• 23.09.2004 14:23

Purnell: "Derzeit finde ich kaum Schlaf"

Jaguar-Teamchef Tony Purnell über den Ford-Rückzug, die Verkaufsverhandlungen und die Zukunft der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Wir sind hier in China, auf einer außerordentlichen Anlage. Wie wichtig ist dieser erste China-Grand-Prix?"
Tony Purnell: "In den vergangenen Monaten bin ich etwas durch China gereist, und die Art, in der das Land modernisiert wurde, ist unglaublich. Das ist ein Statement, dass China kommt, und es ist eine der modernsten Nationen der Welt. Daher ist auch die Formel 1 hier, ich freue mich auf das Wochenende."

Titel-Bild zur News: Tony Purnell

Tony Purnell glaubt, dass die Zeit reicht, einen Käufer für Jaguar zu finden

Frage: "So schön der China-Grand-Prix aber auch ist, am vergangenen Freitag erreichte euch eine schlechte Nachricht. Ford wird sich aus der Formel 1 zurückziehen und das Jaguar-Team steht zum Verkauf."
Purnell: "Das ist korrekt, ja."#w1#

Frage: "Gibt es interessierte Käufer?"
Purnell: "Es gibt sehr viel Interesse. Natürlich lockt die Formel 1 viele Leute an, die diese Chance ergreifen wollen. Nun trennen wir die Käufer, die realistisch erscheinen, von den Risikointeressenten. Aber es gibt viel Interesse und ich denke, dass man zuversichtlich sein kann, einen Käufer zu finden."

Ford möchte nur einen potenten Käufer

Frage: "Der Verkauf wird ja von Ford und 'HSBC' geleitet. Werdet ihr nur an ein großes Unternehmen verkaufen, oder könnte das Team auch ein engagierter Neueinsteiger bekommen, wenn er den richtigen Preis zahlt?"
Purnell: "Wir werden nur an einen zuverlässigen Käufer veräußern. Der Kauf eines Formel-1-Teams ist dabei eigentlich die falsche Bezeichnung, es geht vielmehr darum, ein Formel-1-Team zu finanzieren. Wir werden das Team nur an jemanden abgeben, der das zwei oder drei Jahre lang garantieren kann. Dabei kommt keiner in Frage, der nur auf einen Sponsor hofft und schon zur Mitte des kommenden Jahres wieder alles schließen muss. Das wird nicht passieren."

Frage: "'Red Bull' wollte ja schon früher in diesem Jahr kaufen, aber wegen Ford kam dies nicht zustande. Nun spielt Ford ja nicht mehr diese Rolle …"
Purnell: "Der ganze Prozess ist vertraulich, ich werde also nicht über spezielle Angebote reden. Aber ich habe jeden potenziellen Käufer kontaktiert. Derzeit finde ich kaum Schlaf, denn das läuft global ab und ich bekomme Tag und Nacht Anrufe."

Frage: "Du hast vorhin erklärt, du bist in den vergangenen Monaten etwas durch China gereist. War das also nicht nur Tourismus?"
Purnell: "Ich sehe, was in diesem Land vorgeht und eines Tages, da bin sicher, werden sie in der Formel 1 dabei sein. Wie Eddie Jordan habe auch ich hier ein großes Potenzial von Sponsoren gesehen, vielleicht wäre es auch etwas für Ford gewesen. Aber leider war das Ende anders."

Purnell glaubt daran, einen Käufer zu finden

Frage: "Auch du gehörst Ford an. Glaubst du, dass sich Ford in dieser Sache richtig verhalten hat?"
Purnell: "Wenn ein Unternehmen so groß ist wie Ford, dann muss man brutale Entscheidungen treffen. Und mit der Marke Jaguar hatten sie in diesem Jahr große Probleme, sie mussten einen großen Standort schließen. Daher verstehe ich auch, warum sie diesen Schritt als notwendig erachten. Wenn man zurückblickt, dann findet man immer bessere Wege, um mit einer Situation umzugehen. Ich hoffe nur, dass es für die Angestellten gut ausgehen wird. Ich habe aus der Führungsetage von Ford nur Lob darüber gehört, wie wir in den vergangenen zwei Jahren gemanagt haben. Die Presse war gut zu uns. Aber wenn wir keinen mutigen Käufer finden, dann sagt das mehr über die heutige Formel 1 aus, als alles andere über die momentanen Beteiligten. Ford hilft uns einen Käufer zu finden, und das möchte ich mehr als alles andere."

Frage: "Wir alle hoffen, dass Jaguar Racing und Cosworth einen Käufer finden werden. Aber Eddie Jordan und Paul Stoddart haben auch schon Interesse von Käufern erfahren, es kam aber nie zum Abschluss. Glaubst du wirklich, dass ihr das Team bis zum 15. November verkaufen könnt? Bis dahin muss eine Nennung für die Saison 2005 eingegangen sein."
Purnell: "Ich glaube das absolut. Wenn dem nicht so wäre, dann wäre ich nicht hier."

Jaguar ist eine "günstige Gelegenheit"

Frage: "Was möchtest du deinen Ingenieuren und Mechanikern sagen?"
Purnell: "Der Teamgeist ist unter den gegebenen Umständen phänomenal. Sie kamen hierher, um zu zeigen, zu was das Team fähig ist, und wollen Punkte holen. Das ist die Mission für dieses Wochenende. Ich weiß, dass einige Top-Teams bereits an unsere Spitzenleute herangetreten sind. Aber sie haben gesagt: 'Nein, wir wollen hier bleiben', weil sie hier etwas haben. Ich kann mir nicht vorstellen, jemandem, der in der Formel 1 anfangen möchte, etwas Besseres zum Start in die Hand geben zu können. Die erste Hürde ist so niedrig wie noch nie. Für jeden, der seine Marke global vertreten haben möchte, gibt es keine bessere Gelegenheit als die jetzige."

Frage: "Bernie Ecclestone hat auf den Rückzug nicht überrascht reagiert und sogar positive Seiten daran gesehen. Könnten es diese Kommentare erschweren, das Team zu verkaufen?"
Purnell: "Ich denke, dass seine Kommentare am Ende neutral sind. Die Formel 1 wird daran gemessen, ob ein gutes Starterfeld mit gut finanzierten Teams und Sponsoren da ist. Im Moment gibt es eine kleine Krise, weil die Top-Teams immer mehr investieren, die anderen aber nicht. Ich fordere seit dem vergangenen Jahr, diesen Sport unter Kontrolle zu bringen. Dass muss nicht bedeuten, dass die Kosten sinken müssen, das Geschäftliche muss einfach besser werden. Bernie ist sich dessen sehr wohl bewusst und er wird auch dementsprechende Maßnahmen ergreifen."

Frage: "Wenn ihr einen Käufer findet, was wird eigentlich genau verkauft?"
Purnell: "Sehr viel - Windkanäle, Maschinen, Belegschaft, den Eintrag im Concorde-Agreement, eben alles."

Motorenfrage für unabhängige Teams muss gelöst werden

Frage: "Diese Strecke hier setzt nun neue Maßstäbe. Wie sollen wir in Europa da mithalten? Bekommen wir wegen der Tradition, wir haben die Formel 1 ja groß gezogen, einen Ausgleich?"
Purnell: "Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass wir mehr Rennen haben werden. Die Formel 1 zieht viel Publikum an. Die Leute wollen es sehen, es erscheint mir daher nur logisch, mehr Rennen auszutragen. Ob das die Teams nun anstrengend finden werden oder nicht, aber in Zukunft wird es mehr Rennen geben, damit können dann auch die großartigen Veranstaltungen in Europa bleiben und die neuen Strecken werden dennoch genutzt."

Frage: "Wenn es aber so viel Geld in der Formel 1 gibt, und die Nachfrage nach Rennen ungebrochen ist, warum haben die kleinen Teams Schwierigkeiten, in der Formel 1 zu überleben?"
Purnell: "Das funktioniert noch. Die Teamkosten und die Sponsoreneinnahmen heben sich gegenseitig auf. Aber bei den Sponsoren gibt es noch einen regen Markt, aber du musst ihnen erzählen können, wie gut du sein könntest. Das ist natürlich schwierig, wenn du deine Motoren kaufen musst. Damit geht Geld, was für das Auto gut wäre, in den Motor. Du möchtest den Sponsoren aber erzählen können, dass du es ganz nach vorne schaffen kannst. Dafür brauchst du wiederum einen modernen Motor. Wenn die unabhängigen Teams eine Zukunft haben, dann wird diese mit der Motorenlieferung entschieden werden. Wenn man einen guten Job macht, dann bekommt man viele Sponsoren. Wenn man in Probleme gerät, dann wird es schwierig. Aber wenn man Probleme hat, kann man nicht noch unzählige Millionen in den Motor investieren. Für unabhängige Teams gibt es keinen Platz, bis das nicht gelöst ist. Aber, ist das fair?"