• 20.06.2005 15:57

Todt: "Leider nicht gerade die beste Werbung"

Ferrari-Teamchef Jean Todt verteidigt im Interview seine Position in der Farce von Indianapolis und spricht über das gestrige Rennen

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Jean, war das, was wir heute in Indianapolis gesehen haben, wirklich die beste Lösung für die Formel 1?"
Jean Todt: "Es ist ein Rennen. Man entschließt sich dazu, an einem Rennen teilzunehmen, und dann nimmt man daran auch teil. Das haben wir gemacht. Wenn sich andere Mitbewerber aus irgendeinem Grund dagegen entscheiden, dann bedaure ich das zwar im Sinne der Zuschauer, vor allem der amerikanischen, aber es ist nicht unser Problem. Fragt nicht mich danach. Mir wäre es auch lieber gewesen, alle am Start zu haben."

Titel-Bild zur News: Jean Todt

Jean Todt sieht die Verantwortung für die USA-Farce nicht bei seinem Team

Frage: "Steht jetzt die Glaubwürdigkeit der Formel 1 auf dem Spiel?"
Todt: "Sicher, das stimmt. Das war heute ein schwerer Schlag für die Formel 1."#w1#

"Zuerst einmal ist das eine FIA-Entscheidung"

Frage: "Einige Konkurrenzteams sagen, dass ihr wegen eurem Veto gegen die Schikane einen ernsthaften Grand Prix verhindert habt..."
Todt: "Zuerst einmal ist das eine FIA-Entscheidung. Und zweitens: Wenn wir um ein Qualifying mit drei Runden statt einer bitten würden, weil wir dann mehr Grip hätten, oder wenn wir eine Schikane möchten, dann würde uns jeder auslachen. Ich denke, man muss darauf vorbereitet sein, auf solche Situationen reagieren zu können. Man hat zwei Reifentypen, aus denen man auswählen kann. Einer davon ist normalerweise weich und einer hart. Es tut mir Leid für jene, die nicht am Rennen teilnehmen konnten, aber die Zuschauer tun mir mehr Leid."

Frage: "Aber stimmt es, dass ihr gegen die Schikane wart?"
Todt: "Das stimmt nicht. Wir hatten damit nichts zu tun. Wenn jemand sagt, dass wir nicht zugestimmt haben, dann stimmt das einfach nicht. Man hat uns nie gefragt. Ob wir zugestimmt hätten oder nicht, ist eine andere Geschichte, aber ich kann jetzt ehrlich sagen, dass wir es nicht getan hätten. Aber wir wurden wie gesagt gar nicht erst gefragt."

"Wenn wir von vornherein gewusst hätten, dass es eine Schikane gibt, hätten wir uns darauf vorbereiten können. Wir hätten dann andere Reifen mitgenommen, ein anderes Setup verwendet, andere Getriebeübersetzungen. Warum sollten wir einen Kompromiss eingehen? Wir versuchen, gemeinsam mit Bridgestone einen guten Job zu machen, aber seit Saisonbeginn ist uns das nicht gelungen. Als wir am Freitag angekommen sind, merkten wir sofort, dass wir konkurrenzfähig waren, und wir haben das als gute Chance betrachtet."

Todt fühlt sich nicht verantwortlich

Frage: "Worum wurdet ihr heute gebeten, als die Diskussionen liefen?"
Todt: "Bernie (Ecclestone; Anm. d. Red.) kam heute Morgen mit verschiedenen Vorschlägen zu mir. Die Schikane war einer davon. Aber noch einmal: Das ist Sache der FIA, nicht des Halters der kommerziellen Rechte. Es wäre an der FIA gelegen, das zu entscheiden."

Frage: "Die anderen Teams wollten ein Rennen ohne die Vergabe von WM-Punkten austragen. Hättet ihr an so einem Rennen teilgenommen?"
Todt: "Keine Chance! Ohne Punkte hätten wir nicht teilgenommen. Das geht gar nicht, das wäre außerhalb des FIA-Standards. Daher lautet die Antwort nein."

Frage: "Die Michelin-Teams wären angetreten und hätten akzeptiert, dass nur die Bridgestone-Teams punkten dürfen..."
Todt: "Dann wäre es ein Witz geworden, ein Witz."

Frage: "Aber sechs Autos im Rennen sind doch auch ein Witz?"
Todt: "Redet doch mit den Leuten, die diesen Witz zu verantworten haben! Man sollte uns nicht dafür verurteilen, dass wir unseren Job machen. Wenn jemand seinen Job nicht macht und dann auch noch andere beschuldigt, dann ist das sein gutes Recht, aber ich werde dazu nichts sagen."

Kompromissangebote laut Todt "Schwachsinn"

Frage: "Wäre es eine Option für euch gewesen, mit Schikane zu fahren, wenn die Michelin-Teams dafür eine Strafe bekommen hätten?"
Todt: "Ich habe gehört, dass die Michelin-Teams den Bridgestone-Teams angeboten haben, von den ersten Startplätzen ins Rennen zu gehen. Das ist aber kompletter Schwachsinn. Wir haben uns schließlich gestern für eine bestimmte Reihenfolge qualifiziert."

Frage: "Angeblich hätten die Michelin-Teams eine Zeitstrafe von einer Minute akzeptiert..."
Todt: "Davon habe ich nie gehört."

Frage: "Hast du dieses Wochenende einmal mit Max Mosley gesprochen?"
Todt: "Ja, aber ich war nicht der Einzige. Ich denke, alle haben einmal mit ihm gesprochen. Max ist eine sehr starke Persönlichkeit. Er hat seine Leute, mit denen er solche Dinge diskutieren kann, er hat den Renndirektor, den Streckenchef, die Stewards. Ja, ich habe mit ihm gesprochen, aber das war auch schon alles."

Frage: "Viele finden, dass Max Mosley für dieses Fiasko verantwortlich ist. Du auch?"
Todt: "Ich schäme mich für die Leute, die das gesagt haben, denn wo bitte liegt hier die Verantwortung der FIA?"

"Darüber hätte man sich schon Gedanken machen können"

Frage: "Darin, den Sport zu regeln."
Todt: "Den Sport zu regeln, okay. Nach dem Rennen am Nürburgring, als Räikkönen sein Problem mit den Reifen hatte, bekamen wir alle einen Brief, der uns in Bezug auf die Reifen zu Vorsicht warnte. Es ging um Reifendrücke und all das. Darüber hätte man sich schon lange Gedanken machen können."

Frage: "War Ferrari beim Meeting der Teamchefs heute Morgen anwesend?"
Todt: "Nein, denn es waren nur Michelin-Teams dort."

Frage: "Minardi und Jordan waren aber auch dort..."
Todt: "Ich nicht. Aber das hätte ohnehin nichts geändert."

Frage: "Findest du, dass es wichtiger ist, die Regeln einzuhalten, oder dass eine gute Show geboten wird?"
Todt: "Am Ende des Tages wollen wir Rennen gewinnen. Es ist ein großer Wettbewerb. Ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns an die Show denkt. Die Leute denken nur daran, was für sie das Beste ist. Ich stimme grundsätzlich zu: Wir geben zu viel Geld aus, was manchmal für die Show gar nicht notwendig wäre, und wir geben Geld für Technologie aus, was man unter Umständen vermeiden könnte."

Frage: "Unter welchen Umständen hättest du dir vorstellen können, gegen die Michelin-Teams anzutreten?"
Todt: "Ich meine, es gab drei Optionen. Eine wären Reifenwechsel gewesen. Dann hätten sie in dieser speziellen Kurve vom Gas gehen können. Und sie hätten auch durch die Boxengasse fahren können. Sie hätten jede Runde durch die Boxengasse fahren können. Warum nicht? Ich bin sicher, dass es die FIA akzeptiert hätte, unter diesen Umständen das Speed-Limit in der Boxengasse von 100 auf 120 km/h zu erhöhen."

Todt, entnervt: "Was soll ich machen?"

Frage: "Aber dass 14 Autos jede Runde durch die Box fahren, ist das nicht unsinnig?"
Todt: "Wenn die Autos die Kurve nicht fahren können, was soll ich machen?"

Frage: "Schöpft ihr unter diesen Umständen überhaupt Befriedigung aus dem Doppelsieg?"
Todt: "Ich muss sagen, dass ich mit der von Bridgestone geleisteten Arbeit happy bin. Sie haben einen außergewöhnlichen Job gemacht und auch das Team hat unter diesen Umständen sehr gute Arbeit geleistet. Aber wenn man mich fragen würde, ob es mir lieber gewesen wäre, gegen alle Autos anzutreten, dann fällt mir die Antwort leicht: Ja."

Frage: "Sind jetzt Einheitsreifen die Antwort auf alles?"
Todt: "Mir ist ein Konkurrenzkampf mit mehr als einer Reifenfirma lieber. Wir stecken viel Mühe in die Zusammenarbeit mit Bridgestone, um die Situation in den Griff zu bekommen. Ich bin mit der Reifensituation relativ zufrieden. Andererseits würde eine einzige Reifenfirma die Kosten und das Risiko senken. Es ist wie überall: Es gibt Vor- und Nachteile."

"Alle geben ihr Bestes, alle gehen ans Limit"

Frage: "Es hat den Anschein, dass sich die Formel 1 selbst kaputt machen will..."
Todt: "Es gibt einen kommerziellen und wirtschaftlichen Wettbewerb. Alle geben ihr Bestes, alle gehen ans Limit, manchmal auch darüber. Das hat vor ein paar Jahren angefangen. Es ist ein umkämpftes Umfeld. Aber was die Reifensituation angeht, möchte ich noch einmal betonen: Wenn wir in Michelins Lage gewesen wären, hätte auch niemand einen Kompromiss akzeptiert."

Frage: "Befürchtest du, dass Ferrari wieder zum Sündenbock gemacht werden könnte?"
Todt: "Ach, das bin ich ja gewöhnt!"

Frage: "Könntest du dir vorstellen, dass Bridgestone das gesamte Feld ausrüsten würde, wenn sich Michelin zurückziehen sollte?"
Todt: "Damit hätte ich kein Problem. Vielleicht könnte man sie ja dann fragen, ob sie uns die weichen und den anderen Teams die harten Reifen geben könnten! Das wäre mal eine gute Idee! Darüber werde ich nachdenken..."

Frage: "Glaubst du, dass ihr auch unter normalen Umständen eine Chance auf den Sieg gehabt hättet?"
Todt: "Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir sehr konkurrenzfähig gewesen wären. Man muss sich ja nur die Trainingsergebnisse anschauen. Was aber wäre das Resultat gewesen? Ich weiß es nicht. Vielleicht hätte es schon in der ersten Kurve eine Kollision gegeben."

Frage. "Bist du stolz darauf, wie sich die Formel 1 heute verhalten hat?"
Todt: "Das zeigt doch nicht das wahre Problem auf. Es liegt an den Reifenfirmen, die richtigen Reifen für ihre Teams zur Verfügung zu stellen. Manchmal muss man einfach ein Leistungsopfer erbringen, um die Zuverlässigkeit gewährleisten zu können."

"Wünsche mir, dass wir wieder herkommen können"

Frage: "Wie groß ist der Schaden, denn die Formel 1 damit in den USA angerichtet hat?"
Todt: "Sehr groß. Ich wünsche mir, dass wir wieder herkommen können, denn es ist ein wichtiges Land, unser wichtigster Markt - und Bernie versucht schon seit Jahren, hier etwas aufzubauen. Das heute war aber leider nicht gerade die beste Werbung."

Frage: "Ist dein Herz stehen geblieben, als sich Rubens Barrichello und Michael Schumacher beinahe selbst abgeschossen hätten?"
Todt: "Schon. Wir wollten das Beste aus dieser Möglichkeit herausholen, aber andererseits sind die beiden Rennfahrer und wollen natürlich immer gewinnen. Zum Glück ist nichts passiert. Das hätte mich schon sehr gestört."

Frage: "Wie steht es um Rubens Barrichellos Zukunft im Team? Er wirkt momentan nicht allzu glücklich bei euch..."
Todt: "Rubens hat bis Ende 2006 einen Vertrag mit uns. Gleichzeitig möchte ich aber, dass unsere Fahrer und die Leute im Team immer glücklich sind. Wenn er nicht glücklich ist, dann soll er lieber mit mir darüber reden als mit der Presse. Ich habe noch nicht mit ihm gesprochen, aber er hat mich eben angerufen. Nachher werde ich mich mit ihm unterhalten."