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  • 19.07.2014 21:40

  • von Rencken, Fischer, Sharaf & Ziegler

What the FRIC? Lotus trifft der Schlag, aber wer profitiert?

Das FRIC-Verbot trifft einige Teams in der Formel 1 schwer: Doch während viele Fahrer nicht einmal einen Unterschied bemerken, hadert Lotus mit der Direktive

(Motorsport-Total.com) - Unverhofft traf die Teams der Formel 1 nach dem Großen Preis von Großbritannien die Mitteilung der FIA, dass das Aufhängungssystem FRIC womöglich bald für illegal erklärt werden soll. Zwar ist bislang nur eine Technische Direktive an die Teams herausgegangen, doch aus Angst vor einem möglichen Protest bauten alle Rennställe das vernetzte System aus und setzen in Hockenheim nun auf die Standard-Variante.

Titel-Bild zur News: Pastor Maldonado

Lotus scheint mit der Umstellung die größten Schwierigkeiten zu haben Zoom

Bei den Testfahrten in Silverstone vergangene Woche wurden erstmals Fahrzeuge ohne FRIC auf der Strecke gesehen, doch keiner wusste so recht, wie sich das Verbot auf das kommende Rennwochenende in Deutschland auswirken sollte. Wer würde profitieren? Wer würde ein Problem bekommen? Unterschiedliche Namen wurden in den Ring geworfen: Mercedes sollte büßen, genau wie Red Bull, Ferrari, McLaren, Lotus oder selbst Marussia.

Nach dem Qualifying in Hockenheim ist die Formel-1-Welt genau genommen aber immer noch nicht schlauer. Das Kräfteverhältnis hat sich nicht groß verschoben, und kaum einem Fahrer will ein großer Unterschied aufgefallen sein. "Man fühlt die Unebenheiten auf der Strecke vielleicht ein wenig mehr, aber ansonsten hat sich nicht viel verändert. Wir haben da vielleicht ein wenig mehr erwartet", zuckt Red-Bull-Pilot Daniel Ricciardo mit den Schultern.

Und auch sein Toro-Rosso-Kollege Daniil Kwjat stimmt zu: "Das Fahren ohne FRIC hatte aus meiner Sicht keine großen Auswirkungen. Wenn, dann ist das Feld nur noch einmal enger zusammengerückt. Wir wussten mehr oder weniger, wie sich unser Auto verhalten würde. Überraschungen gab es da also nicht. Der Unterschied ist auf jeden Fall nicht so groß, wie das die Leute vielleicht glauben." Selbst die vorher so absturzgefährdeten Mercedes sind weiterhin die Nummer 1 im Feld. "Wir denken nicht, dass FRIC einen großen Einfluss hat", erklärt auch Motorsportchef Toto Wolff.

"Wir haben da vielleicht ein wenig mehr erwartet." Daniel Ricciardo

Lotus hadert

Lediglich ein Team sieht sich nach den ersten beiden Tagen des Wochenendes wirklich im Nachteil gegenüber der Konkurrenz: Lotus. Romain Grosjean und Pastor Maldonado hatten mit ihrem Auto schwer zu kämpfen und wollten einfach nur in Q2 einziehen. Doch während Grosjean das Unterfangen gelang (auch wenn er in Q2 dann Langsamster war), sorgten die Plätze 15 und 18 nicht für große Jubelstürme in Enstone.

"Es hat uns eine Menge gekostet", seufzt Grosjean. "Das Auto ist nicht unfahrbar, es ist nicht wie Tag und Nacht, aber uns fehlt Abtrieb." Lotus gilt als das Team, das schon am längsten mit dem Aufhängungssystem vertraut war - und dementsprechend am weitesten fortgeschritten war. "Lotus hat es länger genutzt als alle anderen Teams", bestätigt der Franzose. "Ich weiß nicht, ob es jetzt sieben oder acht Jahre im Auto ist. Alle Entwicklungen wurden um eine bestimmte Fahrhöhe gemacht - und plötzlich baut man FRIC aus und kommt aus dem Fenster heraus."

"Es hat uns eine Menge gekostet." Romain Grosjean

Aus Fahrersicht habe es sich zwar nicht sonderlich anders angefühlt als zuvor, doch besonders mit der Traktion hat der E22 nun so seine Schwierigkeiten, wie sich auch am TV-Bildschirm beobachten ließ. Besonders mit viel Sprit an Bord sei das Problem eklatant und man müsse nun Wege finden, um die Nachteile durch den FRIC-Ausbau wieder auszugleichen. "Wir haben am Wochenende einige Dinge probiert, um es besser zu machen."

Schnelle Lösung nicht in Sicht - profitiert Sauber?

Auch Teamkollege Pastor Maldonado hofft auf schnelle Verbesserungen: "Wir arbeiten daran, ein wenig Performance zurückzubekommen, die wir von den Veränderungen an der Aufhängung verloren haben", sagt der Venezolaner. "Ich denke, wir können die Pace zurückgewinnen, doch es beeinträchtigt uns mit Sicherheit. Man muss auf jedes Detail schauen, wie die Aufhängung arbeitet, ohne verbunden zu sein, und wie das die Aerodynamik beeinflusst. Wir arbeiten hart daran, und wir sollten ein paar Zehntel finden, die uns in eine Kampfposition zurückbringen sollten."

Doch bei Lotus rechnet man aktuell nicht damit, eine schnelle Lösung zu finden. Das kommende Rennen in Ungarn, das schon eine Woche nach Hockenheim stattfindet, wird wohl definitiv zu früh kommen, doch danach steht zumindest die Sommerpause auf dem Programm, in der sich Lotus neu aufstellen kann. "Für uns ist das sehr schwierig, aber wir müssen andere Wege finden, um das Auto zu verbessern. Das wird Zeit brauchen, wir müssen zurück in den Windkanal und daran arbeiten", so Grosjean.

Doch des einen Leid, des anderen Freud. Die Schwäche von Lotus könnte nämlich vor allem Sauber in die Karten spielen. Esteban Gutierrez war heute schneller als beide E22, Adrian Sutil konnte wenigstens Maldonado hinter sich halten. Der Gräfelfinger hatte insgeheim schon mit einem solchen Ergebnis gehofft, da Sauber anscheinend nicht so weit mit dem System war: "Wir haben nichts geändert, die anderen haben etwas geändert", erklärt Sutil. "Auf einmal waren wir doch näher dran und ein bisschen konkurrenzfähiger. Vielleicht war es das."


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Ändert es die Performance oder nicht?

Doch wie viel genau durch das FRIC-Verbot verlorengegangen ist, daran scheiden sich die Geister - genau wie über die Wirkungsweise des Fehlens des Systems. Daniel Ricciardo beispielsweise könnte sich vorstellen, dass sich in Hockenheim erst langfristig Veränderungen einstellen werden. "Man muss sich dann die Longruns anschauen. Vielleich leiden die Reifen dadurch ein bisschen mehr", überlegt er. Doch Williams-Chefingenieur Rob Smedley ist der Meinung, dass es damit nicht viel zu tun haben wird.

"Ich bin mir nicht sicher, dass es einen Unterschied in Sachen Lebensdauer und Abbau der Reifen macht", erklärt er. "Es ändert die Gesamtperformance des Autos. Es ist, als würde man zehn Abtriebspunkte auf das Auto packen und drei Zehntel schneller sein. Und das addiert sich dann über eine Renndistanz." Übrigens: Williams scheint noch ein Profiteur der ganzen Angelegenheit gewesen zu sein. Valtteri Bottas hatte heute nur 0,219 Sekunden Rückstand auf Nico Rosberg, obwohl der Wert (bis auf Spielberg) meist weit höher lag. "Unser System bei Williams war nicht sonderlich komplex", bestätigt Smedley.

Nico Rosberg

Mercedes ist auch ohne FRIC-System nicht von der Spitze zu verdrängen Zoom

Doch Toto Wolff weißt darauf hin, dass das alles nicht unbedingt an FRIC liegen muss: "Die Strecke ist kurz, es ist sehr heiß und wir haben den Supersoft-Reifen, der das Feld normalerweise immer zusammenführt", so der Österreicher. "Man kann nicht erwarten, dass man an jedem Wochenende eine Sekunde voraus ist." Doch egal, wie es mit der Posse um FRIC in den kommenden Wochen weitergeht, eines wollen alle Teams ganz schnell: Klarheit für die nächste Saison. "Es ist wichtig, damit man an den Autos für das kommende Jahr arbeiten kann", weiß Smedley. Denn eine Grauzone möchte kein Team wieder haben - aktuell ist das Ausbauen schließlich auch nur eine reine Vorsichtsmaßnahme.