Muss die Formel 1 Anleihen bei der GP2 nehmen?
Für mehr Action auf der Rennstrecke könnte sich die Formel 1 bei der GP2 etwas abschauen - Obergrenze für Downforce wird diskutiert
(Motorsport-Total.com) - Die kürzlich durchgeführte Fanumfrage der FIA hat unter anderem ergeben, dass sich eine große Mehrheit des Formel-1-Publikums mehr Überholmanöver wünscht. Daraufhin brachte FIA-Präsident Max Mosley den Vorschlag einer Obergrenze für den Anpressdruck ein, den ein Auto maximal produzieren darf. Die Teams scheinen sich mit dieser Idee bereits angefreundet zu haben.

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In den Windkanälen der Formel 1 wird um jede Hundertstelsekunde gefeilscht
Im Klartext würde dies bedeuten, dass im Reglement nicht mehr über Flügeldimensionen und vergleichbare Paragrafen der Anpressdruck reguliert werden muss, sondern die FIA könnte vorschreiben, dass der Abtrieb, den ein Fahrzeug maximal bei einer bestimmten Geschwindigkeit generieren darf, eine gewisse Anzahl an Newton nicht überschreiten darf. So könnte man die Kurvengeschwindigkeiten langfristig kontrollieren und die immense aerodynamische Weiterentwicklung, die jedes Jahr viele Millionen Euro verschlingt, sinnvoll eindämmen.#w1#
Mosleys Obergrenze findet bei den Teams durchaus Gehör
"In den letzten Jahren wurde fast jeden Winter das Bodywork geändert, aber in Wahrheit werden die Autos trotzdem von Saison zu Saison schneller und aerodynamisch ausgereifter", outete sich beispielsweise Ferraris Technischer Ross Brawn als Befürworter der Mosley-Idee. "Die Teams müssten ihre Aufmerksamkeit dann mehr auf die Effizienz und die Stabilität umlenken, weil man sowieso nichts davon hätte, noch mehr Abtrieb zu suchen."
Dass damit auch eine Kostenersparnis einhergehen würde, freut vor allem Pat Symonds, den Chefingenieur von Renault: "Natürlich würden die Teams weiterhin das Geld im Windkanal ausgeben, denn selbst wenn der maximale Abtrieb vorgegeben ist, kann man den Luftwiderstand verringern, aber das würde immerhin bedeuten, dass man für einen Betrag von beispielsweise einer Million Euro weniger effektiven Nutzen bekäme", erklärte der Brite gestern in São Paulo.
Die Teams werden immer all ihr Geld ausgeben
Das heißt, dass die Topteams weiterhin ihre bisherigen Budgets verbraten würden, allerdings würden sie für ihr ausgegebenes Geld weniger große Fortschritte erzielen. Dadurch könnte die Kluft zwischen den großen und kleinen Rennställen langfristig etwas kleiner werden. Auf so eine Entwicklung spekulieren bekanntlich ja auch Halbprivatiers wie Dietrich Mateschitz (Red Bull) und Alexander Shnaider (Midland), die in einer billigeren Formel 1 den Automobilherstellern einheizen wollen.
Abgesehen vom Kostenfaktor ließe sich die Formel 1 über ein Anpressdrucklimit langfristig kontrollieren, denn momentan bringen die Änderungen von Jahr zu Jahr so wenig, dass das Reglement immer wieder angepasst werden muss. Wenn ein Team jedoch bereits maximalen Anpressdruck erreicht hat, kann es auch in der kommenden Saison nicht mehr davon finden. Dadurch wären die Kurvengeschwindigkeiten auf viele Jahre hin mehr oder weniger konstant.
Prinzipiell glauben die Technischen Direktoren der Formel-1-Teams aber, dass man sich vor allem etwas überlegen muss, um wieder mehr Überholmanöver zu ermöglichen. Dabei mehren sich die Stimmen, die fordern, dass von der GP2-Serie Anleihen genommen werden sollten. Sprich: Mehr Downforce vom Unterboden, weniger von den Flügeln. Dadurch könnte man einem vorfahrenden Auto aufgrund der geringfügigeren Luftverwirbelungen wieder besser folgen - ein in der GP2-Serie bestens bewährtes Konzept.
Willis und Michael verfolgen die GP2 sehr genau
"Es gibt einige Rennserien", gab Geoff Willis von BAR-Honda zu Protokoll, "in denen man attraktive Rad-an-Rad-Duelle sehen kann, zum Beispiel die GP2 oder die IRL. Ich denke, dass wir darüber nachdenken sollten, den Anpressdruck vermehrt über den Unterboden und weniger über die Flügel zu generieren. Jedenfalls müssen wir an dieses Thema sehr wissenschaftlich und fundiert herangehen, damit wir uns nicht genau in die falsche Richtung entwickeln."
In den vergangenen Jahren wurde der Anpressdruck in der Formel 1 vor allem durch Veränderungen der aerodynamischen Vorschriften reguliert. So mussten zum Beispiel die Frontflügel immer höher gesetzt werden, was Downforce zwar reduziert, gleichzeitig aber Überholmanöver schwieriger macht. In der GP2 wird hingegen mit tiefen Frontflügeln und seitlichen Schürzen gefahren, was in der Königsklasse seit vielen Jahren verboten ist.
GP2-Konzept: Durch Zufall Ideengeber für die Formel 1?
"In der GP2", meinte Sam Michael, Technischer Direktor von WilliamsF1, "ist das eher zufällig passiert, aber dabei sind sie über ein paar Sachen gestolpert, die sich als nützlich erweisen könnten. Anfangs dachte ich, dass nur so viel überholt wird, weil es ein paar außergewöhnliche Fahrer gibt, aber eigentlich sind nur die besten fünf Fahrer dem Rest überlegen. Außerdem gibt es in der GP2 Zweikämpfe an Stellen, in denen das früher nie denkbar gewesen wäre. Da muss also mehr dahinter stecken."
"Wir sind in der Formel 1 in den letzten zwei oder drei Jahren leider genau den entgegengesetzten Weg gegangen", fuhr der Australier fort. "Man muss sich nur den Frontflügel anschauen: Wir haben ihn immer weiter angehoben. Dadurch ist es uns zwar gelungen, die Rundenzeiten zu verlangsamen, was das primäre Ziel war, aber es macht es auch schwieriger, anderen Autos zu folgen. In Zukunft müssen wir uns daher jede Änderung erst genau überlegen."
Dass der Ist-Zustand nicht länger tragbar ist, darin sind sich jedenfalls alle einig. Die Prozessionen in der Formel 1 gehen sogar so weit, dass mancher Fahrer, der eigentlich schneller fahren könnte als sein Vordermann, lieber auf den ersten Boxenstopp wartet, um vorbeizukommen. An Überholmanöver ist auf vielen Strecken gar nicht mehr zu denken, weil man sich nur schwer näher als 50 Meter an den Vordermann heransaugen kann.
1,5 Sekunden schneller, trotzdem kein Überholmanöver...
"Vor ein paar Rennen", erinnerte sich Brawn, "habe ich Michael (Schumacher; Anm. d. Red.) gefragt, um wie viel schneller er fahren könnte, wenn Trulli vor ihm weg wäre. Er meinte am Funk, er könne nicht schneller. Als Trulli dann aber tatsächlich an die Box abgebogen ist, war Michael plötzlich um 1,5 Sekunden schneller. Davor hatte er diese Performance aber nicht zur Verfügung, weil sich das Auto hinter einem anderen Auto einfach nicht befriedigend verhielt."
Diesem Missstand soll ein Ende gesetzt werden. Die schlauen Köpfe der Formel 1 diskutieren gravierende Regeländerungen für die Saison 2008, doch die FIA drängt auf raschere Lösungen. 2006 wird es jedoch mit Sicherheit noch keine absolute Obergrenze für Anpressdruck geben, denn die neuen Autos sind großteils schon so gut wie fertig und warten nur noch auf den letzten Feinschliff. Vorerst wird sich also nicht allzu viel verändern...

