Welchen Effekt die überraschende Antonelli-Pace auf Verstappen hatte

Max Verstappen musste sich in Kanada mit Mercedes auseinandersetzen, doch anstatt anzugreifen, musste er sich gegen Andrea Kimi Antonelli wehren

(Motorsport-Total.com) - Nach dem Großen Preis von Kanada erklärte Max Verstappen, er habe in Montreal sowohl angreifen als auch verteidigen müssen. Doch war Red Bulls Strategie tatsächlich offensiv - oder ging es vor allem darum, Andrea Kimi Antonelli abzuwehren? Und was sagt das über den Reifenverschleiß aus?

Titel-Bild zur News: Andrea Kimi Antonelli (Mercedes) und Max Verstappen (Red Bull RB21) beim Formel-1-Rennen in Kanada 2025

Beinahe wäre Antonelli ein erfolgreiches Manöver gelungen Zoom

"Die sind schneller, also denke ich gar nicht daran", sagte Max Verstappen am Medientag in Montreal auf die Frage, ob er mit einem Sieg rechne. Mit "die" meinte der amtierende Weltmeister McLaren. Wie viele andere erwartete Verstappen einen weiteren Sieg für das papaya-orange Team und einen Kampf mit Mercedes um den letzten Podiumsplatz.

In der Realität trafen zwei Teile seiner Prognose zu: Ja, es wurde ein Duell mit Mercedes - und ja, es ging tatsächlich um ein Podium. Allerdings überraschend um die oberste Stufe, denn McLaren war nicht so stark wie erwartet. Zwar war das Renntempo von Lando Norris und Oscar Piastri - besonders im letzten Stint - leicht besser, doch nicht ausreichend, um sich problemlos nach vorn zu arbeiten.

Red Bulls Reifenverschleiß höher als erwartet

Ein Blick auf die Longruns vom Freitag zeigt ein ähnliches Muster: Ein Aspekt übertrug sich ins Rennen, zwei nicht. Die Daten zeigten, dass McLaren, Red Bull (genauer gesagt Verstappen) und Mercedes enger beieinander lagen als bei den meisten bisherigen Rennwochenenden. Das zeigte sich auch im Rennen, besonders im letzten Stint.

Doch nicht alles lief wie erwartet: Mercedes managte seine Pirelli-Reifen deutlich besser, vor allem da der Sonntag sonniger und wärmer war als die Tage zuvor. "Normalerweise, wenn ich einen Pullover trage, korreliert das mit unserer Leistung! Aber heute waren die Streckentemperaturen über 50 Grad, und wir waren trotzdem dominant", wunderte sich Toto Wolff. Der Österreicher nannte unter anderem die neue Hinterradaufhängung als Erfolgsfaktor.

Während Mercedes die Reifen besser schonte als gedacht, war es bei Red Bull genau umgekehrt. Am Freitag war man noch minimal langsamer als McLaren, zeigte aber ermutigende Werte beim Reifenabbau pro Runde. Dass sich das Bild am Sonntag änderte, überraschte auch Red Bull.


Fotostrecke: Montreal: Die Fahrernoten von Marc Surer und der Redaktion

"Unser Reifenverschleiß war überraschend hoch", gestand Helmut Marko. "Ich glaube, Max hat in den ersten Stints zu sehr gepusht, um mit Russell mitzuhalten. Aber die größte Überraschung war Mercedes. Die waren richtig schnell im Rennen und hatten nicht die Reifenprobleme, die wir erwartet hatten."

Diese beiden Faktoren prägten das Rennen, über das Verstappen sagte: "Wir sind sowohl ein Angriffs- als auch ein Verteidigungsrennen gefahren. Die Strategie war offensiv, aber auf der Strecke musste ich die meiste Zeit in den Rückspiegel schauen."

Der Niederländer ergänzte, dass ihm die Pace fehlte, um auf den Sieg zu gehen. "Ich konnte überhaupt nicht angreifen - keine Chance. Es ging eher um Schadensbegrenzung und darum, nicht zu übertreiben. Wir hinken noch hinterher."

Teamfunk zeigt: Red Bulls Strategie galt vor allem Antonelli

Zwar bezeichnete Verstappen die Strategie als offensiv - zwei Undercuts sprechen für sich - doch in Wahrheit war sie eher defensiv. Die frühen Boxenstopps dienten in erster Linie dazu, Verstappen vor dem heranstürmenden Andrea Kimi Antonelli zu schützen.

Der junge Italiener holte am Ende der ersten beiden Stints rasant auf. Im direkten Duell wäre Verstappen auf alten Reifen verwundbar gewesen, weshalb Red Bull früh reagierte. Ja, ein Undercut ist normalerweise ein Angriff, in diesem Fall aber ein Verteidigungsmanöver.

Am Ende von Runde 12 - kurz bevor Verstappen an die Box fuhr - war Antonelli auf der langen Geraden fast neben ihm, und an Verstappens Vorderreifen links war bereits Graining zu erkennen.

Red Bulls Undercut, um Platz zwei zu halten, funktionierte: Verstappen kam mit 2,5 Sekunden Vorsprung auf Antonelli wieder raus. Bemerkenswert: Der Rookie konnte nicht sofort reagieren. Russell wurde eine Runde nach Verstappen hereingeholt, um die Strategie zu decken - Antonelli musste länger draußen bleiben und verlor in zwei Runden rund 2,5 Sekunden auf den alten Reifen.

Dieser kleine Zeitverlust kündigte den zweiten Boxenstopp an, bei dem Antonelli sofort reagieren konnte. Das Muster wiederholte sich: Verstappen zog zu Beginn des Stints weg, doch Antonelli kam wieder näher, weil seine Reifen länger hielten. Der 18-Jährige war sogar kurz davor, den Overcut erfolgreich umzusetzen.

Verstappen stoppte am Ende von Runde 37 mit 0,8 Sekunden Vorsprung. Wie der Funk zeigte, war es ein später Aufruf - erneut mit Blick auf Antonelli. "Box, box, Max", hieß es - Verstappen antwortete: "Ich bin schon drin", und schaffte es gerade noch rechtzeitig. Direkt nach dem Boxenausgang folgte der Hinweis: "Antonelli-Pace: 15,4."


Dann: "Okay, Antonelli in der Boxengasse. Es wird eng, drück den Overtake-Knopf." Verstappen folgte der Anweisung auf der langen Geraden, und nach Kurve 1 war klar: "Racing Antonelli, Max."

Der Mercedes-Pilot war tatsächlich kurz vorne - doch mit wärmeren Reifen und der Innenlinie konnte Verstappen seine Position behaupten. Es zeigte erneut, dass Red Bull mit seinen Undercuts in erster Linie verteidigte - und das erfolgreich.

Ein Titelkampf? Verstappen bleibt skeptisch

Das unterstreicht zwei Dinge: Erstens war Mercedes besser auf den Reifen als Red Bull - wobei Marko andeutete, dass Verstappen anfangs zu viel pushte. Verständlich zu Beginn, denn der Niederländer wollte auf Sieg fahren, und das Ausmaß des Reifenverschleißes war noch nicht absehbar.

Für den letzten Stint änderte Verstappen seine Herangehensweise, inklusive eines subtilen Hinweises von Lambiase am Funk: "Der mittlere Stint waren 25 Runden, Max. Jetzt planen wir mit 33."

Nach dem Rennen gab Verstappen zu, er habe befürchtet, der letzte Stint sei zu lang - doch es lief besser als erwartet. Das lag teilweise an seinem vorsichtigeren Fahrstil. Er nannte aber noch einen weiteren Grund: Das Auto wurde besser, je leichter es war.


"Ja, zum Glück. Ich glaube, es war besser mit weniger Sprit, aber selbst dann konnte ich nicht angreifen." Antonelli wiederum gab zu, im letzten Stint das Gegenteil getan zu haben - und es zu bereuen: "Ich habe hinter Max zu früh zu viel gepusht und war etwas zu gierig."

Am Ende holte Verstappen mit Platz zwei das Maximum heraus. Die Strategie war entscheidend - und so machte er Boden auf beide McLaren-Fahrer gut: sechs Punkte auf Piastri und 18 auf Norris.

Doch bedeutet das auch eine Rückkehr in den Titelkampf? Verstappen glaubt das nicht. "Ich denke, wir brauchen dafür noch mehr Pace. Heute waren wir nur vorn, weil unser Qualifying stark war und das Team strategisch alles richtig gemacht hat. Aber darauf kann man sich nicht immer verlassen. Wir brauchen reine Pace."

"Ich glaube, McLaren war dieses Wochenende auch etwas schwächer als sonst - normalerweise sind sie deutlich vor uns. Natürlich nehmen wir das Positive mit, aber wir haben noch viel Arbeit vor uns, wenn wir wirklich um den Titel kämpfen wollen."

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