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  • 07.07.2011 11:16

  • von Dieter Rencken

Theissen: Der erste Arbeitstag

Mario Theissen erinnert sich an seinen ersten Arbeitstag bei BMW im Jahr 1977 und erklärt, warum er das Angebot, Sportchef zu werden, zuerst abgelehnt hat

(Motorsport-Total.com) - Als Mario Theissen 1977 zu BMW kam, war er gerade mal 24 Jahre jung und hatte noch keinerlei Vorahnung, dass ihn sein neuer Job eines Tages an die Spitze eines Formel-1-Teams führen würde. Renault hatte in jenem Jahr den ersten Formel-1-Turbo entwickelt und damit wohl auch BMW inspiriert, denn drei Jahre später gaben die Münchner ihren eigenen Einstieg in die Königsklasse ab 1982 bekannt.

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Sag zum Abschied leise Servus: Mario Theissen verlässt BMW

Theissen verfolgte solche Dinge zwar interessiert, hatte aber damals noch nicht im Sinn, selbst in den Motorsport zu wechseln. Stattdessen setzte er sich dafür ein, dass seine in den späten 1970er-Jahren noch oftmals belächelte Arbeit als Berechnungsingenieur im Motorenbereich ernst genommen wird. Sein erster Eindruck sei gewesen, "vom Land in eine große Firma zu kommen", erinnert sich der Monschauer. "Heute weiß ich, dass es zu dem Zeitpunkt keine große Firma war."

"Verglichen mit heute war es ein bayrisches, bodenständiges Unternehmen", vergleicht Theissen. "Ich kann mich noch erinnern, dass die Motorenentwicklung die erste Weihnachtsfeier in einem Büro absolviert hat! Es war zwar ein Großraumbüro, aber überhaupt kein Vergleich mit heute. Und die Arbeitspraktiken der damaligen Zeit stammten aus noch früheren Generationen. Das war also wirklich sehr beschaulich und individuell, um es vorsichtig auszudrücken."

Angebot auch von Mercedes

Vor seinem Arbeitsantritt bei BMW hatte er "zehn Bewerbungen an Autofirmen geschrieben, hatte fünf oder sechs Vorstellungsgespräche. Ich hätte bei drei oder vier Firmen anfangen können. BMW hat mich am meisten gereizt, obwohl das Anfangsgehalt nur bei Mercedes genauso niedrig war wie bei BMW! Die anderen haben mehr gezahlt. Bei VW hieß das damals Lüstenzuschlag", schmunzelt der heutige Rentner.

Die ersten Formel-1-Turbos fand er "damals schon faszinierend, ich habe mich aber nie aktiv Richtung Motorsport beworben oder bewegt". Allerdings war es ihm beim eigenen Wagen immer wichtig, genug PS unter der Haube zu haben: "Ich bin die ersten Jahre immer 323i gefahren, weil ich das Geld als Motoreningenieur immer in Motorleistung investiert habe. Der erste Dienstwagen war dann nach sechs oder sieben Jahren auch ein 323i."

¿pbvin|512|3850||0|1pb¿Theissen erarbeitete sich im BMW-Konzern einen Ruf als zuverlässiger und fleißige Stütze, arbeitete zwischendurch auch in den USA. Dass es noch aufregender werden könnte, hätte er damals kaum für möglich gehalten, aber dann kündigte der Automobilhersteller den erneuten Einstieg in die Formel 1 ein. Die Idee war klar: Gerhard Berger sollte mit seinem Netzwerk im Motorsport seinen Teil beitragen, allerdings an der Seite eines BMW-Fachmanns, der im Konzern gut vernetzt ist.

"Der Motorsport-Funke war immer da, aber im Frühjahr 1999 kam der Anruf von Milberg, damals Vorstandsvorsitzender, ob ich das denn gemeinsam mit Gerhard Berger machen will. Er war schon ein halbes Jahr vorher angeheuert worden", erinnert sich Theissen. Doch trotz seines Interesses für den Motorsport ließ er sich nicht überreden: "Ich habe zunächst abgesagt, weil eine Doppelspitze in neun von zehn Fällen nicht funktioniert."

Erst beim zweiten Mal zugesagt

"Dann hatte ich einen zweiten Termin bei Milberg - das weiß ich noch, da bin ich extra aus dem Skiurlaub angereist. Da hat er das nochmal sehr eindringlich nachgeschärft", lacht der 58-Jährige. "Dann hatte ich einen Termin mit Gerhard - und da war auf Anhieb alles klar. Wir haben uns sofort verstanden und haben auch sehr schnell gemerkt, dass unser Know-how komplett komplementär ist. Was er wusste, wusste ich nicht, und umgekehrt."

Gerhard Berger, Mario Theissen, Frank Williams und Patrick Head

Doppelspitze zur Williams-Zeit: Gerhard Berger und Mario Theissen Zoom

"Es war einer von zehn Fällen, wo eine Doppelspitze super funktioniert hat", schildert er die Zeit bis zu Bergers Rücktritt im Herbst 2003. "Wir haben uns toll ergänzt, praktisch blind verstanden. An einen Konflikt kann ich mich nicht erinnern." Ganz im Gegenteil spricht Theissen seinem Ex-Kollegen ein Riesenkompliment aus: "Die vier Jahre mit Gerhard waren die schönsten überhaupt. Wir haben sehr viel Spaß gehabt und auch sehr viel bewegt."

Das gegensätzliche Duo feierte mit dem Sieg bei den 24 Stunden von Le Mans einen perfekten Einstieg in die gemeinsame Zeit und peitschte im Laufe des Jahres 1999 mit Testfahrer Jörg Müller ein intensives Testprogramm voran. Doch damit, dass Ralf Schumacher gleich beim ersten Rennen mit Partner Williams in Melbourne 2000 auf das Podium fahren würde, hätte im Vorfeld niemand gerechnet - auch nicht Theissen selbst.

"Wir haben vor dem ersten Rennen keine einzige Renndistanz geschafft - nicht auf dem Prüfstand und nicht auf der Strecke", gibt er zu. "Ich erinnere mich an einen Testtag im Januar in Jerez, da sind innerhalb von ein paar Stunden drei oder vier Motoren geplatzt, alle in der ersten Runde, alle in der gleichen Kurve." Dabei war die Lösung relativ simpel: "Wir haben dann verstanden, dass wir das Öl vorwärmen müssen..."