• 22.06.2005 22:16

Max Mosley über die Vorfälle in Indianapolis

Der FIA-Präsident nimmt ausführlich Stellung zu den Vorfällen beim Großen Preis der USA in Indianapolis und erklärt das Vorgehen der FIA

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Was geschieht mit den amerikanischen Fans, die einen weiten Anreiseweg hatten und viel Geld bezahlt haben, um ein Rennen mit nur sechs Autos zu sehen?"
Max Mosley: "Meine persönliche Meinung ist, dass Michelin diesen Fans eine faire Entschädigung anbieten sollte, der 'Indianapolis Motor Speedway' sollte das koordinieren. Dann sollten Tony George und Bernie Ecclestone gemeinsam erklären, dass der US-Grand-Prix 2006 in Indianapolis stattfinden wird und dass jeder, der Karten für dieses Jahr hatte, im nächsten Jahr kostenfrei wieder kommen kann. Aber das ist nur meine persönliche Meinung."

Titel-Bild zur News: FIA-Präsident Max Mosley

Max Mosley: "Ferrari, Jordan und Minardi waren nicht eingebunden"

Frage: "Hätte man die Regeln nicht einfach über Bord werfen und ein Rennen für die Fans austragen sollen?"
Mosley: "Das kann man nicht tun, wenn man weiter in diesem Sport bleiben möchte. Die Formel 1 ist ein Sport, der unterhält, keine als Sport getarnte Unterhaltung. Viel wichtiger ist aber, dass die Formel 1 eine gefährliche Aktivität ist und es wäre sehr unklug, fundamentale Änderungen am Kurs zu machen, ohne dabei bewährte und getestete Prozeduren einzuhalten. Was passiert ist war schlecht, aber es kann wieder richtig gestellt werden."#w1#

"Ferrari hatte mit dieser Entscheidung nichts zu tun"

Frage: "Warum wurde die Bitte einiger Teams, eine Schikane zu installieren, zurückgewiesen?"
Mosley: "Die Entscheidung wurde (meiner Meinung nach richtigerweise) von den FIA-Offiziellen vor Ort getroffen und am Samstagabend den Teams mitgeteilt. Ich habe bis zum Sonntagmorgen in Europa nichts davon gehört. Die haben die Schikane abgelehnt, weil es unfair gewesen wäre, gegen die Regeln und potenziell risikobehaftet."

Frage: "Warum unfair?"
Mosley: "Weil moderne Formel-1-Autos auf jeden Kurs speziell vorbereitet werden. Einen Kurs wie Indianapolis, der seine sehr eigene Charakteristik hat, radikal zu ändern, wäre ein großer Nachteil für die Teams, die die richtige Ausstattung mit zur Veranstaltung brachten."

Frage: "Hat Ferrari deshalb dagegen Einspruch erhoben?"
Mosley: "Nein, Ferrari hatte mit dieser Entscheidung nichts zu tun. Sie wurden nicht einmal angehört. Ferrari, Jordan und Minardi - die Bridgestone-Teams - waren nicht eingebunden."

Frage: "Aber warum wäre eine Schikane unfair gewesen, für alle wäre es doch gleich gewesen?"
Mosley: "Nein. Der beste Vergleich ist ein Abfahrtslauf im Ski-Sport. Man stelle sich vor, die Hälfte der Teilnehmer reist mit kurzen Slalomski an und sagen dem Veranstalter, der Kurs solle geändert werden, weil es gefährlich wäre, mit den kurzen Ski eine Abfahrt zu bestreiten. Man würde ihnen sagen, dass sie eben etwas langsamer den Berg hinunterfahren sollten. Die Teilnehmer, die mit korrekten Skiern angereist sind, zu zwingen, einen völlig anderen Kurs zu fahren, der den Teilnehmern mit den falschen Skiern gut passt, wäre gegen jegliche sportliche Fairness."

"Es gab kein Sicherheitsproblem mit der Strecke"

Frage: "Es geht aber nicht um den Skisport, was hat das mit der Formel 1 zu tun?"
Mosley: "Vom Standpunkt des Motorsports aus ist es das gleiche. Man stelle sich vor, wir haben in der Zukunft fünf Teams mit Motoren von großen Herstellern und sieben unabhängige Teams von einem Hersteller, der Geld damit verdient. All diese sieben Teams haben nun ein Ölversorgungsproblem in Kurve 13, weil ein grundlegender Designfehler am Motor vorliegt. Man würde ihnen sagen, dass sie eben mit weniger Drehzahl fahren müssen. Die Frage einer Schikane würde gar nicht aufkommen."

Frage: "Aber warum ist es gegen die Regeln, man kann einen Kurs doch sicher aus Sicherheitsgründen ändern?"
Mosley: "Es gab aber kein Sicherheitsproblem mit der Strecke. Das Problem war, dass einige Teams die falschen Reifen mitbrachten. Es wäre, als würden alle Starter bei einem 100-Meter-Sprint barfuß laufen, nur weil einige ihre Schuhe vergessen haben."

Frage: "Aber wie kann man sagen, dass eine Schikane 'potenziell risikobehaftet' ist, wenn die Mehrheit der Teams diese Schikane aus Sicherheitsgründen doch wollte?"
Mosley: "Eine Schikane würde den Charakter des Kurses völlig ändern. Es gäbe eine weitere Zone, in der man in jeder Runde hart bremsen muss, darauf sind die Autos aber nicht vorbereitet. Dieser Kurs wäre auch nicht besichtigt und abgenommen wurden, dazu gehören bei den modernen Prozeduren auch Simulationen und Berechnungen. Man stelle sich vor, es hätte einen tödlichen Unfall gegeben - wie hätten wir einen solch schwerwiegenden Bruch unserer grundlegenden Sicherheitsprozeduren vor einem amerikanischen Gericht erklären sollen?"

Frage: "Aber die Teams wollten es doch."
Mosley: "Einige Teams wollten das, weil sie dachten, dass es ihren Reifen liegen würden. Sie wollten es, weil sie wussten, dass sie nicht mit voller Geschwindigkeit auf dem normalen Kurs hätten fahren können. Wir können nicht unsere eigenen Regeln brechen, nur weil einiges Teams es so wollen."

Frage: "Warum war die FIA dagegen, dass die Teams einen Reifen einsetzen, der extra aus Frankreich eingeflogen wurde?"
Mosley: "Wir haben es ihnen nicht verboten. Wir sagten ihnen, dass sie den Reifen verwenden können, aber dass die Stewards sie dafür sicherlich bestrafen werden, sodass sie keinen Vorteil aus dem Regelbruch ziehen können. Wir mussten auch sicherstellen, dass dies nicht zu einem Präzedenzfall wird. Aber die Frage ist akademisch, denn nach Prüfstandtests hat Michelin den Reifen wieder zurückgezogen."

Die FIA bot zahlreiche Möglichkeiten an


Frage: "Michelin durfte zwei Reifentypen mitbringen - warum war kein 'Notfallreifen' dabei?"
Mosley: "Das muss man Michelin fragen. Die Reifenfirmen bringen im Normalfall einen Reifen mit, der an der Grenze gebaut ist, und einen, der konservativer ist, aber auch langsamer. Der garantiert die Sicherheit, wenn es Probleme geben sollte."

Frage: "Stimmt es, dass Sie an beide Reifenfirmen schrieben und sie daran erinnerten, sicherzustellen, dass ihre Reifen sicher sind?"
Mosley: "Ja, wir schrieben am 1. Juni diesen Brief und bekamen eine positive Antwort. Dieser Brief wurde nach einigen Zwischenfällen in den Rennen und nach Gerüchten von Problemen bei den Testfahrten aufgesetzt."

Frage: "Was hat die FIA den Teams empfohlen, nachdem die Schikane abgelehnt wurde?"
Mosley: "Wir haben ihnen drei Möglichkeiten gegeben: Erstens, sie hätten das Rennen auf den Reifen bestritten, die auch im Qualifying montiert waren. Sie hätten aber den Reifen wann immer nötig wechseln können. Reifenwechsel sind aus Sicherheitsgründen erlaubt, und das wäre hier klar der Fall gewesen. Zweitens, sie hätten einen anderen Reifen verwenden können, aber Michelin zog diesen bereits wieder zurück. Drittens, sie hätten die Kurve 13 nur mit der Geschwindigkeit durchfahren können, die Michelin vorgeschrieben hätte."

Frage: "Wie kann man erwarten, dass ein Rennfahrer mit reduzierter Geschwindigkeit durch eine Kurve fährt?"
Mosley: "Das machen sie immer, und Michelin fragt auch danach. Wenn sie einen Plattfuß haben, dann fahren sie langsamer, bis sie den Reifen wechseln können. Wenn sie ein Bremsproblem haben, dann stellen sie ihren Fahrstil um. Sie ändern auch ihre Geschwindigkeit und Technik, um die Reifen und Bremsen zu schonen, wenn das Auto schwer ist. Die richtige Geschwindigkeit zu wählen, ist eine fundamentale Eigenschaft eines Rennfahrers."

Frage: "Aber es wäre doch unfair, denn einige würden sich schneller durch die Kurve 13 fahren als andere?"
Mosley: "Nein, Michelin wollte, dass die Autos in Kurve 13 langsamer sind. Sie hätten den Teams eine Höchstgeschwindigkeit nennen können. Wir haben angeboten, eine Geschwindigkeitskontrolle aufzubauen und jedem Fahrer die schwarze Flagge mit dem orangenen Punkt zu zeigen, der zu schnell war. Das käme einer Durchfahrtsstrafe gleich."

Rennverzicht der Teams war unnötig

Frage: "Woher hätte der Fahrer gewusst, wie schnell er ist?"
Mosley: "Sein Team hätte ihm vor dem Rennen sagen können, welche Maximaldrehzahl in welchem Gang er in Turn 13 fahren darf. Einige hätten auch automatische Begrenzer einbauen können, ähnlich wie in der Boxengasse."

Frage: "Aber wäre das noch Rennsport gewesen?"
Mosley: "Zwischen den Michelin-Autos hätte das keinen Unterschied ausgemacht. Natürlich wären die Bridgestone-Autos im Vorteil gewesen, aber das wäre nur eine direkte Folge davon gewesen, dass sie die richtigen Reifen für den Kurs dabei hatten."

Frage: "Hatten die Michelin-Teams auch andere Möglichkeiten, um auf einem unveränderten Kurs zu fahren?"
Mosley: "Ja, sie hätten in jeder Runde durch die Boxengassen fahren können, sie ist Teil der Rennstrecke. Damit hätten sie die Kurve 13 völlig gemieden. Es ist schwer zu verstehen, warum dies kein Team tat, denn der siebte und achte Platz waren noch verfügbar, sogar noch mehr, wenn einer der Bridgestone-Fahrer ausgefallen wäre. Es waren Punkte verfügbar, die den Ausgang der Weltmeisterschaft beeinflussen könnten."

Frage: "Aber das hätte doch sehr seltsam ausgesehen - könnte man das noch ein Rennen nennen?"
Mosley: "Es wäre seltsam gewesen, aber zwischen diesen 14 Autos wäre es ein Rennen gewesen. Und die meiste Zeit der Runde wären sie auch schnell unterwegs. Für die Fans wäre das eine Show gewesen, zumindest besser als das, was dann geschah."

Frage: "Hat nicht Michelin die Teams angewiesen, nicht zu fahren?"
Mosley: "Nein. Michelin hat ihnen nur gesagt, langsamer in Kurve 13 zu sein. Der Rest des Kurses bereitete ihnen keine Sorgen, auch nicht die Boxengasse. Wenn es die Anweisung gegeben hätte, nicht zu fahren, dann hätte auch die Bitte um eine Schikane keinen Sinn ergeben."

"Ruhige und höfliche" Atmosphäre bei der Anhörung

Frage: "Haben die Michelin-Teams nicht angeboten, auf Punkte zu verzichten?"
Mosley: "Ich denke schon, aber warum sollten die Bridgestone-Teams den Weg nach Amerika auf sich genommen haben, wenn dann ein Rennen ohne WM-Status stattfindet? Das wäre so, als gäbe es bei Olympischen Ruderwettbewerben keine Medaillen, weil einige Länder die falschen Boote mitbrachten."

Frage: "Warum fand das Rennen dann nicht mit der Schikane statt, Punkte hätten aber nur die Bridgestone-Teams bekommen?"
Mosley: "Das wäre doch ein Zirkus gewesen, aber nichtsdestotrotz würde es wieder der Kritik an der Fairness die Tür öffnen. Es wäre unfair gegenüber den Bridgestone-Teams, hinter den Michelin-Teams in das Ziel zu kommen, auf einem Kurs, der extra angepasst wurde, um den Reifen von Michelin entgegenzukommen. Außerdem hätte der Kurs nicht mehr den Regeln entsprochen."

Frage: "Wurde Michelin angewiesen, Details über die jüngsten Reifenschäden auszuhändigen?"
Mosley: "Wir können Michelin nicht befehlen, etwas zu tun. Wir haben keine vertragliche Beziehung zu ihnen. Ihre Beziehung ist auf die Teams beschränkt. Aber wir haben mit beiden Reifenfirmen und vielen anderen Ausstattern der Teams eine gute Beziehung. Sie helfen uns immer mit technischen Informationen, wenn wir danach fragen."

Frage: "Wäre es für die Formel 1 nicht besser, wenn eine Behörde sich um den Sport und die kommerziellen Belange kümmern würde?"
Mosley: "Nein, das versuchen viele Sportbehörden in der Welt zu vermeiden. Es ist nicht akzeptabel, dass die internationale Sporthoheit das Recht hat, zu bestrafen und zu promoten. Das würde ermöglichen, dass sie nur nach den eigenen finanziellen Interessen handelt, gegen die Teilnehmer und Organisatoren. Es gäbe einen Interessenskonflikt. Man kann für den Sport oder das Geld verantwortlich sein, nicht für beides."

Frage: "Kam dieses Problem nicht nur deswegen auf, weil die neuen Regeln verlangen, dass ein Reifensatz Qualifying und Rennen überstehen muss?"
Mosley: "Nein. Die Reifenfirmen haben keine Probleme damit, die Reifen haltbar zu machen. Schwierig ist nur, einen schnellen Reifen haltbar zu machen. Es gibt immer einen Kompromiss zwischen Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit. Es gab in dieser Saison ein oder zwei Rennen, wo die Geschwindigkeit zu hoch war, dafür die Zuverlässigkeit eben nicht. Indianapolis war das bisher letzte und schlimmste Beispiel."

Frage: "Was wird am 29. Juni in Paris passieren?"
Mosley: "Wir werden uns sorgsam anhören was die Teams zu sagen haben. Es gibt immer zwei Seiten und die sieben Teams müssen die Möglichkeit bekommen, ihre Seite zu erklären. Die Atmosphäre wird ruhig und höflich sein. Die Mitglieder des Weltmotorsportrates kommen aus der ganzen Welt und werden sicher eine faire und ausbalancierte Entscheidung treffen."

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