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Adventskalender 2010: Mercedes

Wie Experte Marc Surer das Premierenjahr des Mercedes-Werksteams einschätzt und warum weniger in der Formel 1 manchmal mehr sein kann

(Motorsport-Total.com) - Die Saison 2010 geht als eine der spannendsten in die Formel-1-Geschichte ein. Vier Fahrer kämpften beim letzten Rennen in Abu Dhabi noch um den Gewinn der Weltmeisterschaft; den Sieg sicherte sich letztendlich einer, der die Fahrerwertung zuvor noch nie angeführt hatte. Auf dem Weg nach Abu Dhabi kam es zu zahlreichen Sternstunden und Dramen. Grund genug für 'Motorsport-Total.com', das Jahr noch einmal Revue passieren zu lassen. Thema heute: Mercedes.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Michael Schumacher

Nico Rosberg etablierte sich bei Mercedes eindeutig als schnellerer Fahrer

Vorweg: Auf die Leistungen der beiden Fahrer Michael Schumacher und Nico Rosberg gehen wir gemeinsam mit unserem Experten Marc Surer am 20. und 21. Dezember noch genauer ein, daher konzentrieren wir uns im heutigen Adventskalender-Beitrag vor allem auf das Team Mercedes. Das war im Winter die große Story in der Formel 1, aber das deutsche Nationalteam mit seinen anfangs sogar drei deutschen Fahrern (inklusive Testfahrer Nick Heidfeld) schrieb während der Saison weniger Schlagzeilen als erhofft.

Ernüchterung beim Saisonauftakt

Bereits das erste Rennwochenende in Bahrain machte klar, dass die Silberpfeile 2010 aus eigener Kraft keine Siege feiern würden: Rosberg belegte im Qualifying den fünften, Schumacher den siebten Platz - mit deutlich mehr als einer Sekunde Rückstand auf die Spitze. Im prozessionsartigen Rennen verbesserte sich Schumacher immerhin noch auf Rang sechs, aber es fehlte dem MGP W01 unübersehbar an Speed. Eine weitere Überraschung war, dass Rosberg teamintern von Anfang an alles im Griff hatte.

Der junge Deutsche fuhr dreimal (Malaysia, China und Großbritannien) auf das Podium, lag nach vier von 19 Rennen sogar auf dem zweiten WM-Rang und rechnete sich lange Zeit sogar Titelchancen aus - in der Hoffnung, Teamchef Ross Brawn würde während der Saison die notwendigen Verbesserungen veranlassen. Tatsächlich warf Mercedes in Brackley ein intensives Entwicklungsprogramm an, doch das wirkte sich weniger stark aus als erhofft.

Nico Rosberg

Beim Grand Prix von Malaysia stand Nico Rosberg erstmals auf dem Siegerpodest Zoom

Zudem stand das Team unter enormem öffentlichen Druck, als in Spanien das erste Radikal-Update vorgestellt wurde, das das Untersteuern des Silberpfeils kurieren sollte. Viele im Fahrerlager unkten damals, Mercedes wolle vor allem Schumacher helfen, der bis dahin alle vier Qualifyings gegen Rosberg verloren hatte. Tatsächlich setzte sich der siebenfache Weltmeister im fünften Anlauf erstmals durch, doch insgesamt änderte sich am Kräfteverhältnis nichts. Rosberg gewann das Qualifying-Duell unterm Strich klar mit 14:5.

Kleines Budget kein unüberwindbares Hindernis

Mercedes war im ersten Saisondrittel am stärksten, griff in Monaco sogar nach der ersten Startreihe, aber ein taktischer Fehler des Teams bremste Rosberg ein. Im Rennen zeigte er dann mit extrem schnellen Rundenzeiten, was ansonsten möglich gewesen wäre. Spätestens nach dem Türkei-Grand-Prix brach der deutsche Rennstall aber stark ein und hatte an vielen Rennwochenenden sogar mühe, ins Top-10-Qualifying einzuziehen - und das, obwohl eine Neuerung die nächste jagte.

Das könnte man damit erklären, dass Mercedes über das kleinste Budget der vier Topteams verfügte, wie man in Stuttgart unermüdlich betont. Surer nimmt Sportchef Norbert Haug diese Aussage ab: "Es kann schon sein, dass sie gegenüber den anderen drei Topteams weniger Budget hatten", vermutet der 'Motorsport-Total.com'-Experte. "Sie können also vielleicht nicht so aus dem Vollen schöpfen wie andere, aber das erklärt nicht, warum Neuerungen gebracht wurden, die das Auto langsamer gemacht haben."

¿pbvin|512|2657||0|1pb¿"Rückschläge haben alle hinnehmen müssen, auch McLaren und Ferrari, gerade mit dem angeblasenen Diffusor. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass sie bei Mercedes das Auto nicht begriffen haben", analysiert er. "Das ist ihnen erst gelungen, als sie sich um die Abstimmung gekümmert haben und nicht mehr um die Weiterentwicklung, sprich in den letzten Rennen, als sie aufgehört haben, neue Teile anzubauen. Plötzlich ging's. Insofern hatte ich das Gefühl, dass sie vorher gar nicht begriffen haben, woran es fehlt."

Brawn und Co. schickten eine sehr unkonventionelle Interpretation des F-Schachts an den Start, verirrten sich im komplexen Thema auspuffangeströmter Diffusor und verstanden diese und andere Themengebiete erst zu 100 Prozent, als sie damit aufhörten, laufend Neuerungen an den Silberpfeil zu schrauben. Nach dem Ende der Europatournee waren Rosberg/Schumacher auf einmal wieder feste Größen in den Top-10-Qualifyings.

Aus den Fehlern von 2010 lernen

Dass Mercedes sein eigenes Auto offenbar nicht ganz verstanden hat, könnte für 2011 ein Nachteil sein, aber: "Die Erfahrung, die sie am Saisonende gemacht haben, ist sicherlich sehr wertvoll. Sie haben sich allerdings nicht verbessert, sondern sie haben sich aus dem Tief erholt und waren am Ende wieder da, wo sie angefangen hatten. Vielleicht ist das eine Lektion für nächstes Jahr: Nicht zu viel wollen, sondern das Beste aus dem machen, was man hat", kann sich Surer vorstellen.

In Summe sei das Abschneiden von Mercedes jedoch "unbedingt" schlechter als erwartet gewesen: "Wir reden hier von dem Team, das im Jahr zuvor die Formel 1 dominiert hat. Dann stürzen sie ab auf Platz vier. Das ist natürlich sehr enttäuschend", kritisiert der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer. Zur Erinnerung: Mercedes ging im Winter aus dem ehemaligen Brawn-Team hervor, das wiederum aus den Überresten von Honda entstanden ist.

Michael Schumacher

Michael Schumacher blieb 2010 hinter seinen eigenen Erwartungen zurück Zoom

Doch da trotz der stabilen Eigentümersituation schlechtere Ergebnisse als im Weltmeisterjahr 2009 eingefahren wurden, glauben viele, dass Brawn im Vorjahr vor allem vom Doppeldiffusor-Vorteil profitiert hat und das Auto von Jenson Button und Rubens Barrichello ansonsten eher durchschnittlich war. Außerdem hat das Team mit Sitz in Brackley abgesehen vom positiven Ausreißer 2009 in den vergangenen Jahren nie Bäume ausgerissen.

Perspektive für Mercedes nicht schlecht

Surer geht aber nicht davon aus, dass der Daimler-Konzern auf das falsche Pferd gesetzt hat: "Es war kein sensationelles, aber auch kein grottenschlechtes Auto. Nico ist ein paar Mal unter die ersten Drei gefahren, also war das nicht so schlecht. Mir ist allerdings aufgefallen, dass sie durch viele Weiterentwicklungen eher zurückgeworfen wurden. Das stimmt mich ein bisschen nachdenklich", so der Schweizer, der glaubt, dass man in den nächsten Jahren durchaus mit Mercedes rechnen muss.

Denn: "Solange ein Ross Brawn da ist und die Strukturen vorgibt, mache ich mir keine Sorgen - die können schon was. Brawn weiß genau, wie man ein Team führen muss, aber er ist natürlich auch nur so gut wie seine Leute", weiß Surer. Diesbezüglich soll bis 2011 eine Umstrukturierung stattfinden, für die unter anderem Rosbergs früherer Williams-Renningenieur Tony Ross verpflichtet wurde, ebenso wie Ex-McLaren-Mann Mark Slade, der von Renault kommt. Jock Clear steigt zum übergeordneten Chefrenningenieur auf, ähnlich wie Chris Dyer bei Ferrari.

Ross Brawn und Norbert Haug

Ross Brawn und Norbert Haug haben im Mercedes-Team sportlich das Sagen Zoom

Der vielleicht positivste Aspekt der zurückliegenden Saison war aus Mercedes-Sicht, dass es zwischen den beiden Fahrern wider Erwarten keine nennenswerten Konflikte gab und dass die Zuverlässigkeit stimmte. Mit einer Ausfallsrate von 10,5 Prozent war der Silberpfeil in dieser Hinsicht das zweitbeste 2010er-Auto, geschlagen nur vom Ferrari F10. Was jetzt noch fehlt, ist der schiere Speed...

Saisonstatistik:

Team:

Konstrukteurswertung: 4. (214 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 3
Ausfallsrate: 10,5 Prozent (2.)
Durchschnittlicher Startplatz: 8,7 (4.)

Qualifyingduelle:

Schumacher vs. Rosberg: 5:14

Michael Schumacher (Startnummer 3):

Fahrerwertung: 9. (72 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 9,9 (10.)
Bester Startplatz: 5.
Bestes Rennergebnis: 4.
Ausfallsrate: 10,5 Prozent (3.)

Nico Rosberg (Startnummer 4):

Fahrerwertung: 7. (142 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 3
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 7,4 (7.)
Bester Startplatz: 2.
Bestes Rennergebnis: 3.
Ausfallsrate: 10,5 Prozent (3.)


Fotos: Highlights 2010: Mercedes


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