhin eine Erstattung der teilweise hohen Ticketpreise angeboten. Trotzdem kehren viele der Formel 1 für eine lange Zeit den Rücken.
Auch Michael Schumacher kann an seinen Erfolg - den er sportlich fair errungen hat - keinen Gefallen finden. Der Rekordchampion weiß, dass an diesem Tag viel in der Formel 1 kaputtgegangen ist. Auch andere "Profiteure" der Farce sind trotz des eigenen Vorteils nicht glücklich. Der damalige Minardi-Besitzer Paul Stoddart wird während des Rennens mehrfach von den Fernsehkameras eingefangen und zeigt dabei den Daumen nach unten.
Lediglich Tiago Monteiro kann sich über seinen dritten Platz freuen. Für den Portugiesen bleibt es in 37 Rennen sein einziges Podium in der "Königsklasse". In Spa kann er später in der Saison sogar noch einmal punkten, doch nach der Saison 2006 endet seine Formel-1-Karriere. Seinen Platz in den Geschichtsbüchern hat Monteiro nach diesem Rennen allerdings sicher.
Michelin nimmt die Schuld anschließend auf sich und verteilt im folgenden Jahr unter anderem 20.000 Freikarten für das Rennen in Indianapolis. Eine Zukunft haben in der Formel 1 allerdings weder die Franzosen noch der Motor Speedway. Michelin verabschiedet sich Ende 2006 mit der Einführung der Einheitsreifen aus der "Königsklasse", in Indianapolis wird 2007 letztmalig gefahren.
Ein schwerer Unfall von Ralf Schumacher hat große Folgen und führt zu einem der verrücktesten Rennen in der Geschichte der Formel 1