Aprilia und Jorge Martin: Wie geht es im Vertragsstreit nun weiter?

Sowohl Jorge Martin als auch Aprilia haben ihre Standpunkte öffentlich dargelegt - Nun stellt sich die Frage, wie sich der Vertragsstreit weiterentwickeln wird

(Motorsport-Total.com) - Die versöhnlichen Töne, die Aprilia in Silverstone anschlug, stehen im starken Kontrast zur entschlossenen Haltung von Jorge Martin, der seine Position bekräftigt und eine gütliche Lösung des Konflikts erschwert.

Titel-Bild zur News: Massimo Rivola, Jorge Martin

Mugello 2024: Massimo Rivola und Jorge Martin bei der Vertragsunterzeichnung Zoom

Eine knappe Woche ist vergangen, seit Marco Bezzecchi in Silverstone überraschend triumphierte - eine unerwartete Wendung in der Geschichte zwischen Martin und Aprilia, wie sie einem Drehbuch von Alfred Hitchcock entsprungen sein könnte.

Massimo Rivola, CEO der Rennabteilung der Marke aus Noale, nutzte die Gelegenheit, um das Potenzial der RS-GP zu unterstreichen. Gleichzeitig forderte er den Spanier mehr oder weniger direkt dazu auf, seine Absicht, seinen Vertrag zum Saisonende aufzulösen, zu überdenken.

Implizit will der Manager damit verdeutlichen, dass der amtierende Weltmeister in seiner Einschätzung der Lage doppelt falsch liegt - sowohl in der Auslegung der Klausel, auf die er sich bei seinem geplanten Ausstieg beruft, als auch in der Bewertung des Motorrads.

Die Mitteilung, die Aprilia vor dem Silverstone-Wochenende veröffentlichte, schloss jede Möglichkeit aus, die im Vertrag festgelegte Probezeit (sechs Grands Prix) zu verlängern. Man verwies Martin darauf, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen.

Im Siegesrausch am Sonntag bemühte sich Rivola um einen empathischeren Ton: "Die Botschaft an Jorge lautet, dass das Motorrad bereit ist, damit auch er gewinnen kann." Wohl in der Erwartung einer anderen Reaktion, als sie Martin dann am Donnerstag äußerte.

"Beim Vertragsabschluss war ich mir mit Aprilia einig, dass ich mir das Recht vorbehalte, meine Zukunft für 2026 selbst zu bestimmen, falls bestimmte Bedingungen nicht erfüllt werden. Diese Klausel war für mich eine wesentliche Voraussetzung, den Vertrag überhaupt zu unterschreiben."

Weiteres betont Martin: "Angesichts der im Vertrag festgelegten Frist habe ich mich entschieden, mein Recht auf Vertragsauflösung für 2026 auszuüben." Diese Reaktion lässt keinen Raum für Zweifel - es ist kein Rückzieher.

Motorsport-Total.com geht davon aus, dass Martins Strategie, gestützt durch eine der renommiertesten Anwaltskanzleien Spaniens, auf seiner Glaubwürdigkeit beruht. Er will jeden Zweifel an der Existenz der Klausel und ihrer Bedeutung für seinen Vertragsabschluss ausräumen.

Weit von einer Einigung entfernt

Aktuell sind beide Seiten weit davon entfernt, sich in der Mitte zu treffen. Aprilia bestreitet die Gültigkeit der Klausel, da Martin fünf der sechs geplanten Rennen zur Beurteilung des Motorrads verpasst habe - und das Team geht so weit, ihre Existenz gar nicht zu bestätigen.

Da sich beide Seiten nun positioniert haben, ist eine vorübergehende Beruhigung der Lage wahrscheinlich - bis der zweimalige Weltmeister (Moto3 und MotoGP) nach seinen zahlreichen Verletzungen in Katar wieder einsatzbereit ist.

Im Blick behalten sollte man jedoch das "All Stars"-Event der Marke Aprilia, das an diesem Sonntag in Misano stattfindet - eine Veranstaltung, an der Martin neben anderen Aprilia-Fahrern teilnehmen muss.

Jorge Martin

Jorge Martin will Aprilia mit Saisonende 2025 verlassen Zoom

Mehr oder weniger offen hat Aprilia signalisiert, dass man bereit ist, alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um zu verhindern, dass der Madrilene vor 2027 auf einem Motorrad der Konkurrenz sitzt.

In Le Mans, wo der Streit eskalierte, traf sich Rivola mit Honda-Manager Hikaru Tsukamoto, um ihn auf das juristische Risiko hinzuweisen, das ein Angebot an einen Fahrer mit laufendem Vertrag mit sich bringen würde.

Dieses Gespräch hielt Honda-Teamchef Alberto Puig aber nicht davon ab, offen das Interesse an Martin zu bekunden - sollte sich dessen Situation klären: "Alle Teams im Fahrerlager interessieren sich für einen Fahrer wie Martin. Wenn man sich nicht für ihn interessiert, ist man ein Idiot."

Gleichzeitig verneinte Puig, dass Honda ein offizielles Angebot unterbreitet habe. Da Aprilia nur die Vertragserfüllung oder den Rechtsweg als Optionen zu sehen scheint, interpretiert Motorsport-Total.com, dass der Weltmeister selbst einen Gerichtsprozess nicht unbedingt anstrebt.

Nicht wegen mangelnder Argumente, sondern aus pragmatischen Gründen: Zum einen, weil der Fall in Italien verhandelt werden würde, wo Aprilia-Mutter Piaggio ein erhebliches Gewicht hat. Zum anderen, weil ein womöglich monatelanges Verfahren andere Teams abschrecken könnte.

In diesem komplexen Szenario erscheint eine einvernehmliche Lösung - vermutlich mit finanzieller Abfindung - als vernünftigste Option, um den Schaden für beide Seiten zu begrenzen.