• 07.09.2014 07:59

  • von Rencken, Fritzsche, Sharaf & Wittemeier

"Neue" Parabolica: Das Urteil vor dem Rennen

Was die Fahrer nach den Trainings und dem Qualifying von der Neugestaltung der Auslaufzone in der Parabolica-Kurve halten

(Motorsport-Total.com) - Die Veränderungen im Bereich der Parabolica war im Vorfeld des Monza-Wochenendes einer der großen Aufreger. Nach Jahrzehnten, in denen die legendäre Schlusskurve des Autodromo Nazionale di Monza auf der Außenseite von einem Kiesbett geprägt war, findet sich dort nun zunächst eine breite Asphaltfläche. Erst dann beginnt das - inzwischen deutlich kleinere - Kiesbett.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton in der Parabolica

Lewis Hamilton in der Parabolica, auf deren Außenseite nun Asphalt liegt Zoom

Wie beurteilen die Piloten nach den ersten beiden Trainingstagen die Veränderungen, die sich nicht nur optisch, sondern auch auf die Arbeit im Cockpit auswirken? "Du kannst an dieser Stelle jetzt mehr Risiko eingehen", sagt Lewis Hamilton nach seiner Fahrt auf die Pole-Position und vergleicht: "In der Vergangenheit war es eine dieser Kurven, in der du keinesfalls zu weit nach außen kommen durftest, weil du dich sonst direkt im Kiesbett wiederfandest. Dort erst einmal wieder herauszukommen, war gar nicht so einfach."

"Jetzt kann man an dieser Stelle viel aggressiver fahren", so Hamilton weiter. An der Einstellung bei der Einfahrt in die Kurve habe sich für den Mercedes-Piloten aber nichts geändert. "Ich biege mit der gleichen Denkweise wie früher in die Kurve ein. Der Unterschied ist, dass man jetzt weiß, dass es im Notfall ein Sicherheitspolster gibt, wenn das Auto zu stark übersteuert oder wenn man den Ausgang nicht perfekt trifft."

Fahrer beziehen Auslaufzone in die Linie ein

"Ich habe schon ein wenig mehr riskiert und habe einfach ein bisschen mehr Strecke benutzt", offenbart Adrian Sutil, um anzufügen: "Man kann da halt ein bisschen auf das Grüne raus, aber es gibt da nicht so viel Grip. Es hat schon ein bisschen weniger Grip als auf der Strecke. Da gewinnt man nicht unbedingt. Man kann eine weitere Linie fahren, aber es gibt dann ein bisschen Übersteuern."

"Ich nutze den zusätzlichen Platz und ich bin sicher, dass das auch alle anderen tun. Er wird dir gegeben, also nimmst du ihn auch in Anspruch." Daniel Ricciardo

"Für die Sicherheit ist es großartig", bemerkt Daniel Ricciardo. "Wenn man sich dreht, dann bremst es dich stärker ab. Der Nachteil ist: Man braucht nicht mehr so viel Mut. Ich nutze den zusätzlichen Platz und ich bin sicher, dass das auch alle anderen tun. Er wird dir gegeben, also nimmst du ihn auch in Anspruch", grinst der Australier.

"Wir beziehen die asphaltierte Auslaufzone durchaus in die Linie ein", bestätigt Esteban Gutierrez und geht ins Detail: "Im Wissen, dass das nun möglich ist, fährt man die Kurve auch ein wenig anders an. Man hat verglichen mit dem vergangenen Jahr einfach mehr Spielraum."

Drainage hält Hinausfahren im Rahmen

Parabolica

Die Drainage hält die Piloten von übertriebenem Ausholen ab Zoom

Überhand nimmt das weite Ausholen bisher nicht. "Ich hätte es ehrlich gesagt schlimmer erwartet", gesteht Nico Hülkenberg. "Ich hätte erwartet, dass dort wirklich jeder in jeder Runde rausfährt und die asphaltierte Auslaufzone nutzen kann." Doch dem ist nicht so, wie der Force-India-Pilot betont: "Der Grip ist da draußen deutlich niedriger. Zudem gibt es dort die Drainage. Deren Löcher sind für die Aerodynamik nicht gut, also halten wir uns davon eher fern."

Positiv auf die Rundenzeiten wirken sich die Umbauten also nicht aus. Dennoch haben sie Auswirkungen auf die Fahrweise, wie McLaren-Pilot Jenson Button erklärt: "Jetzt, da die Auslaufzone der Parabolica neu gestaltet wurde, biege ich mit deutlich höherem Tempo ein. Man wird für einen Fehler ja nicht mehr bestraft, weil es jetzt kein Kiesbett mehr gibt."

Sebastian Vettel sieht es genauso. "Die Chance, einen Fehler zu machen, ist geringer. Man kann trotzdem noch Zeit verlieren, aber man wird nicht mehr so sehr bestraft wie zuvor", so der viermalige und amtierende Weltmeister. "Das Ganze ist jetzt einfach mit weniger Risiko verbunden", bestätigt Valtteri Bottas.

Fluch oder Segen?

Ist der Umbau nun positiv oder negativ? Jean-Eric Vergne hat dazu eine klare Meinung. "Um ehrlich zu sein gefiel mir die alte Version besser", spricht sich der Toro-Rosso-Pilot für die herausfordernde, weil weniger Fehler verzeihende Kiesbett-Variante aus. Button hingegen rätselt noch: "Ich bin mir noch immer nicht sicher, was ich davon halten soll."

"Die Kurve am Limit richtig zu nehmen, ist eine größere Herausforderung, wenn es gleich Kiesbett statt Asphalt gibt." Sebastian Vettel

Auch Vettel ist hin- und hergerissen "Wenn jemand abfliegt und die Bande berührt, dann lieber so", spricht sich der Weltmeister für die Asphaltvariante aus, "aber die Kurve am Limit richtig zu nehmen, ist eine größere Herausforderung, wenn es gleich Kiesbett statt Asphalt gibt."

"Ich schätze, wir würden uns ein wenig mehr Risiko wünschen. Es ist schwierig, aber so ist es nun einmal", sagt Ricciardo. Auch für Hülkenberg steht fest: "Im vergangenen Jahr war der Reiz größer, denn wenn außen Gras und Kies wartet, dann weißt du genau, dass dein Rennen gelaufen ist, wenn du dort zu weit nach außen kommst. Jetzt kann man sein Rennen, auch wenn es mal schiefgeht, immer noch retten."

Sicherheit das A und O

Doch die Umbaumaßnahmen in der Parabolica geschahen natürlich nicht, um den Herren Formel-1-Piloten die Aufgabe zu erleichtern. "Das oberste Ziel muss es immer sein, die Autos und die Strecken sicherer zu machen. So gesehen verstehe ich, warum man in der Parabolica Hand angelegt hat", sagt Romain Grosjean und kommt zum selben Schluss wie seine Kollegen: "Die Kurve ist jetzt nicht mehr so heikel."

Parabolica

Blick vom Kurveneingang der Parabolica in Richtung der neuen Auslaufzone Zoom

Auch Fernando Alonso verweist in seinen Ausführungen auf das Thema Sicherheit: "Dank der Bemühungen der FIA wird die Sicherheit von Jahr zu Jahr weiter verbessert. Man nehme nur einmal das HANS-Device, das verstärkte Helmvisier oder eben auch die asphaltierten Auslaufzonen."

"Wir sehen heutzutage weniger Unfälle, weniger Verletzungen und weniger Tote. Die Richtung stimmt also. Sicherlich, einige der Kurven haben dadurch etwas an Reiz verloren. Das müssen wir aber akzeptieren, ganz einfach, weil die Vorteile in Sachen Sicherheit überwiegen", so Alonso.

"Natürlich ist es schade, weil der Reiz ein bisschen verlorengegangen ist", bemerkt Nico Rosberg. "Doch wir alle müssen an das Thema Sicherheit denken. Diese Kurve war schließlich eine der gefährlichsten im gesamten Kalender. Daher denke ich, dass es richtig war, was getan wurde", urteilt der aktuelle Tabellenführer in Diensten des Mercedes-Teams.