• 20.06.2005 01:11

Das große Siegerinterview mit Michael Schumacher

Michael Schumacher stellte sich nach dem merkwürdigsten seiner 84 Siege ausführlich der Presse und sprach über Indianapolis 2005

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Michael, ein schwieriger Tag, keine Michelin-Autos im Rennen, aber unabhängig davon wärst du nach deinem zweiten Boxenstopp beinahe mit deinem Teamkollegen kollidiert. Ihr seid euch da ziemlich nahe gekommen, nicht wahr?"
Michael Schumacher: "Ja, es war sehr knapp, würde ich sagen. Wir hatten ein ziemlich hartes Rennen. Es waren ja nur wir zwei gegeneinander, da hat das Team gesagt: 'Lasst uns Spaß haben!' Das haben wir getan. Es war natürlich ein komischer Grand Prix, keine schöne Art und Weise, mein erstes Rennen in diesem Jahr zu gewinnen, aber es ist ja nur einer von 84 Siegen und daher keine Katastrophe."

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Miene wie bei einem Begräbnis: Michael Schumacher auf dem Podium

Frage: "Es wurden immer wieder Gegenstände auf die Strecke geworfen. Beim ersten Boxenstopp wurde dein Hinterreifen genau untersucht. Was war da los?"
Schumacher: "Es waren hauptsächlich Flaschen, ein bisschen Bier, soweit ich riechen konnte, aber der Streckenzustand war okay."#w1#

Ferrari wusste bis zum Start nicht genau Bescheid

Frage: "Du wusstest ja, was die Michelin-Teams machen würden. Was ist dir auf der Startaufstellung mit nur sechs Autos durch den Kopf gegangen?"
Schumacher: "Wir wussten nicht genau, was sie machen würden. Wir haben schon ein paar Sachen gehört, aber ehrlich gesagt haben wir uns auf uns selbst konzentriert."

Frage: "Es war eine gute Teamleistung, die Zuverlässigkeit war gegeben und du hast deine längste sieglose Phase seit 1993 beendet..."
Schumacher: "Ja, aber okay. Mit Rubens hatte ich zwar einen harten Fight, aber ansonsten war es ein eigenartiger Grand Prix."

Frage: "Ferrari hat in den USA viele Fans. Möchtest du ein paar Worte an sie richten?"
Schumacher: "Natürlich wäre es mir lieber gewesen, dieses Rennen unter normalen Umständen zu bestreiten. Wie du sagst, waren viele Fans hier, denn wir haben hier schon dreimal gewonnen. Das ist der vierte Sieg. Ich denke, wir hatten dieses Wochenende ein gutes Auto. Im Qualifying war unser Auto recht stark, aber im Rennen war es super. Ich glaube, dass wir heute auch so hätten gewinnen können, aber unabhängig davon freut es mich, dass so viele Fans bis zum Schluss geblieben sind, um sich dieses einzigartige Rennen anzusehen."

"War sehr komisch, alle in die Boxen fahren zu sehen"

Frage: "Was fühlst du heute?"
Schumacher: "Sehr gemischte Gefühle. Es war sehr komisch, alle in die Boxen fahren zu sehen. Trotzdem hatten Rubens und ich danach ein Rennen laufen. Ich glaube, dass unser Auto auch so gut genug gewesen wäre, um um den Sieg zu kämpfen. Wir waren im Freien Training schon sehr stark, sahen mit Benzin gut aus und auch von den Reifen her. Für die vielen Zuschauer ist es natürlich schade. Amerika war für uns auf bestimmte Art und Weise immer schon ein besonderer Grand Prix. Heute war ein einzigartiges Rennen, aber es lag nicht in unserer Hand. Wir hätten nichts tun können. Wir haben sehr hart an unseren Reifen gearbeitet. Wir hätten auch Reifen zu Hause gehabt, die besser gewesen wären, aber wir konnten sie nicht verwenden, weil sie nicht haltbar genug gewesen wären auf dieser Strecke. Ich hoffe, dass jeder versteht, dass das nicht unser Problem ist."

Frage: "Die Fans haben Gegenstände auf die Strecke geschmissen und Buhrufe angezettelt. Fühlst du dich unfair behandelt?"
Schumacher: "Ich denke, das war eine Minderheit, um ehrlich zu sein. Sicher haben viele Leute gebuht, aber noch mehr haben mit uns gejubelt. Es waren viele Ferrari-Fans hier. Viele sind schon früh gegangen, aber es waren auch viele happy mit dem, was wir getan haben. Es waren zwar ein paar Flaschen auf der Strecke, aber das war nicht so schlimm."

Frage: "Verstehst du die anderen Teams?"
Schumacher: "Ich habe nicht alle Details vorliegen. Es müssen schwerwiegende Gründe vorgelegen sein, dass sie sich so entschieden haben."

Langer erster Stopp wegen eines Reifenchecks

Frage: "Wie bist du im Rennen hinter Rubens Barrichello zurückgefallen?"
Schumacher: "Wir hatten einen langen ersten Boxenstopp, um einen Reifen überprüfen zu können. Wir hatten in der Situation ja ausreichend Zeit für so etwas. Ich kam als Führender rein, war nach dem Boxenstopp aber drei Sekunden hinter Rubens. Er hat hart gepusht, aber ich habe versucht, so nahe wie möglich an ihn ranzufahren, um meine Chance nutzen zu können."

Frage: "Habt ihr euch bei dem Zwischenfall in der ersten Kurve berührt?"
Schumacher: "Nein, wir haben uns nicht berührt. Wir waren zwar am Limit, aber wir haben sichergestellt, dass wir uns nicht berühren. Rubens hat es versucht, ich habe dagegen gehalten. Für ihn hat es nicht gereicht. Damit war die Sache geklärt."

Frage: "Glaubst du, dass das der schwärzeste Tag der Formel 1 ist?"
Schumacher: "Ich denke, dass wir schon viel schwärzere Tage erlebt haben, wenn man sich zum Beispiel an 1994 erinnert."

Frage: "Das habe ich damit nicht gemeint..."
Schumacher: "Dies ist ein Mix aus einer mechanischen und einer sportlichen Situation, wenn man so will. Aber wenn es nicht sicher gewesen wäre, das Rennen zu fahren, dann sollte man es auch nicht fahren. Das sollte man so stehen lassen."

"Kann mir einen eigenartigen Sieg leisten"

Frage: "Als Sportler muss das ein Geistersieg für dich sein, oder?"
Schumacher: "Ich habe 84 Rennen gewonnen. Da kann ich mir einen eigenartigen Sieg leisten."

Frage: "Es war natürlich nicht deine Entscheidung, aber weißt du, warum Ferrari dagegen war, in letzter Minute eine Schikane einzubauen?"
Schumacher: "Ich kann eine Geschichte erzählen, die noch gar nicht so lange zurückliegt: In Monza ist vor einigen Jahren ein Streckenposten gestorben. Ein Jahr späterr waren sich alle Fahrer einig, in den ersten zwei oder drei Schikanen unter gelben Flaggen zu fahren, aber einige Teamchefs haben diesen Fahrern damals verboten, sich daran zu halten. Sie haben gesagt, dass man das Rennen ohne gelbe Flaggen fahren muss. Dieselben Leute stehen heute auf der anderen Seite. Die Formel 1 ist ein hartes Geschäft. Wie gesagt, wir hätten auch einen schnelleren Reifen mitbringen können, haben es aber aus Sicherheitsgründen nicht getan. Ich sage nicht, dass unsere Konkurrenz absichtlich etwas Falsches gemacht hat, aber sie haben etwas falsch gemacht. Das ist nicht unser Problem. Ich glaube nicht, dass man diejenigen, die nicht verantwortlich sind, verantwortlich machen darf."

Frage: "Wie kann die Formel 1 ihr Image in den USA jetzt wieder aufbessern?"
Schumacher: "Wir müssen einfach gute Rennen fahren - und das werden wir tun. Jeder hat aus dem heutigen Tag gelernt, denn die Zuschauer und die Teams, die nicht fahren konnten, sind jetzt sicher nicht glücklich."

Frage: "Ausgelöst wurde die ganze Geschichte durch den Unfall deines Bruders am Freitag. Was ist dir da durch den Kopf gegangen?"
Schumacher: "Als ich von meinem Run zurück an die Box gekommen bin, sah ich Ralf gerade aus dem Auto steigen. Erst danach habe ich den Unfall gesehen, aber dass er schon aus dem Auto war und mit dem Arzt sprach, hat mich beruhigt. Eigentlich hat aber der Unfall von Ricardo Zonta schon alles ausgelöst, an einer anderen Stelle. Dann haben sie festgestellt, dass mehrere Teams dieselben Probleme hatten."

"Nicht unsere Sache, so etwas abzusegnen, sondern der FIA"

Frage: "Stimmt es, dass du heute Morgen einem anderen Fahrer zugestimmt hast, dass eine Schikane notwendig wäre?"
Schumacher: "Nein, so etwas haben wir nie zugestimmt. Es ist nicht unsere Sache, so etwas abzusegnen, sondern das ist Sache der FIA."

Frage: "Wäre es angesichts der heutigen Ereignisse nicht besser, Einheitsreifen in der Formel 1 zu haben?"
Schumacher: "Wir sind die falschen Leute, um über dieses Thema zu sprechen. Vielleicht sollte man mit den Teams und mit Max (Mosley; Anm. d. Red.) darüber diskutieren."

Frage: "Wenn dir dein Reifenhersteller sagen würde, dass die Reifen nicht mehr als zehn Runden überstehen, würdest du dann fahren?"
Schumacher: "Nein, das würde keinen Sinn machen. Aber ehrlich gesagt: Ich habe mich mit einem der Michelin-Fahrer unterhalten, der gemeint hat, dass die Reifen auch ohne Steilkurve nicht gehalten hätten."

Fahrergewerkschaft fühlt sich nicht zuständig

Frage: "Was für eine Ansicht hast du als Direktor der Fahrergewerkschaft zu diesem Thema?"
Schumacher: "Wir beschäftigen uns mehr mit der Streckensicherheit. Viele Fahrer haben auf solche Entscheidungen keinen Einfluss. Das sind nicht die Bereiche, die in unserem Einflussbereich liegen. Das ist nichts, wo wir als Fahrer aktiv werden können."

Frage: "Glaubst du, dass man an dieser Strecke eine permanente Änderung anbringen muss?"
Schumacher: "Wie lange fahren wir schon hier? Fünf, sechs Jahre? Jetzt haben wir auf einmal dieses Problem. Ich bin sicher, dass nächstes Jahr alle besser vorbereitet sein werden. Ich sehe keinen Grund für eine Änderung. Wir können uns ja an die Strecke anpassen."

Frage: "Findest du, dass die Zuschauer ihr Geld zurückbekommen sollten?"
Schumacher: "Warum fragst du das nicht Bernie (Ecclestone; Anm. d. Red.)?"

Frage: "Kannst du dich über so einen Sieg überhaupt freuen?"
Schumacher: "Natürlich kann ich das, keine Frage. Fakt ist, dass wir das ganze Wochenende mit viel Benzin sehr schnell unterwegs waren. Insofern ist es natürlich schade, dass wir das nicht unter Beweis stellen konnten. Zwischen Rubens und mir hat sich allerdings schon ein ganz interessantes Rennen entwickelt. Es ist ein bisschen gemischt, das Ganze."

Schumacher zur Box: "Kommt noch wer raus?"

Frage: "Wann war dir klar, dass nur ihr Ferraris den Sieg unter euch ausmachen würdet?"
Schumacher: "Das war mir in dem Moment klar, als alle an die Box gefahren sind. Ich habe dann zwar noch mal gefragt, ob doch noch jemand aus der Box rausfahren würde, aber dann ist mir bestätigt worden, dass nur die sechs Bridgestone-Fahrer unterwegs sind."

Frage: "Alle Zeitungen werden morgen von der Formel-1-Schande schreiben. Wie gehst du damit um?"
Schumacher: "Ich gehe ziemlich relaxt damit um. Ich weiß, was passiert ist, und ich bin auch nicht glücklich darüber. Aber ich muss trotzdem sagen, dass ich sehr glücklich darüber bin, wie viele Ferrari-Fans tatsächlich bis zum Schluss da geblieben sind. Es waren doch viele Fans, die sich dieses eigenartige und vor allem einzigartige Rennen angeguckt haben."

Frage: "Wie komisch war es, nur zu sechst unterwegs zu sein?"
Schumacher: "Es war schon ein bisschen still und ruhig (lacht), aber mein Gott. Wie gesagt: Es lag nicht in unserer Hand."

Offener Schlagabtausch mit dem Teamkollegen

Frage: "Dein Teamkollege hat zwischendurch versucht, dich zu ärgern. Wie hast du das Duell mit ihm gesehen?"
Schumacher: "Er hat mächtig Gas gegeben. Ich war eigentlich in einer guten Position, denn ich wusste, dass ich bei beiden Stopps länger draußen bleiben konnte, weil das die Strategie war, die ich gewählt habe. Im Qualifying habe ich dafür ein bisschen bezahlen müssen, war nicht ganz so schnell, aber im Rennen hat es sich ausgezahlt. Dass ich allerdings von 1,5 Sekunden Vorsprung vor dem Stopp nach dem Stopp 3,5 Sekunden Rückstand hatte, hat mich auch ein bisschen überrascht. Deswegen musste ich Gas geben."

Frage: "Wie viel Schaden hat die Formel 1 durch dieses Rennen genommen?"
Schumacher: "Ich glaube, dass sie langfristig keinen Schaden davonträgt. Es ist halt ein Grand Prix, über den sehr viel geschrieben wird, viel Negatives auch, aber letzten Endes muss man die Gesamtheit der Formel 1 sehen, die Historie. Ich glaube, da kann ein kleiner schwarzer Fleck das Gesamtbild nicht trüben."

Frage: "Glaubst du, dass die Formel 1 in den USA noch eine Chance hat?"
Schumacher: "Ja, da bin ich mir sicher. Ich sehe das als ein Rennen, das ein bisschen schief gegangen ist, aber wir hatten schon sehr gute Rennen hier und wir werden auch in Zukunft wieder gute Rennen haben. Es sind immer Menschen involviert, die manchmal Fehler machen - und Sachen bringen, die nicht funktionieren, wie das heute der Fall war. Das muss man jetzt so hinnehmen und sicherstellen, dass es nächstes Mal nicht wieder passiert."

Schumacher befürchtet Schuldzuweisungen der Konkurrenz

Frage: "Kannst du dir vorstellen, dass jetzt Ferrari wegen dem Veto gegen die Schikane für dieses Schlamassel verantwortlich gemacht wird?"
Schumacher: "Das wird man sicherlich versuchen in der Situation: von der eigenen Problematik auf andere abzulenken. Es ist in der Vergangenheit schon sehr oft gelungen, uns den schwarzen Peter zuzuschieben. Das wird man auch jetzt versuchen. Mal schauen, inwiefern das gelingt oder nicht. Im Endeffekt sind die Fakten so, dass wir nicht verantwortlich für die Fehler unserer Konkurrenz sind."

Frage: "Du hast heute zum ersten Mal seit langem wieder eine Bridgestone-Kappe auf nach dem Rennen. Wie wichtig war euer Reifenpartner heute?"
Schumacher: "Der Reifenpartner war heute sehr wichtig, aber das liegt eher daran, dass meine 'DVAG'-Kappe gerade nicht griffbereit war."

Frage: "Wie wirst du dich erholen, bis es in Europa weitergeht?"
Schumacher: "Ich werde nach Hause gehen, bei der Familie sein und ab Donnerstag wieder im Auto sitzen."