• 07.07.2011 11:20

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Theissen: Rallye war für Kubica tabu

Unter Mario Theissen hätte Robert Kubica nicht Rallye fahren dürfen - Erinnerungen an eine Meinungsverschiedenheit im WM-Kampf 2008

(Motorsport-Total.com) - Robert Kubica muss die Saison 2011 verletzungsbedingt auslassen, weil er im Februar bei einer Rallye in Italien einen schweren Unfall hatte. Renault musste daraufhin Nick Heidfeld als Ersatzmann verpflichten. BMW hätte so etwas nicht passieren können, denn auf die Frage, ob Rallyes damals verboten waren, antwortet Mario Theissen kurz und bündig: "Ja."

Titel-Bild zur News: Robert Kubica und Mario Theissen

Mario Theissen und Robert Kubica waren nicht immer einer Meinung

"Und zwar deshalb: Ich kann absolut nachvollziehen, dass er das faszinierend findet. Das sollte man einem Fahrer auch gönnen - wenn nicht dadurch die eigentlichen Ziele in Frage gestellt werden", begründet der ehemalige BMW-Teamchef. "Es ist ja nicht nur so, dass der Fahrer in der Formel 1 gewinnen will, sondern dahinter stehen 700 Leute, die sich genauso reinhängen, hinter den Kulissen für den Titel arbeiten. Dann muss man schon das gemeinsame Ziel höher stellen."

Rallyes waren vertraglich verboten

Theissen ist zwar überzeugt, dass es ihm im Zweifel gelungen wäre, Kubica dazu zu überreden, keine Rallyes zu fahren, "aber überzeugt gewesen wäre er nicht", lacht er. Aber: "Ich hätte ihn nicht einmal überreden müssen, denn das war ganz klar Vertragsgrundlage, dass so etwas nicht erlaubt ist. Tut mir sehr leid, was ihm passiert ist, denn Robert ist für mich ein potenzieller Weltmeister. Ich hoffe nur, dass er wirklich wieder ins Formel-1-Auto kommt und wieder zur alten Form zurückfindet."

"Ob das realistisch ist, weiß ich nicht", sagt Theissen und erinnert sich an eine Meinungsverschiedenheit mit dem Polen im Jahr 2008. Denn Kubica lag nach seinem Sieg in Montreal in der Fahrer-WM in Führung, kritisierte BMW in der zweiten Saisonhälfte aber mehrfach dafür, nicht alle Ressourcen für das Projekt WM-Titel in die Waagschale zu werfen. "Diese Einschätzung von Robert habe ich nie geteilt", dementiert Theissen noch heute.

Mario Theissen und Robert Kubica

Robert Kubica erwischte einen hervorragenden Start in die Saison 2009 Zoom

"Das war ein wesentlicher Punkt, wo wir in der Meinung auseinanderlagen. Wir haben nicht nachgelassen bei der Entwicklung des 2008er-Autos. Es ging ja um Wesentlichen um Aerodynamik-Fortschritte. Wir haben genauso viel im Windkanal gearbeitet, genauso viele Varianten erzeugt wie vorher, aber wir haben auf der Stelle getreten, sind nicht vorangekommen. 2008 war eine Phase, wo wir einfach in der Aerodynamik irgendwo gegen einen Anschlag gelaufen sind", so der 58-Jährige.

Team wollte Weltmeister werden

"Das hat sich dann auch im 2009er-Auto niedergeschlagen, das ja nicht siegfähig war", erklärt Theissen, streitet aber die Kubica-Vorwürfe ab: "Es war keineswegs so, dass wir die Ressourcen woanders platziert hätten, zumal ja das Team natürlich gespürt hat: Wir sind vorne am Ball, wir wollen! Das war also absolut nicht so. Nur: Was wir im Windkanal gemacht haben, hat auf der Strecke nicht den erwarteten Fortschritt gebracht."

¿pbvin|512|3852||0|1pb¿Kubica hatte Ende 2008 das Gefühl, dass BMW sich nicht genug anstrengte, um die Vorbereitungen für 2009 nicht aufs Spiel zu setzen. Gleichzeitig hatte sein Teamkollege Nick Heidfeld enorme Probleme mit den Bridgestone-Reifen. Natürlich kümmerte sich das Team nicht nur um WM-Aspirant Kubica, sondern auch um das "Problemkind", was nach außen den Eindruck manifestierte, man verfolge den WM-Titel nicht entschlossen genug.

"Es ist richtig, dass ich in der ersten Saisonhälfte 2008 versucht habe, Nick wieder in die Spur zu verhelfen, indem wir ihn mal stärker in Hinwil eingebunden haben, Tage mit den Ingenieuren gemacht haben, wo er erklären konnte, wo es aus seiner Sicht hapert, und das mit den Ingenieuren abgleichen konnte. Das ging aber niemals zu Lasten der Aufmerksamkeit für Roberts Titelchancen. Wir waren genauso scharf auf den Titel wie er", behauptet Theissen.

Vorstand zog den Stecker

Den BMW-Ausstieg nach der relativ erfolglosen Saison 2009 konnte Theissen nicht verhindern. "Die Argumente sind immer dieselben. Die habe ich natürlich gezogen", erinnert er sich an seine Diskussionen mit dem Vorstand. "Aber ob jetzt Formel 1 aus Unternehmenssicht den Aufwand wert ist und ob man diese Imagefacette stärken will oder nicht, das liegt natürlich nicht in der Hand des Motorsportchefs."

Kritiker nehmen BMW die offizielle Version von der Neuausrichtung des Konzerns als Begründung für den Formel-1-Ausstieg heute noch nicht ab und vermuten stattdessen, dass das Engagement ganz normal weitergegangen wäre, wenn das Team auch 2009 an der Spitze mitgespielt hätte. Hätte das an der Entscheidung etwas geändert? "Ich glaube nein", gibt Theissen im Nachhinein zu Protokoll.

BMW-Pressekonferenz in München

Juli 2009: BMW gibt in München den Ausstieg aus der Formel 1 bekannt Zoom

"Was 2009 geschah, das passierte zu einer Zeit, als die Unternehmensstrategie neu ausgerichtet wurde. Das war letztlich der entscheidende Grund für den Ausstieg aus der Formel 1", sagt er. "Wenn wir im Sommer 2009 die WM angeführt hätten, wäre am 29. Juli der Ausstiegsbeschluss sicher nicht gefallen. Wenn wir sie aber 2009 gewonnen hätten, dann bin ich überzeugt, dass er erst recht gefallen wäre - am Ende des Jahres. Weil einfach die Firma sich umorientiert hat."