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  • 25.06.2011 07:59

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Zwischengas: Whiting kontert HRT-Attacke

Geoff Willis kritisiert die FIA, weil die kleinen Teams unnütz Geld verbrannt haben, doch Charlie Whiting lässt diesen Vorwurf nicht unkommentiert stehen

(Motorsport-Total.com) - Das in zwei Etappen in Kraft tretende Verbot von Zwischengas-Motorenmappings in der Formel 1 (erste Stufe dieses Wochenende in Valencia, zweite ab Silverstone) sorgt hinter den Kulissen weiterhin für Diskussionen. Nun beschwert sich ausgerechnet HRT, eigentlich einer der vehementesten Zwischengas-Gegner, über die Art und Weise, wie das Verbot von der FIA eingeführt wurde.

Titel-Bild zur News: Geoff Willis

Geoff Willis kritisiert das Vorgehen der FIA im Zwischengas-Verbotsfall

"Wir können darüber diskutieren, ob Technische Direktiven eine Regeländerung darstellen oder nicht, aber für ein kleines Team sind solche Änderungen insofern erheblich, als wir auf Basis des Kosten/Performance-Verhältnisses entscheiden müssen, ob wir etwas entwickeln oder nicht", erklärt HRT-Technikchef Geoff Willis. Damit spricht er jene FIA-Direktiven an, die erst vor Barcelona herausgegeben und dann wieder verworfen und schlussendlich nach Montreal in leicht abgewandelter Form endgültig beschlossen wurden. Das Reglement an sich blieb dabei unverändert.

"In unserem Fall haben wir mit dem Aufholen begonnen, indem wir die Auspüffe modifizierten, um einen Performancegewinn zu erzielen. Damit haben wir aufgehört, als TD15 (TD steht für Technische Direktive; Anm. d. Red.) rauskam", schildert der ehemalige Red-Bull-Weggefährte von Adrian Newey. "Mit TD16 realisierten wir, dass wir weitermachen können, aber da hatten wir schon ein Rennen verpasst und führten das System für Montreal ein, wo es sehr hilfreich dabei war, den 13. Platz zu holen, der für unser Team enorm wichtig war."

Auswirkungen erst ab Silverstone

Doch am meisten stört Willis, dass viel Geld ausgegeben werden musste, um ein funktionierendes System zu entwickeln - und ab Silverstone kann es ohnehin nicht mehr ausgeschöpft werden: "Durch die Silverstone-Regelung verlieren wir etwas Performance, sodass wir wahrscheinlich auf die falsche Seite der Kosten/Performance-Rechnung kommen. Wir sind ein kleines Team und hätten dieses Budget ansonsten vielleicht anders ausgegeben - oder zumindest die Zeit und die Mühen, die wir investiert haben", kritisiert er die FIA-Entscheidung während der Saison.

"Eine Regeländerung während der Saison ist frustrierend", fügt Lotus-Technikchef Mike Gascoyne an. "Wir alle haben viel Geld dafür ausgegeben, etwas zu entwickeln. Aus Ingenieurssicht kann ich Charlies Interpretation der Regeln nachvollziehen - in mancher Hinsicht stimmt sie wahrscheinlich. Aber es ist frustrierend, wenn das mitten in der Saison ohne vorherige Befragung erledigt wird." Was übrigens der Grund dafür war, dass die FIA ihre erste Direktive nicht wie geplant ab Barcelona einführte, sondern bis nach einem Treffen der Technischen Arbeitsgruppe wartete.

Willis ärgert sich trotzdem: "Warum wurde zum Beispiel mit dem Verbot des F-Schachts bis Saisonende gewartet, aber jetzt wird mitten in der Saison gehandelt?" Doch FIA-Techniker Charlie Whiting kann auf diesen Vorwurf kontern: "Das kann man nicht vergleichen", winkt er ab und geht ins Detail: "Doppeldiffusor und F-Schacht waren legal, aber während der Saison haben sich die Teams mit uns zusammengesetzt und entschieden, dass diese Systeme der Formel 1 nichts bringen." Wohingegen Zwischengas seiner Meinung nach von Haus aus illegal war.

¿pbvin|512|3837||0|1pb¿Willis versteht das Einschreiten der FIA trotzdem nicht: "Sollte zu Saisonmitte mal ein Problem aufkommen, das sicherheitskritisch ist, dann würden wir darüber ohne Zweifel diskutieren und die Regeln notfalls während des Rennwochenendes anpassen, wenn wir müssten", stellt der Brite klar. "Aber diese Notwendigkeit sehe ich im Moment nicht. Wir brauchen den richtigen Prozess mit Technischer Arbeitsgruppe, Formel-1-Kommission und Weltrat." Das trifft bei Regeländerungen tatsächlich zu, nicht jedoch bei technischen Direktiven, die die Regeln nur präzisieren.

Dass manche Teams für wenige Rennen sündteure Auspuffsysteme entwickelt haben, die nun in ihrer Wirkungsweise enorm beschnitten werden, steht außer Frage. Renaults Frontversion etwa funktioniert vor allem dank Zwischengas-Einstellungen des Motors. Im Sinne der von der Teamvereinigung FOTA initiierten Sparvereinbarung RRA (Ressourcen-Restriktions-Abkommen) ist die neue FIA-Direktive demnach nicht. Whiting: "Über das RRA weiß ich nichts, aber wir haben die Regeln ja nicht grundlegend verändert."

HRT brachte keine Einwände vor

"Alles, was wir tun, ist, die Leute davon abzuhalten, die bestehenden Regeln zu brechen", stellt der Technische Delegierte der FIA klar und lässt die Vorwürfe von Willis nicht unkommentiert auf sich sitzen: "Ich wundere mich über die Aussage von Geoff, denn ich verstehe die Position von HRT nicht so. Ich suche aber gerne das Gespräch mit ihm." Allerdings sei verwunderlich, dass HRT erst jetzt mit solchen Beschwerden daherkommt: "Im Rahmen der Technischen Arbeitsgruppe hatte er vor ein paar Tagen keine Einwände."

"Sie können immer noch die Auspuffgase nutzen, was HRT - ich glaube in Spanien - tun wollte", fährt Whiting fort. "Aber als wir vor Spanien unsere erste technische Direktive veröffentlicht haben, hat HRT die Entwicklung auf Eis gelegt. Dabei haben wir nie gesagt, dass wir es nicht machen werden, sondern wir haben nur gesagt, dass wir den Teams Zeit geben, um die Sache in der Technischen Arbeitsgruppe zu diskutieren. Das haben wir getan und ein paar Dinge geändert, ein wenig gelockert. Vom Prinzip sind wir aber nicht abgerückt."

¿pbvin|512|3838||0|1pb¿HRT-Teamchef Colin Kolles wollte nach fallen gelassener erster Direktive in Monte Carlo Protest gegen alle Teams, die mit Zwischengas-Motorenmappings fahren, einlegen. Dazu gekommen ist es nicht. Dabei hätte er die FIA (in erster Instanz die Rennkommissare, in zweiter möglicherweise das Berufungsgericht) auf diese Weise zu einer klaren Entscheidung zwingen können. "Entscheiden müssen die Kommissare, aber noch hat niemand Protest eingelegt. Ich glaube, in Monaco waren wir nahe dran", erinnert sich Whiting.

"Die, die protestieren wollten, waren besorgt, dass wir das Thema für den Rest der Saison aufgeben würden. Wir haben versichert, dass dem nicht so sein würde, daher gab es noch keine Proteste - auch wenn ich den Teams immer dargelegt habe, dass ihnen diese Möglichkeit freisteht", so Whiting, der einen Protest nicht unbedingt begrüßt hätte, denn: "Ich glaube, bis zu einem gewissen Grad machen alle das Gleiche, daher müssen wir vernünftig vorgehen und pragmatisch an die Sache herangehen, um die Sache unter Kontrolle zu bekommen."

Schließlich hätte der Formel 1 nichts mehr geschadet als ein im Raum stehender Massenausschluss in Monte Carlo, der vor dem Berufungsgericht verhandelt hätte werden müssen und sich möglicherweise wieder wochenlang hingezogen hätte. Das wissen auch die Teams: "Wenn die FIA nicht gehandelt hätte, hätte das Team bei den Kommissaren Klarheit erbeten müssen, was für die Formel 1 nicht gut gewesen wäre. Wir wollen das um jeden Preis vermeiden. Das wäre nicht gut gewesen", nimmt Ross Brawn von Mercedes Whiting in Schutz.