Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Christian Horner

Triumph in Bahrain, eine Hand am WM-Pokal (schon wieder), ein wohlhabendes Leben mit Glitter & Glamour - und doch kann Christian Horner nicht gut schlafen ...

Titel-Bild zur News: Chalerm Yoovidhya, Christian und Geri Horner nach dem Grand Prix von Bahrain

Chalerm Yoovidhya, Christian und Geri Horner nach dem Grand Prix von Bahrain Zoom

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn man Christian Horner vor 20 Jahren Bilder aus der Zukunft gezeigt hätte, mit Motiven aus Bahrain 2024, dann hätte er wahrscheinlich vor Staunen nur ungläubig den Kopf geschüttelt und freudig gegrinst. Er als Chef des besten Formel-1-Teams, und seine beiden Autos ganz oben auf dem Podium, auf dominante Art und Weise. Ein Bubentraum.

Horner ist inzwischen nicht mehr nur Chef von zwei berühmten Lenkradakrobaten, nein, er hat sich längst selbst zu einer echten Celebrity gemacht, und 2022 hat er, wie man im englischen Handelsregister Companies House einsehen kann, mehr als 13 Millionen Euro verdient.

Zu seinem 50. Geburtstag hat ihm seine Ehefrau Geri "Ginger Spice" Halliwell (wie sie womöglich bald wieder heißen wird?) eine pompöse Party geschmissen, über die sogar die englische Boulevardpresse ausführlich berichtet hat.

Übrigens eine Party mit einer imposanten Gästeliste: Gary Barlow von Take That auf der Bühne, dazu enge Freunde mit auf dem Gruppenfoto, Weltstars wie Ronnie Wood, der Gitarrist von den Rolling Stones, oder Rod Stewart.

Wie Horner zu seinem Job bei Red Bull kam

Horner war gerade mal 30 Jahre alt, gescheitert mit seiner eigenen Rennfahrerkarriere und finanziell schwer angeschlagen, als Bernie Ecclestone im Sommer 2004 im Gespräch mit Dietrich Mateschitz erstmals seinen Namen nannte.

Ecclestone kannte Horner, weil er kurz zuvor versucht hatte, mit chinesischem Geld das marode Jordan-Team zu übernehmen. Der Deal scheiterte, doch Ecclestone wusste: Es gibt da einen jungen Mann mit Ambitionen, ein Formel-1-Team zu leiten.

Horner war ein Nobody, den niemand kannte (auch Mateschitz nicht), doch Ecclestone hielt ihn offensichtlich für einen halbwegs kompetenten jungen Mann, und Mateschitz suchte gerade einen operativen Chef für das Jaguar-Team, das er gekauft und in Red Bull Racing umbenannt hatte.

Helmut Marko hielt das für eine gute Idee, denn er kannte Horner aus der Formel 3000, hatte in der Vergangenheit schon Geschäfte mit ihm gemacht und schätzte ihn als einen fleißigen, aber letztendlich auch gut steuerbaren Lakaien für die Basis in England.

Die Kombination aus Horner in Milton Keynes, für die operative Knochenarbeit, und Marko in Graz als Mastermind und Drahtzieher, als Mann für die großen Entscheidungen, bewährte sich. Irgendwann stellte sich Erfolg ein, von dem das Team vorher nie zu träumen gewagt hätte. Mateschitz war begeistert.

Was sich nach Mateschitz' Tod verändert hat

Ende 2021 - Horner war inzwischen längst aus seiner ursprünglichen Rolle als "Lehrbub", wie Mateschitz das wahrscheinlich genannt hätte, herausgewachsen - veränderte sich etwas in der Dynamik des Dreigestirns Mateschitz-Marko-Horner.

Horner verstand es schon früh, sich mit den Mächtigen zu verbünden, die ihm nützlich sein könnten. 2012 war er Trauzeuge bei der Hochzeit des damaligen Formel-1-Bosses Bernie Ecclestone mit Fabiana, er schwor die Belegschaft in Milton Keynes mit seiner kumpelhaften Art ganz auf sich ein, verknüpfte seinen Vertrag mit dem von Designgenie Adrian Newey, und er eroberte nach und nach auch die Anerkennung von Dietrich Mateschitz.

Darüber soll Marko, so hört man das, nicht uneingeschränkt begeistert gewesen sein. Nicht mehr. Denn es gab Zeiten, da war das noch anders. Als es intern Gerüchte gab, Horner habe sich beim Deal mit einem Sponsor von Red Bull Racing, Geox, nicht sauber verhalten, war es Marko, der ihm den Job gerettet hat. Mateschitz, heißt es, hätte Horner damals am liebsten hochkant rausgeschmissen.

Horner: Hat er den Porsche-Deal torpediert?

Im Sommer 2022 lag Mateschitz im Sterben, lange bevor die Öffentlichkeit etwas davon ahnte. Er, Marko und Vertreter von Porsche hatten inzwischen die Idee eines spektakulären und milliardenschweren Joint-Ventures ausgetüftelt, die eine der berühmtesten Automarken der Welt zurück in die Formel 1 gebracht hätte.

Eine Perspektive, die Horner, inzwischen schon mit weit mehr Machtbewusstsein ausgestattet, überhaupt nicht attraktiv fand. Er torpedierte den Deal, schon bevor auch Mateschitz und Marko für sich zum dem Schluss kamen, dass Porsche vielleicht doch nicht zu Red Bull passt, und sicherte sich geschickt die Rückendeckung des thailändischen Yoovidhya-Clans.

Horner durchschaute früher als viele andere, dass sich mit Mateschitz' Tod die Machtstrukturen im Konzern verschieben würden. Mateschitz gehörten zwar nur 49 Prozent, aber er konnte als Alleingeschäftsführer uneingeschränkt schalten und walten. Und er tat das nicht mit Dollarzeichen in den Augen, sondern mit einem ausgeprägten Sinn für Leidenschaft und Philanthropie.

Auf der thailändischen Seite des Konzerns war 2012 Chaleo Yoovidhya, der eigentliche Erfinder des Energydrinks, verstorben. Seine 49 Prozent wurden zu gleichen Teilen an seine Kinder vererbt; darunter auch Chalerm, der schon vor dem Tod seines Vaters, als ältester Sohn, zwei Prozent direkt kontrollierte. Mit insgesamt 51 Prozent ist der Yoovidhya-Clan mit Chalerm an der Spitze heute Mehrheitseigentümer von Red Bull.

51 Prozent, die Chalerm Yoovidhya ab Mateschitz' Tod im Oktober 2022 und dem Wegfall der Alleingeschäftsführer-Regelung, die nicht an Mateschitz' Sohn Mark weitervererbt wurde, zum neuen starken Mann im Konzern machten.

Yoovidhya: Thailändischer Clan gerät in die Kritik

Chaleo Yoovidhya und Dietrich Mateschitz stammten zwar aus völlig unterschiedlichen Welten, konnten sich aber auf ein gemeinsames Wertesystem verständigen. Ein Wertesystem, dem heute noch Mark Mateschitz folgt.

Und übrigens auch Anita Gerhardter, Dietrich Mateschitz' Ex-Frau, Marks Mutter und heute CEO der Wings-for-Life-Stiftung - eines Projekts, das hervorragend symbolisiert, auf welchen Werten Mateschitz die Marke Red Bull aufgebaut hat.

Seit Chalerm 2022 an die Macht gekommen ist, scheinen einige der Werte nicht mehr zu gelten, die Mateschitz heilig waren.

Christian Horner und Mark Mateschitz

Ein Bild aus besseren Tagen: Christian Horner und Mark Mateschitz Zoom

Der Yoovidhya-Clan ist in Thailand heute höchst umstritten, und das nicht nur deshalb, weil mutmaßlich Behörden geschmiert wurden, als Chaleos Enkelsohn 2012, nur ein halbes Jahr nach dem Tod seines Großvaters, einen Motorradpolizisten totgefahren hat. Eine abenteuerliche Geschichte mit Fahrerflucht, Drogenmissbrauch, Korruption und Vertuschung, die gerade neu aufgerollt wird, wie die angesehene Washington Post dieser Tage berichtet.

Der thailändischen Seite des Red-Bull-Konzerns scheint, so sieht es zumindest von außen aus, mit Chaleos Tod der Wertekompass abhandengekommen zu sein. Menschen, die es wissen sollten, behaupten, dass viele der Dinge, die sich in den Konzern eingeschlichen haben, nicht möglich gewesen wären, wenn Chaleo Yoovidhya und Dietrich Mateschitz noch am Leben wären.

Das erklärt vielleicht auch, warum die Thailänder die Vorwürfe gegen Christian Horner relativ entspannt sehen und schützend ihre Hand über den 50-Jährigen halten. Eine Haltung, die von vielen im Formel-1-Paddock kritisch gesehen wird. Ebenso wie die knappe und intransparente Kommunikation der Red Bull GmbH in der Angelegenheit.

Fuschl nicht zufrieden mit Handhabung der Horner-Affäre

Doch damit tut man der österreichischen Seite des Konzerns unrecht. In Fuschl erkannte man sofort das Explosionspotenzial der Horner-Affäre, kurz nach dem Weinstein-Skandal in Hollywood (#metoo), und war entsetzt über die präsentierten Belege für Horners Verhalten, die auf dem Tisch lagen. Den Entscheidern in Österreich war klar, dass jetzt transparentes Handeln notwendig ist, und dass die Sache nicht ohne Konsequenzen bleiben kann.

Doch Horner wehrte sich und erzwang als letzten Rettungsanker eine interne Untersuchung, die von einigen in Fuschl als nicht so unabhängig empfunden wird, wie das nach außen hin dargestellt wird. Einige der abenteuerlichen Geschichten rund um den Ermittlungsanwalt haben es bereits in die Medien geschafft - sind für uns aber nicht zweifelsfrei belegbar, weswegen wir davon Abstand nehmen, diese zu wiederholen.

Ford berät über Ende der Zusammenarbeit mit Red Bull

Es folgte unweigerlich das, was Oliver Mintzlaff & Co. befürchtet hatten, nämlich dass der Marke Red Bull durch den laxen Umgang mit der Horner-Affäre erheblicher Schaden zugefügt wird.

Ein millionenschwerer Partner wie Ford soll aktuell auf höchster Ebene darüber beraten, die geplante Zusammenarbeit zu überdenken und womöglich sogar aus dem Deal auszusteigen, und die Chefetage von Liberty Media, dem Rechteinhaber der Formel 1, soll hochgradig unzufrieden darüber sein, dass der Ruf der Rennserie unter einem Skandal rund um den auf Netflix omnipräsenten Chef des Weltmeisterteams leidet.

Bereits 2023 waren in englischen Medien erstmals Berichte aufgetaucht, wonach Horner versucht haben soll, die Macht über das komplette Motorsportprogramm an sich zu reißen. Personen, die Horner für seinen Coup anwerben wollte, berichten, dass er vorhatte, die Kontrolle über beide Teams, Red Bull Racing und die Racing Bulls, zu übernehmen, und dass er für Helmut Marko in diesem Konstrukt keinen Platz mehr sah.

Fuschl aber stärkte Marko, einem loyalen Mateschitz-Vertrauten der ersten Stunde, den Rücken, verlängerte dessen Vertrag als Motorsportkonsulent - und Horner musste öffentlich zurückrudern. Er tat so, als sei das alles gar nicht passiert.

Welche Rolle spielen die Verstappens?

Doch im Powergame um die alleinige Kontrolle übersah Horner etwas ganz Entscheidendes, nämlich dass er sich in all den Jahren nicht nur Freunde, sondern auch Feinde gemacht hatte.

Jos Verstappen zum Beispiel, den Vater von Max, der nie ganz drüber hinweggekommen ist, dass Horner Max im Frühjahr 2016 bei Red Bull Racing verhindern wollte, und es Helmut Markos Sturheit zu verdanken ist, dass Verstappen ins A-Team befördert wurde und dort einschlug wie eine Granate.

Was übrigens auch die uneingeschränkte Loyalität der Verstappens gegenüber Marko erklärt. Ich erinnere mich an eine Situation, in der mir jemand erzählt hat: Wenn Horner es schafft, dass Red Bull Marko rausschmeißt, dann ist auch Max ganz schnell weg.


Marko über Horner: Brauchen schnelles Ergebnis!

Die Untersuchung im Fall Christian Horner ist immer noch nicht abgeschlossen. Doch jetzt spricht Helmut Marko über das Thema. Weitere Formel-1-Videos

Dazu muss man wissen: Die Verstappens sind, anders als andere Superstars der Formel-1-Geschichte, nicht zuallererst an Ruhm und Reichtum interessiert. Max Verstappen (der letzte Nacht bestimmt sehr gut geschlafen hat, wie Norman Fischer in der Schwesterkolumne aufgeschrieben hat) will erfolgreich Autorennen fahren, weil er Spaß dran hat, und er hat auch als globaler Superstar nicht vergessen, wem er seine Karriere zu verdanken hat.

Inzwischen hat sich, so berichten das zumindest andere Medien, auch Adrian Newey von Horner distanziert. Newey war einer derjenigen, die beim Ermittlungsanwalt eine Aussage gemacht haben. Und Newey und Verstappen, das weiß jeder, der sich ein bisschen auskennt im Grand-Prix-Zirkus, sind die beiden wahren "Golden Boys" in Red Bulls Formel-1-Programm.

Horner-Leak: War das noch nicht alles?

Bislang schafft es Horner, sich an seinem Stuhl festzuklammern. Doch aus der Hecke werden schon die ersten Schüsse auf ihn abgefeuert. Das Leak mit 79 Screenshots, die angeblich vom Handy jener Mitarbeiterin stammen sollen, die ihn wegen sexueller Grenzüberschreitung bei der Red-Bull-Compliance gemeldet hat, könnte nicht die letzte Eskalationsstufe gewesen sein.

Im Paddock in Bahrain kursierten Gerüchte, dass am Freitagabend nochmal nachgeladen werden könnte. Das passierte nicht. Wer auch immer hinter der Aktion stecken mag, wird sich gedacht haben, dass die Wirkung eines neuerlichen Leaks wahrscheinlich größer ist, wenn die Journalisten nicht gerade damit beschäftigt sind, über den Saisonauftakt der Formel 1 zu berichten.

Inzwischen gibt es auch erste Medien, die darüber berichten, dass Jos Verstappen hinter der Aktion stecken soll. Der bestreitet das: "Das würde doch gar keinen Sinn ergeben. Warum sollte ich das tun, wenn es für Max hier so gut läuft?"

Kein Zweifel besteht jedoch dran, dass Verstappen sen. und Horner nicht die besten Freunde sind. Die Daily Mail hat am Freitagabend in Bahrain einen "heftigen Streit" zwischen den beiden beobachtet, in Horners Büro im Paddock.

Und Verstappen sen. sagt inzwischen auch öffentlich, zitiert von der Daily Mail: "Solange er da ist, wird es Spannungen geben. Das Team läuft Gefahr, auseinandergerissen zu werden. Es kann so nicht weitergehen. Es wird explodieren. Er spielt das Opfer, während in Wahrheit er derjenige ist, der die Probleme verursacht."

Es liegt auf der Hand, dass Horner der Funke ist, der den Machtkampf bei Red Bull, zwischen Thailand und Österreich, entzündet hat. Und man muss kein Genie sein, um zu durchschauen, dass es einigen vielleicht ganz gelegen kommt, dass er womöglich einen schweren Fehler begangen hat.

Nur: Den Fehler, so es denn einer war, der ihm eines Tages auch nachgewiesen werden kann, den hat er schon selbst gemacht.

Geri und Christian Horner: Gute Miene zum bösen Spiel

Horner spielte in Bahrain eine heile Welt vor. Geri, die ihn aus dem gemeinsamen Anwesen in England rausgeschmissen hatte, als die Vorwürfe publik wurden, wurde extra eingeflogen, lächelte freundlich in die Kameras, wich ihrem Ehemann nicht von der Seite. Von einem Beobachter wurde das am Samstagabend als "bizarres Schauspiel" beschrieben.

Als Horner am Samstagabend ein paar Journalisten um sich versammelt hatte, um über den Doppelsieg seines Teams zu sprechen, drehten sich die Fragen weniger um das, was auf der Rennstrecke passiert war, als vielmehr um das Leak.

Christian und Geri Horner im Interview mit RTL-Reporter Kai Ebel

Christian und Geri Horner im Interview mit RTL-Reporter Kai Ebel Zoom

"Endlich mal eine Frage über das Rennen", sagte er an einem Punkt.

Interessant: Obwohl Horner deutlich machte, dass er sich nicht im Detail zu den Vorwürfen äußern möchte, fasste irgendwann ein Journalist den Mut, ihn daran zu erinnern, dass er die Echtheit des Leaks bisher nie explizit dementiert hat.

Horners Antwort: "Ich werde spekulative Nachrichten aus einer unbekannten Quelle nicht kommentieren. Nächste Frage."

Er hätte auch einfach sagen können: Das ist alles ein Fake.

Mir fehlt inzwischen die Vorstellungskraft dafür, wie Horner diese Affäre als Teamchef überleben soll. Nach allem, was passiert ist, kann er unmöglich die Glaubwürdigkeit und die Unterstützung haben, die notwendig ist, um ein Formel-1-Team so erfolgreich zu leiten, wie er das die vergangenen 20 Jahre getan hat.

Horners Verdienste für den sportlichen Erfolg von Red Bull Racing sind unbestritten. Als ich vor ein paar Wochen erfolglos versucht habe, Helmut Marko dazu zu bewegen, mit mir über die Horner-Affäre zu sprechen, fiel am Telefon ein bemerkenswerter Satz: "Horner hat viele Jahre lang großartige Arbeit geleistet."

Ich hatte den Eindruck, es schwang ein bisschen Wehmut in seiner Stimme mit.

Euer

Christian Nimmervoll

Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung abbildet. Wer anderer Meinung ist, kann das gern mit mir ausdiskutieren, und zwar auf meiner Facebook-Seite "Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll". Dort gibt's nicht in erster Linie "breaking News" aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vor allem streng subjektive und manchmal durchaus bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.