• 05.09.2014 00:04

  • von Rencken, Reyer, Sharaf & Wittemeier

Uneinigkeit bei Fahrern über Parabolica-Auslaufzone

Die Fahrergemeinschaft könnte nicht gespaltener sein über die neue asphaltierte Auslaufzone der Parabolica in Monza - Die Mehrheit der Piloten ist nicht begeistert

(Motorsport-Total.com) - Es war eines der meistdiskutierten Themen im Vorfeld des Grand Prix von Italien: die asphaltierte Auslaufzone der Parabolica auf dem Autodromo di Monza. Erste Bilder kursierten in den sozialen Medien, und natürlich wurden auch aktuelle und ehemalige Formel-1-Fahrer zu dem polarisierenden Thema befragt. Es taten sich Gräben zwischen sicherheitsbewussten Befürwortern und old-school Gegnern auf.

Titel-Bild zur News: Parabolica

(Fast) alles Asphalt: So sieht die "neue" Parabolica in Monza aus Zoom

"Das ist einfach eine moderne Variante", meint Sauber-Pilot Adrian Sutil. "Wir haben das fast auf jeder Rennstrecke, deswegen ist das jetzt keine Überraschung." Für den Deutschen ist es kein Aufreger, weil die Kurve an sich gleich geblieben ist: "Jetzt hat man ein bisschen mehr Toleranz, wenn man einen Fehler macht. Das kann für einen gut sein, oder es kann für einen schlecht sein -wenn man hinter einem ist, und der macht einen Fehler, der nicht bestraft wird. Da sind wir in den vergangenen Jahren immer ziemlich knapp am Gras vorbeigefahren. Ein bisschen zu weit, und schon hast du das Auto verloren."

Nun würde mit mehr Risiko gefahren werden. Ob es dadurch auch mehr Ausrutscher geben wird? "Das glaube ich nicht. Man wird die Ausrutscher wahrscheinlich gar nicht sehen, sondern fährt einfach über die weiße Linie."

Was ist besser? Mit oder ohne Asphalt?

Sein deutscher Kollege Nico Hülkenberg ist da anderer Meinung: "Ich bin nicht besonders begeistert davon, kenne aber auch die Hintergründe dazu nicht in ihrer Gänze. Ich denke, es wurde uns eine große Herausforderung genommen. Es war die Schlüsselkurve zu einer schnellen Runde. Und jetzt werden wir uns an diesem Wochenende vermutlich öfter über die Streckenbegrenzung unterhalten."

Was ist nun also besser? Eine Auslaufzone mit oder ohne Asphalt? "Ich glaube, das ist individuell zu betrachten. Für manche Kurven ist das besser, für manche Kurven ist das besser. Ich glaube, dass kann man nicht pauschal sagen. In der Parabolica kommt ja noch ein Kiesbett, aber es ist um die Hälfte reduziert worden. Wie gesagt: Es kommt auf den jeweiligen Vorfall an."

Für den Force-India-Pilot geht nun der Nervenkitzel verloren: "Es war immer eine Schlüsselkurve. Eine Runde, die bis dahin super war, konnte man dort in der Vergangenheit wegwerfen. Es war superschwierig, mit diesen Autos mit den kleinen Heckflügeln mit 170 oder 180 km/h durch diese Kurve zu fahren. Es war immer ein Ritt auf der Rasierklinge, eine echte Mutkurve." Er fügt hinzu: "Diese Kurve hat man jetzt etwas kastriert, indem da nun Asphalt ist. In der Folge werden wir jetzt wieder diskutieren, wie in Österreich in der letzten Kurve. Das wird schwierig." Beim Österreich-Grand-Prix gab es große Diskussionen über das Überfahren der weißen Linie in der letzten Kurve, im Qualifying bedeutete das die Streichung der gezeiteten Runde.

Ist der Kunstrasen das eigentliche Problem?

Lotus-Pilot Romain Grosjean kann sich nicht zu einer klaren Meinung durchringen: "Parabolica war eine der Kurven, bei der man in der Anbremszone hart auf die Bremse getreten hat, weil man wusste, dass das Kiesbett da war. Wenn man mit einem Rad auf den Kies gekommen wäre, dann wäre man normalerweise in der Wand geendet. Man bremst spät. Es ist eine Kurve, bei der wir viel Geschwindigkeit im Kurveneingang mitnehmen." Nun würde der Asphalt die Entscheidung auf den letzten drei Metern ein wenig einfacher machen. "Es ist immer noch eine schwierige Kurve, aber wenn man ein wenig weiter rauskommt, ist das nicht mehr so schlimm wie zuvor."

Der Franzose meint auch, dass man ein wenig das Gespür verlieren wird. Jetzt mache es einen glücklicher, wenn man weiter rauskäme. Er spricht einen weiteren Aspekt an, der nicht unwesentlich ist in der Parabolica: der Kunstrasen. "Außerdem gibt es ja noch Astroturf außen, und bei 250 oder 280 km/h möchte man nicht wirklich mit den Rädern auf dieses Zeug kommen. Ich denke nicht, dass es ein großes Problem darstellen wird."

Den Kunstrasen spricht auch McLaren-Fahrer Jenson Button an: "Ich habe mir den Ausgang noch nicht angesehen, aber ich habe gehört, dass da immer noch Astroturf ist. Du kannst nicht auf Astroturf fahren, wenn du sowieso schon seitwärts daherkommst, weil du sonst in der Mauer landest. Ich bin mir sicher, dass es nicht einfacher ist als zuvor." Generell sieht der Brite aber ein, dass die Sicherheit der Sinn hinter der Umgestaltung der Auslaufzone ist.

Perez: "Monza war eine Ikone"

Sein Teamkollege Kevin Magnussen hingegen ist ebenfalls nicht begeistert von dem Umbau. Der Däne meint dazu in der FIA-Pressekonferenz am Donnerstag: "Ich denke, wir werden mehr Risiko nehmen. Du kannst jetzt von der Strecke abkommen und einfach wieder zurückkommen. Ich bin kein Fan davon."

Der Rookie glaubt, dass es zur Erfahrung von Rennfahrern beiträgt, wenn man auf Strecken fährt, die viel Risiko verlangen. Er betont aber: "Wir sollten der Sicherheit nicht schaden. Wir machen die Strecke durch Kies aber auch nicht unsicherer."


Fotos: Großer Preis von Italien


Auch der ehemalige Formel-1-Pilot Karun Chandhok ist ein Gegner des Asphalts: "Ich habe heute morgen ein Bild gesehen, wo sie das Kies und Gras bei der Parabolica in Monza durch eine asphaltierte Auslaufzone ersetzen. Gesundheit und Sicherheit ruinieren den Motorsport", so der Inder gegenüber 'Exklusive Sports Media'. "Ich weiß, dass wir die Strecken sicherer machen müssen, aber das nimmt die Herausforderung."

Massa: "Die Kurve ändert sich nicht"

Einer der erfahrensten Piloten im Feld ist Felipe Massa. Der Williams-Fahrer ist durchaus positiv gestimmt, was die Veränderungen in Monza angeht: "Viele haben sich beschwert. Ich sehe aber nichts, was unsere Linie oder die Herangehensweise an diese Kurve verändern würde." Er fordert Strafen, sollten Fahrer zu weit von der Ideallinie abkommen.

"Ich verstehe jedenfalls nicht, warum sich die Leute so ereifern. Für mich hat sich nichts verändert. Sicherheit ist natürlich etwas sehr Wichtiges. Und man hat ja auch nur die Auslaufzone der Kurve verändert, nicht die Kurve an sich. Hätte man die Parabolica verändert, dann wäre ich nicht damit zufrieden gewesen. Die Kurve hat man aber nicht angefasst, nur ihre Auslaufzone", und daher verstehe der Brasilianer die vielen Beschwerden nicht. "Für mich hat sich also nichts verändert."

Ebenfalls heißblütig, aber keinesfalls der gleichen Meinung mit Massa, ist Force-India-Pilot Sergio Perez. Er ist aufgebracht über die Veränderungen: "Ich bin nicht wirklich happy, weil die Parabolica niemals ein Risiko für die Fahrer war. Wenn du einen Fahrfehler gemacht hast, warst du eben im Kiesbett."

Montoya: "Ist doch alles okay"

Für den Mexikaner war die Parabolica eine Ikone: "Es ist schade. Ich sehe keinen Grund für die Veränderung. Das einzige, was sich ändert, ist das Selbstvertrauen, mit dem du dort ankommst." Für den Ex-Formel-1-Piloten Juan Pablo Montoya ist die Asphaltierung "okay", wie er 'Motorsport-Total.com' erzählt. "Es ist nicht so schlecht. Man hat mehr Platz, aber die Parabolica ist gar nicht so schnell, wie die Leute denken." Er ergänzt: "Ich habe nie gedacht, dass sie schnell ist. Ascari ist viel schneller und erfordert viel mehr Eier als die letzte Kurve."

Sauber-Pilot Esteban Gutierrez wirft einen ganz neuen Aspekt in die Diskussion ein: das Thema Logistik. "Ich glaube nicht, dass sie zu gefährlich war. Ich denke, die Veränderung hat etwas mit der Logistik zu tun." Denn: "Wenn ein Auto dort rausflog, gab es längere Gelb-Phasen. Jetzt sieht man dort vielleicht weniger gelbe Flaggen."

"Ascari ist viel schneller und erfordert viel mehr Eier als die letzte Kurve." Juan Pablo Montoya

Marussia-Fahrer Max Chilton ist kein großer Fan der "neuen" Parabolica. "Es erlaubt uns risikoreichere Überholmanöver, aber ich verstehe nicht, warum man Asphalt rundherum machen musste. Es war ein toller alter Kurs, wo man auf die weiße Linie kam, und wenn man zu weit rauskam, ins Kiesbett rutschte. Jetzt kommen wir damit einfach so davon."

Alonso: Es gab schon früher Gespräche

Und auch Williams-Pilot Valtteri Bottas sieht es ähnlich: "Ich denke, dass es vergangenes Jahr etwas herausfordernder war. Am Ausgang waren die Räder auf der weißen Linie und du wusstest, wenn du ein paar Zentimeter drüber bist, fliegst du von der Strecke. Jetzt ist es egal. Du musst nur zwei Räder auf der Strecke halten und das war's."

Ferrari-Pilot Fernando Alonso ist nicht dieser Meinung. Er erzählt, dass es in der Vergangenheit schon Gespräche über den Kurveneingang gegeben hat, weil man Bedenken hatte: "Wenn du ein Bremsversagen hast und dann sofort ins Kies und in die Reifen schlitterst." Doch vom restlichen Teil wusste der Spanier nichts: "Vom Mittelteil bis zum Ausgang der Kurve war es auch für uns eine Überraschung. Wenn du jetzt aufs Gras kommst, hast du auch ein Gebrechen am Auto. Ich denke nicht, dass es einfacher geworden ist", teilt er eine Meinung mit Button.

Parabolica

Alonso: "Am Ausgang der Kurve ist immer noch Kunstrasen. Es wird nicht einfacher." Zoom

Teamkollege Kimi Räikkönen sieht eine erneute Diskussion über Streckenbegrenzungen aufflammen, wie es auch Massa und Hülkenberg schon angesprochen haben. "Ich habe es mir noch nicht angesehen. Es handelt sich aber um eine schnelle Kurve, in der man leicht von der Linie abkommt, vor allem am Ausgang. Dort kann man ziemlich üble Unfälle haben, wenn man erst einmal im Kiesbett landet. Dann kannst du nicht mehr viel machen. Asphalt ist da eine große Hilfe."

Mercedes-Piloten auch in dieser Frage uneinig

"Wir werden wieder Beschwerden kriegen, dass da einer mit vier Rädern über der weißen Linie war, dass sich jemand einen Vorteil verschafft hat und dergleichen mehr. So ist es ja auf jeder Strecke, wo die Auslaufzonen aus Asphalt sind." Dies sei ein Vorteil, weil die Autos nicht kaputtgehen würden. Ein Fehler koste einem dann nicht sofort das ganze Rennen, so der Finne.

Sein Kumpel Sebastian Vettel drückt sich schon sehr viel bestimmter aus: "Ist ein bisschen schade. Aus Fahrersicht ist man immer aufs Kiesbett zugefahren und wusste, dass man das genau treffen muss, sonst wird man sehr dafür bestraft. Natürlich kann man jetzt auch noch Fehler machen und auch dafür bestraft werden. Gerade am Ausgang war es ein Tanz auf Messersschneide auf dem Kurs zu bleiben und den ganzen Speed mitzunehmen auf die lange Gerade. Wenn man's dann ein bisschen falsch erwischt hat, war man direkt auf der Wiese und dann hat es einen direkt nach draußen gezogen. Es gab auch immer wieder Unfälle da, das fällt natürlich jetzt weg." Trotzdem: "Was toll ist für die Sicherheit, aber das Kribbeln fehlt ein bisschen."

Die beiden Titel-Kontrahenten Nico Rosberg und Lewis Hamilton haben auch in dieser Frage geteilte Meinungen. Der Brite erklärt: "Die FIA ist sehr sicherheitsbewusst, und davor sollte man nicht zurückschrecken. Das ist ein sehr wichtiges Thema. Ich bin aber von der alten Schule, also hätte ich gerne die alten Strecken zurück, wie in den 90er-Jahren ohne Asphalt. Wenn du einen Unfall hast, dann verlangsamt der Asphalt das Auto. Es ist eine gute Sache, aber man kann eben nicht alles haben."

WM-Führender Rosberg sieht hingegen nur Positives in der Umgestaltung: "Es war eine der riskanten Kurven, die wir im Kalender hatten. Es macht die Dinge jetzt um einiges einfacher, also ist das die richtige Richtung, in die man geht."