Red Bull: Konkurrenz akzeptiert FIA-Entscheidung

Rückkehr zum angeströmten Diffusor oder versteckte Traktionskontrolle? Über Red Bull wird viel spekuliert, aber niemand hat formell Protest eingelegt...

(Motorsport-Total.com) - Teamchef Christian Horner gab gerade ein Interview, als ihm gestern Morgen in Hockenheim eine Notiz unter die Nase gehalten wurde. Daraus ging hervor: Jo Bauer, der Technische Delegierte der FIA, stellte bei einer Datenuntersuchung Unregelmäßigkeiten beim Mapping der Renault-RS27-V8-Motoren im Heck der Red-Bull-Boliden von Sebastian Vettel und Mark Webber fest.

Titel-Bild zur News: Renault-Motor im Red Bull

Der Renault-Motor im Red-Bull-Heck ist Gegenstand von Diskussionen

Bauer legte die Angelegenheit den Rennkommissaren vor - mit dem Verdacht, "dass der maximale Drehmoment-Output beider Motoren im mittleren Drehzahlbereich deutlich unter dem liegt, was bei vorangegangenen Veranstaltungen gesehen werden konnte. (...) Außerdem wird dieses neue Drehzahlmapping die aerodynamischen Eigenschaften beider Autos künstlich verändern, was im Widerspruch zur Technischen Richtlinie 036-11 steht."

Die Kommissare stuften das Mapping als legal ein, stellten aber klar, dass sie "nicht alle Argumente des Teams akzeptieren", und sprachen auch bewusst vom "präsentierten Mapping", was zwischen den Zeilen suggeriert, dass man Red Bull verdächtigt, bei den Nachforschungen am Sonntag etwas anderes vorgelegt zu haben, als am Freitag und Samstag in Hockenheim verwendet wurde. Aber Tatsache ist: Man hatte keine Handhabe, Red Bull zu bestrafen.

Kein Protest gegen das Rennergebnis

Die Konkurrenzteams nahmen die Einschätzung zur Kenntnis und verzichteten auf ihr Recht, Protest einzulegen und die zweite Instanz zu bemühen. "Man muss die Entscheidung der Kommissare respektieren, denn sie haben alle Daten vorliegen. Wir haben das nicht", erklärt McLaren-Sportdirektor Sam Michael. "Wir sind uns zwar sehr sicher, was sie (Red Bull; Anm. d. Red.) machen, aber wir wissen es natürlich nicht hundertprozentig."

"Es wäre daher falsch von McLaren, eine Entscheidung der Kommissare, die zwischen der FIA, Red Bull und den Kommissaren selbst getroffen wurde, zu kommentieren. Wir vertrauen der Dateneinsicht voll und ganz", stellt der Australier klar. Sein Chef Martin Whitmarsh stimmt zu: "Ich kann nur eine emotionale, aber keine fundierte Stellungnahme dazu abgeben, da ich die Daten nicht vorliegen habe. Ich kann nur spekulieren, aber Spekulationen gab es schon genug."

"Meiner Ansicht nach ist das Treffen der Technischen Arbeitsgruppe am Montag eine gute Gelegenheit, dieser Frage nachzugehen", findet er. "Sollte entschieden werden, dass das diskutierte Mapping erlaubt ist, dann werden alle anderen eine Menge Geld in die Hand nehmen müssen, um es zu übernehmen. Es ist offensichtlich, dass die FIA von dieser Entwicklung frustriert ist. Es wäre sicherlich besser, Klarheit zu haben und solche Dinge für die Zukunft zu unterbinden."

Auch Michael wünscht sich eine Klarstellung: "Für die Zukunft braucht es Klarheit, was erlaubt ist und was nicht. Inwiefern darf der Motor dafür herangezogen werden, die aerodynamische Performance des Autos zu beeinflussen? Die Technische Direktive 36, die im Dezember des vergangenen Jahres in der aktuellen Version verfasst wurde, hält fest, was erlaubt ist und was nicht. Der Ursprung dieser Direktive geht bis Silverstone im vergangenen Jahr zurück."

Langwierige Diskussionen erwartet

"Damals wurde entschieden, den angeströmten Diffusor zu verbieten. Man muss aber unterscheiden zwischen der Direktive 36, die sich mit dem Mapping befasst, und den Richtlinien hinsichtlich der Position des Auspuffs", gibt der Australier zu Protokoll. "Das Ganze wird sicher bis Budapest ein Diskussionspunkt sein. Da die Technische Arbeitsgruppe am Montag tagt, wird das die erste Möglichkeit sein, dieses Thema zu besprechen."

Bei Red Bull nimmt man die Angelegenheit gelassen: "Wenn du ein schnelles Auto hast, werden immer Fragen gestellt", winkt Horner ab. "Das Formel-1-Business ist vom Konkurrenzdenken geprägt. Nachdem sich die Kommissare die Beweismittel und Daten angesehen hatten, waren sie vollständig überzeugt." Gegen eine Klarstellung der Regeln wehrt er sich nicht: "Es könnte weitere technische Richtlinien geben, die die Regeln genauer erklären."

Aber dass Red Bull schon wieder in den Betrüger-Topf geschmissen wird, ärgert Horner: "Es gibt keinen Paragraphen, in dem etwas vom Geist des Reglements steht. Entweder entspricht etwas den Regeln oder nicht, aber es kann nicht ein bisschen regulär sein. Die Kommissare haben sich die Diskussion angehört und Beweismittel gesichtet, nicht nur die von diesem Rennen, sondern von allen Rennen in diesem Jahr."

Denn: "Dieser Bereich der Regeln ist eine sehr komplexe Materie", räumt der Brite ein. So komplex, dass es selbst innerhalb der FIA zunächst Meinungsverschiedenheiten darüber gab, ob das, was Red Bull in Hockenheim gemacht hat, legal ist. Grundsätzlich ist vorgeschrieben, dass die Drehmomentkurve linear zur Drehzahlkurve verlaufen muss. Außerdem mussten die Motorenhersteller bei der FIA Mapping-Muster hinterlegen.

Versteckte Traktionskontrolle?

Original und Muster können zwar marginal voneinander abweichen, Bauer stellte in Hockenheim aber eine ungewöhnlich große Abweichung statt. Offenbar hatte Red Bull einen Weg gefunden, das Drehmoment im mittleren Drehzahlbereich künstlich zu reduzieren, was unter anderem zur Folge hat, dass überschüssige Energie, die nicht in den Antrieb der Hinterräder fließt, über den Auspuff rausgeschleudert wird - und dort für aerodynamische Zwecke genutzt werden kann.

Eine weitere Folge einer gedrosselten Drehmomentkurve ist eine verbesserte Fahrbarkeit beim Beschleunigen, was aufgrund der nass-rutschigen Verhältnisse in Hockenheim ein besonders großer Vorteil gewesen sein könnte. Im Grunde genommen hätte dies den Effekt einer Traktionskontrolle. Aber die FIA will das teure Spiel mit den Mappings unbedingt unterbinden - auch, weil es nicht besonders "grün" ist, unverbrauchte Energie "nur" aerodynamisch zu nutzen.

Christian Horner

Für Christian Horner ist klar, dass kein Verstoß gegen das Reglement vorliegt Zoom

Immerhin kam es zu keiner nachträglichen Entscheidung am Grünen Tisch, die den Sport wieder einmal in Misskredit gebracht hätte. "Wir verlassen uns auf die FIA, dass es mit rechten Dingen zugeht", erklärt Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali. "Ich bin ein Sportsmann. Ich gratuliere den anderen immer, wenn sie gewinnen, und ich spreche nie negativ über unsere Gegner. Ich habe vollstes Vertrauen, dass die FIA ihre Sache gut macht, sonst würde ich aufhören."

"Als ich die Notiz des Technischen Delegierten gesehen habe, habe ich zu meinen Leuten gesagt: 'Konzentriert euch auf eure Aufgabe!' Ingenieure lassen sich von so etwas manchmal ablenken, aber ich habe gesagt, sie sollen nur auf uns schauen und alles andere vergessen", so der Italiener. "Wir müssen erst genau verstehen, worum es bei dem Punkt geht, den der Technische Delegierte aufgeworfen hat, und warum die Kommissare so argumentieren."

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