• 19.04.2002 21:16

  • von Reinhart Linke

Theissen: "Der FW24 ist absolut konkurrenzfähig"

BMW-Motorsportdirektor Dr. Mario Theissen über den FW24, die Reifen, die neuen Motorregeln und den Technologiefluss bei BMW

(Motorsport-Total.com) - BMW-Motorsportdirektor Dr. Mario Theissen kann nach den ersten vier von 17 Rennen auf einen guten Saisonstart des BMW-Williams-Teams zurückblicken. Obwohl man bisher mit Ralf Schumacher in Kuala Lumpur nur einen Sieg in der Saison 2002 feiern konnte, liegt der Rennstall mit 37 Punkten nur knapp hinter Ferrari (40 Punkte) in der Konstrukteursweltmeisterschaft. Immerhin ist es noch immer das Ziel der Blauweißen, in diesem Jahr den zweiten Platz in der Konstrukteurswertung zu holen.

Titel-Bild zur News: Dr. Mario Theissen

Dr. Mario Theissen hat noch viele Fragen zu den neuen Motorregeln

Nach dem ersten Rennwochenende, an dem in Imola beide Ferrari-Fahrer im neuen F2002 saßen, musste das Team von Sir Frank Williams feststellen, dass man gegenüber Ferrari im Moment offenbar noch deutlicher als zunächst angekommen im Rückstand ist. "Man muss immer das Paket als Ganzes sehen", betonte Dr. Mario Theissen in einem Interview mit 'Sport1'. "Dazu gehören der Motor, der Reifen, der Fahrer und das Fahrzeug."

Daher kann der 49-Jährige bisher auch nicht genau sagen, was bei Ferrari im Vergleich zu BMW-Williams besser ist: "Die Performance eines Autos ist immer ein Gesamtbild aller einzelnen Faktoren." Zweifellos glaubt der Motorsportdirektor aber, dass ein eingespieltes Team die Grundlage für Erfolg ist. "Ferrari hat nach dem Eintritt der Schlüsselfiguren, Jean Todt, Ross Brawn, Rory Byrne und Michael Schumacher, fünf Jahre gebraucht, bis sie ganz oben waren und das System perfekt funktioniert hat. Man muss sich in der Formel 1 darauf einstellen, dass man einen Rückschlag nicht in wenigen Wochen oder Monaten einfach so abstreifen kann."

Bei BMW fließt Formel-1-Know-how in die Serienproduktion

Trotzdem ist Dr. Mario Theissen bisher mit der Zusammenarbeit zwischen Williams und BMW zufrieden, zumal es für die Bayern auch noch um etwas ganz anderes geht: "Das Besondere bei uns ist der Anspruch, dass neben dem Imagegewinn auch eine echte technische Synergie, also auch ein Know-how-Fluss von der Formel 1 in die Serienproduktion, realisiert werden muss. Deswegen wollten wir alles in Eigenregie herstellen. Dass wir diese angesprochenen Synergien nach zwei Jahren schon wirklich im Serienmotorenbau erreicht haben, ist das eigentlich Erfolgreiche in diesem Projekt. Und da haben wir deutlich mehr erreicht, als wir uns selbst erträumt haben."

"Wir übertragen ganz massiv Technologien in den Bereichen Elektronik, Gusstechnologien und Bearbeitungsverfahren", erläuterte der Familienvater. "Und da haben wir durch das Formel-1-Engagement inzwischen so eine Art Technologielabor im Zeitraffer im Unternehmen installiert, das einzigartig ist."

Theissen: "Wir fordern jeden Tag Verbesserungen am Fahrzeug"

Nach der ersten Testfahrt des neuen Williams FW24 gab es Kritik am Chassis, welches unter der Führung von Chefdesigner Gavin Fisher konstruiert wurde. Der 2002er-Williams, so war zu hören, produziert zu wenig Abtrieb. Auch beim dritten Saisonlauf in Sao Paulo war BMW-Williams offenbar mit steiler gestellten Flügeln unterwegs als die Konkurrenz, so dass Ralf Schumacher am Ende nicht seinen Bruder Michael Schumacher angreifen konnte und sich mit Platz zwei zufrieden geben musste.

Dennoch betont Dr. Mario Theissen, dass man sich schon bei den ersten Testfahrten verbessert hat: "Wir fordern jeden Tag Verbesserungen am Fahrzeug, genauso wie Williams sie beim Motor fordert. Es war tatsächlich so, dass uns der FW24 bei seinem ersten Auftritt überrascht hat. Aber bei den Tests danach wurde hart gearbeitet und das Auto war beim ersten Rennen deutlich besser und hat inzwischen seine Wettbewerbsfähigkeit bewiesen."

Obwohl die BMW-Williams-Fahrer zumindest bei den Grand Prixs von Malaysia und Brasilien näher an Ferrari dran waren als zu Beginn der letzten Saison, sieht der gebürtige Monschauer bei der Konkurrenz zum Teil größere Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr als beim bayrisch-britischen Team. "Es hat sicher größere Sprünge bei dem ein oder anderen Konkurrenten gegeben", so der Diplomingenieur, der seit 1977 bei BMW arbeitet. "Aber wenn ich mir die Ergebnisse und die Performance im Rennen anschaue, dann ist das Auto absolut konkurrenzfähig."

Dies ist der FW24 aber nicht zuletzt auch wegen den starken Michelin-Reifen, von denen sich der Motorsportdirektor im Verlauf der Saison noch einiges erwartet: "Ich glaube, dass es auf bestimmten Strecken und bei bestimmten Witterungsbedingungen eine Michelin-Dominanz geben wird und umgekehrt an anderen Wochenenden genau das Gegenteil. Ich denke, das wird sich durch die Saison ziehen. Ich gehe davon aus, dass sich die beiden Reifenfirmen, ähnlich wie es auch die Teams tun, im Laufe des Jahres einander annähern werden."

Theissen für permanente Rennkommissare

Zuletzt wurde viel über permanente Rennkommissare diskutiert, die auch Dr. Mario Theissen befürwortet. "Man sollte nicht bei jedem Rennen andere Kommissare haben, sondern eine Gruppe, die bei jedem Rennen gleich besetzt ist", findet der BMW-Mitarbeiter und schließt sich nicht der Meinung von FIA-Präsident Max Mosley an, der befürchtet, die permanenten Kommissare würden Freunde und Feinde in der Formel-1-Szene bekommen.

Dr. Mario Theissen erklärte, warum er für permanente Kommissare ist: "Ganz einfach deshalb, damit konsistente Entscheidungen gefällt werden. Deswegen plädiere ich bei einem so hochprofessionellen Geschäft wie der Formel 1, wo sogar das Catering und Teile des Sicherheitsstaff um die ganze Welt mitreisen, dass die entscheidenden technischen und Renn-Stewards nicht bei jedem Grand Prix ausgetauscht werden."

Das neue Motorreglement wirft noch viele Fragen auf

Die FIA hatte vorgeschlagen, dem technischen Delegierten Charlie Whiting in Zukunft mehr Macht zu geben, doch damit waren die Teams nicht einverstanden. "Was den obersten Rennkommissar angeht: Natürlich ist ein ehemaliger Rennfahrer, der selbst solche Situationen erlebt hat, viel besser in der Lage, sie zu beurteilen, als jemand, der sie nur vom Bildschirm kennt ? und auch das macht in meinen Augen Sinn", würde Dr. Mario Theissen gerne ehemalige Fahrer als Rennkommissare sehen.

Ebenfalls heiß diskutiert wird die neue Motorenregel, wonach ab 2004 nur noch ein Triebwerk pro Wochenende erlaubt ist. "Es gibt noch eine Menge offener Fragen", meint auch Dr. Mario Theissen, der schon seit 15 Jahren in der Motorenentwicklung von BMW tätigt ist. "Was passiert am Freitag und am Samstag. Wir fahren heute an einem Rennwochenende etwa 800 Kilometer. Wenn sich die Spielregeln nicht verändern, dann könnte ein Team genauso gut am Freitag und am Samstagmorgen in der Box bleiben", ist er für eine Nachbesserung der neuen Richtlinien.

Theissen: "Die FIA muss die Regeln klar präzisieren"

Dr. Mario Theissen weiter: "Was passiert zum Beispiel, wenn das Team verschiedene Strategien fährt. Ein Fahrer fährt das komplette Programm, bekommt am Samstagmittag einen neuen Motor und stellt sich in der Startaufstellung zehn Plätze nach hinten. Der andere Fahrer übernimmt einfach seine Abstimmung, fährt aber Freitag und Samstag gar nicht. Und hat dann mit seinem 450-Kilometer-Motor die Chance ganz vorne zu starten."

Außerdem unklar ist noch, was überhaupt ein Motorenwechsel ist. "Was ist ein neuer Motor?", so der BMW-Motorsportdirektor. "Was ist ein Motorwechsel? Welche Teile darf man anfassen und welche nicht? Wie werden diese Regeln überwacht? Alles das muss jetzt präzisiert werden. Jetzt ist die FIA am Zug, damit die Spielregeln klar sind und eine Kostensenkung dabei herauskommt."

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