• 18.07.2014 19:47

  • von Haidinger, Rencken, Sharaf

FRIC-Abschaffung: Leidet Mercedes mehr als die Rivalen?

Während bei manchen Teams das FRIC-Verbot kaum ins Gewicht fällt, sind einige noch auf der Setup-Suche - Mercedes und Lotus kämpfen (noch) mit Problemen

(Motorsport-Total.com) - Kein Team ging heute das Risiko ein und verwendete das in den vergangenen Jahren in Mode gekommene vernetzte Fahrwerk FRIC (Front and Rear Interconnected) - eine Reaktion auf die Warnung der FIA, das System könnte als bewegliches aerodynamisches Hilfsmittel interpretiert werden und damit außerhalb des Reglements liegen.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton, Daniel Ricciardo

Ist Mercedes ohne FRIC plötzlich verwundbar geworden? Zoom

Vor dem heutigen Tag war daher niemand sicher, inwiefern sich das Verbot auf das Kräfteverhältnis auswirken würde. Ein Blick auf die Zeitenliste nach dem ersten Trainingstag in Hockenheim zeigt aber, dass sich die Auswirkungen in Grenzen halten dürften: Die Konkurrenz scheint Mercedes etwas auf den Leib gerückt zu sein, McLaren wirkte stärker als zuletzt (Magnussen Fünfter, Button Siebter) und auch Adrian Sutil im Sauber sah als Elfter stärker aus als bisher in der Saison.

Ob das aber auf den Ausbau von FRIC zurückzuführen ist, wissen teilweise nicht einmal die Beteiligten selbst. "Das kann ich nicht wirklich sagen", sagt Mercedes-Pilot Lewis Hamilton. "Ich schätze, das werden wir morgen herausfinden." Der Brite, der die Tagesbestzeit fuhr, gibt aber zu, dass durch den FRIC-Ausbau "das optimale Setup des Autos woanders liegt. Wir versuchen wirklich, das hinzukriegen".

Mercedes kämpft mit Abstimmungsschwierigkeiten

Teamkollege Rosberg, der auf Platz zwei kam, erkannte ebenfalls einen Unterschied im Vergleich zum Fahrverhalten des Silberpfeils mit dem vernetzten Fahrwerk: "Es ist jetzt anders, also mussten wir etwas daran arbeiten und uns anpassen." Der WM-Leader glaubt sogar, dass sich das Verbot auf das Kräfteverhältnis auswirken wird: "Klarerweise wird es das Feld etwas durcheinanderwürfeln. Es gibt jetzt ein paar neue Herausforderungen, um das Auto auszubalancieren. Ich muss herausfinden, wie ich mich im Auto wohlfühle."

Rosberg fühlt sich aber auf dem richtigen Weg: "Wir haben gute Fortschritte gemacht." Interessant ist, dass Motorsportchef Toto Wolff im Gegensatz zu seinem Piloten nicht an Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis glaubt. "Wir haben das Auto in Silverstone ohne das vernetzte Fahrwerk ausprobiert, und auch heute ist es ziemlich gut gelaufen. Ich denke also nicht, dass sich das in irgendeiner Form auf die Konkurrenzfähigkeit auswirken wird."

"Das optimale Setup des Autos liegt jetzt woanders. Wir versuchen wirklich, das hinzukriegen." Lewis Hamilton

Möglicherweise rechnet der Österreicher damit, dass sich das Team bis zum Qualifying perfekt auf die neuen Gegebenheiten einstellen und sich wieder in alter Stärke präsentieren wird. Sollte das nicht passieren, dann wurden die Wünsche der Mercedes-Konkurrenz erhört, denn vor allem im Red-Bull-Lager hatte man sich im Vorfeld des Wochenendes eine Schwächung der Silberpfeile erhofft.

Red Bull und Force India: Kaum Unterschiede

Im Weltmeisterteam ist die Stimmung in Hinblick auf die Auswirkungen des FRIC-Verbots jedenfalls positiv. "Für uns macht es keinen allzu großen Unterschied", zuckt Sebastian Vettel mit den Schultern. Und ergänzt: "Wenn es uns den anderen näher bringt, dann umso besser."

Teamkollege Daniel Ricciardo macht auch nur kleine Veränderungen aus: "Es ist höchstens, dass man Bodenwellen und Randsteine etwas mehr spürt. Bezüglich der Balance verändert sich kaum etwas." Auch Force-India-Pilot Sergio Perez stimmt in den Tenor ein. "Es hat sich nicht viel verändert. Die Leute haben sich da in etwas hineingesteigert und die ganze Sache aufgebauscht. Der Vorteil von FRIC ist nämlich gar nicht so groß."

"Die Leute haben sich da in etwas hineingesteigert und die ganze Sache aufgebauscht." Sergio Perez

Die Aussagen des Mexikaners sprechen in jedem Fall für Force India, denn nicht überall herrscht diese Meinung in dieser Ausprägung vor. Der stellvertretende Lotus-Teamchef Federico Gastaldi umging bei der Pressekonferenz gleich einmal auf elegante Weise eine Aussage zum Thema: "Wir haben das System heute nicht verwendet, also können wir nichts darüber sagen."

Lotus: Maldonado durch FRIC-Aus in Nöten

Pastor Maldonado sprach dann aber wie gewohnt Klartext: "Ich hatte eigentlich nur geringe Auswirkungen erwartet, aber es kam dann anders. Für mich fühlte sich die Balance plötzlich komplett anders an. Das muss ich erst verstehen lernen. Unser Auto ist generell für die Verwendung von FRIC ausgelegt. Ohne dieses System müssen wir lernen, wie wir das Beste aus der Situation machen können."

Romain Grosjean, meist zumindest etwas diplomatischer als sein Teamkollege, meint zwar zuerst, dass es "kein Unterschied wie Tag und Nacht" zu früher ist, gibt dann aber zu, dass Lotus unter der Abschaffung "vielleicht etwas mehr als andere" leitet, weil man FRIC schon lange im Einsatz habe.

"Für mich fühlte sich die Balance plötzlich komplett anders an. Das muss ich erst verstehen lernen." Pastor Maldonado

"Der erste Eindruck war gar nicht so schlecht. Es war eigentlich ganz nett zu fahren. Man muss sich etwas anpassen, aber wir sprechen hier nicht über Unterschiede wie zwischen Tag und Nacht. Wir haben das System schon lange im Einsatz, daher leiden wir nun unter der Abschaffung vielleicht etwas mehr als andere."

Marussia sieht Lage gelassen

Lotus-Chefingenieur Allan Permane fällt auf, dass man ohne FRIC "der Bodenfreiheit, der Aerodynamikbalance und anderen Dinge noch mehr Aufmerksamkeit schenken muss." Womöglich hat es auch damit zu tun, dass das Team aus Enstone besonders leidet, dass der E22 ohnehin in langsamen Kurven schlechter liegt als die Autos der Konkurrenz. Und genau in diesen Passagen brachte das System die größten Vorteile.

Ein Team, das keine großen Probleme mit dem Verzicht auf FRIC hat, ist Marussia. "Wir haben in den vergangenen zwei Jahren eine sehr simple aber sehr effektive Lösung entwickelt", erklärt Teamchef John Booth. "In Silverstone benötigten wir eine Zeitlang, um uns daran zu gewöhnen, ohne das System zu leben, aber ich denke, dass wir die Performance bereits ziemlich egalisiert haben."


Fotos: Großer Preis von Deutschland


Pirelli rechnet mit Auswirkungen bei Longruns

Nach dem ersten Trainingstag endgültige Schlüsse zu ziehen, ist diesbezüglich aber schwierig - Vettel hat am Donnerstag sogar gemeint, man müsse bis nach Ungarn warten, um die Auswirkungen wirklich einschätzen zu können.

Einer, der durch die Reifendaten oft bessere Einblicke hat, ist Pirellis Motorsportchef Paul Hembery. Da die Italiener aber heute Server-Probleme hatten, konnte man die gewonnenen Informationen noch nicht gänzlich analysieren. Sein erster Eindruck von der Formel 1 ohne FRIC?

"Ihr habt die Rangliste heute gesehen, und sie hat sich nicht allzu stark von den vergangenen Rennen unterschieden. Ich schätze also daher, dass sich die absolute Performance vermutlich nicht ändern wird." Er schließt aber nicht aus, "dass es im Laufe eines Longruns einen gewissen Einfluss haben könnte".