Kovalainen: "Würde heute vieles anders machen"

Kovalainen im Exklusivinterview: Über die Fehler der Vergangenheit, erste Eindrücke vom neuen Lotus und wie er die Schwäche im Rennen ausgemerzt hat

(Motorsport-Total.com) - Der Finne Heikki Kovalainen erlebte dieses Jahr einen Kulturschock: Nach drei Rennsaisonen in Topteams kämpft er nun im neuen Lotus-Rennstall um Positionen fernab der Punkteränge. Insider erkennen, dass der ehemalige Renault- und McLaren-Pilot als Teamkollege von Jarno Trulli eine gute Figur abgibt, doch von der breiten Öffentlichkeit werden seine Leistungen kaum wahrgenommen. Im Exklusivinterview spricht er über sein Schattendasein, die Fehler der Vergangenheit - und beweist, dass Finnen alles andere als schweigsam sind, wenn sie aus der Gegend um Lappland stammen.

Titel-Bild zur News: Heikki Kovalainen

Kovalainen hat bei Lotus gegen Qualifying-Spezialist Trulli die Nase vorn

Frage: "Heikki, du führst im Qualifying-Duell gegen deinen Teamkollegen Jarno Trulli mit 7:6. Er gilt seit Jahren als einer der besten Qualifyer der Formel 1. Was sagt das über deine Leistung aus?"
Heikki Kovalainen: "Steht es 7:6? Das habe ich gar nicht im Kopf. Auf jeden Fall ist es immer sehr eng, es geht um wenige Zehntel. Das ist natürlich gut für mich, denn er ist ein sehr schneller Fahrer. Ich bin mit meiner Leistung in diesem Jahr sehr zufrieden."#w1#

"Im Qualifying war ich schon in der Vergangenheit sehr gut - bei McLaren, bei Renault. Da habe ich mich immer wohl gefühlt. Letztes Jahr wurde meine Rennleistung eher als nicht so gut angesehen. Daran arbeite ich dieses Jahr und ich denke, dass ich diesbezüglich besser als in der Vergangenheit bin, auch wenn wir am Ende des Feldes liegen. Die Arbeit hat sich ausgezahlt."

Wie Kovalainen seine Schwäche im Rennen in den Griff kriegt

Frage: "Wie kann man sich das genau vorstellen: Hast du dich anders auf die Rennen vorbereitet? Hast du im physischen Bereich etwas verändert?"
Kovalainen: "Nein, nicht physisch. Ich habe einfach versucht, beim Setup anders zu arbeiten, das Auto etwas anders zu fahren, was bei diesen Reifen auch notwendig ist. Ich bin als Renault-Testfahrer die Michelin-Reifen gefahren und die waren sehr stark. Man konnte das Auto wirklich herumwerfen und voll attackieren. Vielleicht nicht dieses Jahr, aber vor allem in den letzten paar Jahren hatte ich ein paar Probleme damit, dass die Reifen zu stark abbauten - das ruinierte oft meine Leistung im Rennen. Das zeigte sich vor allem bei den Hinterreifen, die ich zu hart rannahm. Jetzt versuche ich, das Setup etwas anders anzulegen und etwas anders zu fahren - das funktioniert."

Frage: "Ich schätze, dass du ein Auto magst, das leicht übersteuert."
Kovalainen: "Ja, ich mag es, wenn ich vorne viel Haftung habe. Ich mag es, wenn das Auto in den schnellen Kurven stabil ist, in den langsamen Kurven ist es mir aber lieber, wenn es gut einlenkt, alles andere kontrolliere ich selbst. Als es den Reifenkrieg zwischen Bridgestone und Michelin gab, da waren die Reifen stark genug."

Frage: "Hoffst du diesbezüglich auf Pirelli?"
Kovalainen: "Wir müssen mit dem Reifen zurecht kommen, den wir kriegen - ganz egal, welche Charakteristik er hat. Mit meiner Erfahrung, die ich jetzt habe, sollte das aber kein Problem sein. Da kann ich die notwendigen Veränderungen selbst machen."

Frage: "Die Charakteristik der Reifen kann dennoch ein entscheidender Faktor sein - das haben wir bei Nick Heidfeld und Robert Kubica gesehen, wo es sich von einem auf das andere Jahr völlig gedreht hat. Glaubst du, dass dir die neuen Reifen entgegen kommen werden?"
Kovalainen: "Darauf verlasse ich mich sicher nicht. Ich bin bereit, mich auf den Reifen einzustellen. Die ersten Testfahrten, wo wir den neuen Reifen fahren werden, sind sicher entscheidend. Da muss ich voll da sein, um zu verstehen, was vor sich geht, um dann mit den Ingenieuren und mit dem Team arbeiten zu können. Da müssen wir besonders hart arbeiten, damit wir wissen, was wir tun müssen, um die Reifen zum Arbeiten zu bringen. Wenn es mir entgegen kommt - also der Hinterreifen stark ist und die Reifen allgemein viel Grip aufbauen -, dann umso besser, doch darauf verlasse ich mich nicht."

"Mit meiner jetzigen Erfahrung bin ich im Gegensatz zu früher bereit, mich auf die Reifen einzustellen." Heikki Kovalainen

Entscheidungsjahr 2011

Frage: "Die neuen Teams liegen deutlich hinter dem Rest des Feldes, also ist Jarno deine einzige Messlatte. Frustriert das?"
Kovalainen: "Natürlich würde ich gerne mit allen Fahrern kämpfen können. Ich bin mir auch sicher, dass ich mich gut schlagen würde. Doch als ich zu Lotus ging, wusste ich, dass dieses Jahr hart wird. Jetzt kämpfe ich halt gegen die anderen neuen Teams, das ist das einzige realistische Ziel. Ich hoffe, das ändert sich nächstes Jahr. Wir sollten uns verbessern."

Frage: "Mike Gascoyne hat mir in Budapest erzählt, dass euer Fokus längst auf 2011 liegt, da es heuer nichts zu gewinnen gibt. Lotus ist für dich eine Langzeitlösung, welche Fortschritte erwartest du dir von 2011?"
Kovalainen: "Wir müssen den Anschluss an die Autos vor uns finden und ständig ins Q2 kommen. Dann kämpfen wir mit Teams wie Sauber, Williams und Toro Rosso - so von Platz acht bis 14. Da sollten wir uns einordnen. Es wäre enttäuschend, wenn wir das nicht erreichen. Doch mit all den Leuten, die jetzt für uns arbeiten, und unserer Infrastruktur ist das ein realistisches Ziel."

Frage: "Hast du schon Zeichnungen und Modelle des nächstjährigen Autos gesehen?"
Kovalainen: "Ja, habe ich."

Frage: "Schaut es deutlich anders aus als das aktuelle Auto?"
Kovalainen: "Ja, absolut - komplett anders. Schon jetzt sind die Zahlen deutlich besser als beim diesjährigen Auto. Doch das kann nicht die Referenz sein - das müssen die Autos vor uns sein. Williams, Sauber, McLaren. Wir haben uns hohe Ziele gesetzt. Die Leute, die das aktuelle Auto designt haben, sind andere als beim neuen Auto. Wir können also einen großen Schritt nach vorne erwarten."

Frage: "Es gibt in der Formel 1 die Mär, dass Fahrer ihre Autos entwickeln - wie bei Michael Schumacher, der als guter Entwickler gilt. Kannst du überhaupt einen Input geben, damit das nächstjährige Auto besser zu deinem Fahrstil passt?"
Kovalainen: "Absolut. Ich kenne ja die Zahlen von meinen früheren Teams und weiß daher, wie die aerodynamische und die mechanische Balance, die Gewichtsverteilung des Autos sein muss, damit ich mich wohl fühle. Ich weiß grundsätzlich, was ein Auto haben muss, damit es schnell ist - ich weiß, was ich in meinen früheren Teams mochte und was ich nicht mochte. In diesem Bereich beteilige ich mich sehr stark - wenn das Auto designt wird, in den Windkanal kommt, wenn das Chassis entwickelt wird."

"Das neue Auto sieht komplett anders aus. Schon jetzt sind die Zahlen deutlich besser als beim diesjährigen Auto." Heikki Kovalainen

"Das Team will das auch, denn ich kann ein paar Kommentare dazu abgeben, die manchmal wertlos sind, aber auch manchmal etwas bringen. Sei schätzen meine Erfahrung von früheren Teams, vor allem, weil wir jetzt in einer entscheidenden Phase sind, denn die grundlegende Philosophie des Autos wird jetzt entwickelt. Wenn die nicht stimmt, dann wird es schwierig, eine ordentliche Aerodynamik herumzubauen."

Die Fehler der Vergangenheit

Frage: "Du bist ein Grand-Prix-Sieger und hattest eine schwierige Zeit bei McLaren mit Lewis Hamilton. Jetzt bist du am Ende des Feldes mit Lotus, auch wenn du der beste Heikki Kovalainen bist, denn es jemals gibt. Das muss hart sein, denn die Resultate untermauern das nicht."
Kovalainen: "In Wahrheit ist die Situation nicht schwierig für mich, sondern ziemlich einfach. Ich fühle mich hier sehr wohl und habe das Gefühl, dass ich mich recht gut schlage. Außerdem mache ich Fortschritte und das ist die Hauptsache. Das Team weiß das. Und es weiß, dass wir das im Moment nicht der ganzen Welt zeigen können und keine Rennen gewinnen. Das wird Zeit brauchen."

"Die Vergangenheit ist, wie sie ist: Bei McLaren hat es nicht funktioniert, aber das ist halb so schlimm. Man darf sich damit nicht zu lange aufhalten - es geht weiter. Ich habe entschieden, dass das der beste Weg für mich ist, um weiterzukommen. Oft muss man einen Schritt zurückmachen, um dann zwei Schritte nach vorne zu kommen.Das ist der Plan und die Herausforderung. Im Nachhinein wird man dann sehen, ob es die richtige oder die falsche Entscheidung war."

Frage: "War es im Nachhinein vielleicht ein Fehler, zu McLaren zu gehen, da der Rennstall doch sehr auf Lewis Hamilton getrimmt ist?"
Kovalainen: "Sicher nicht. Jeder, der eine Chance bei McLaren bekommt, würde dort hingehen. Es ist ein fantastisches großes Team, ich bereue es überhaupt nicht. Ich habe dort viel gelernt und hatte auch gute Zeiten - ich habe ja einen Grand Prix gewonnen. Die Leute erinnern sich immer nur an die schlechten Zeiten. Ich habe viele Punkte für das Team geholt. Offensichtlich war Lewis erfolgreicher, doch ich habe auch viel Arbeit geleistet. Dafür muss ich mich nicht schämen. Ich habe immer noch eine sehr enge Beziehung zu Lewis, zu Martin Whitmarsh, zu Ron Dennis, zu allen im Team. Doch ich hatte nicht die Resultate, die jeder von mir erhofft hat. Das Leben geht weiter - wer weiß, was in der Zukunft passiert."

Frage: "Gibt es Dinge, die du in deiner Zeit bei Renault und McLaren jetzt anders gemacht hättest?"
Kovalainen: "Ich würde heute vieles anders machen. Doch ich will da jetzt nicht ins Detail gehen, denn das ist nicht wirklich relevant. Diese Erfahrungen helfen mir jetzt bei Lotus und es läuft wirklich gut. Das Ziel ist es, hundert Prozent aus dem Team herauszuholen, was sehr wichtig ist, wenn man erfolgreich sein will. Ich habe in meiner Zeit bei Renault und McLaren nicht alles heraus geholt und die Resultate waren nicht gut genug - das ist jetzt die Herausforderung. "

"Ich habe in meiner Zeit bei Renault und McLaren nicht alles aus dem Team heraus geholt und die Resultate waren nicht gut genug." Heikki Kovalainen

Lebensprojekt Lotus?

Frage: "Du hast bei Renault mit Alonso und bei McLaren mit Hamilton zusammen gearbeitet und hast nicht den Ruf eines Nummer-eins-Piloten. Wirst du dadurch vielleicht unterschätzt?"
Kovalainen: " Ich kenne die Antwort auf diese Frage nicht und selbst wenn ich sie kennen würde, dann wäre es mir egal. Jeder hat seine Meinung und es gibt viele großartige Fahrer - bei jedem gibt es Leute, die einen mögen oder eben nicht. Ich weiß ziemlich genau, wo ich selbst stehe, wo ich mich verbessern kann und womit ich zufrieden sein kann."

"Es hängt von mir und vom Team ab, das Paket stark genug zu machen, um Siege und um Pole-Positions zu ermöglichen. Und wenn das gelingt, dann bist du plötzlich die Nummer eins im Fahrerlager - so ist das in der Formel 1. Man muss sich nur Jenson Button anschauen: Vor ein paar Jahren war er ganz hinten, im Jahr darauf wurde er Weltmeister. Das kann sich schnell ändern. Natürlich war es in diesem Fall ein bisschen ein Märchen - es läuft nicht immer so. Doch die Formel 1 ist ein hartes Geschäft."

Frage: "Wir werden dich auch nächstes Jahr hier bei Lotus sehen."
Kovalainen: "Das ist der Plan."

Frage: "Doch was passiert, wenn ihr die vorhin beschriebenen Ziele nicht erreichen könnt. Wirst du dann deine Zeit immer noch dem Lotus-Team widmen? Ist das eine Art Lebensprojekt für dich?"
Kovalainen: "Vielleicht, wenn es gut läuft. Im Moment gibt es keinen Grund, wegzugehen. Doch wir müssen uns natürlich entwickeln - mehr als andere Teams. Wir wollen nicht am Ende des Feldes bleiben. Die Leute wollen Lotus im Vorderfeld sehen, dort sollte das Team auch sein. Das wird nicht einfach."

"Die Leute wollen Lotus im Vorderfeld sehen, dort sollte das Team auch sein." Heikki Kovalainen

"Ich kann die Frage aber nicht beantworten, was ich nächstes Jahr zu dieser Zeit tun werde, auch wenn ich sehr zuversichtlich bin, dass das nächstjährige Auto viel besser sein wird. Ich sehe also derzeit keinen Grund, warum wir die Ziele nicht erreichen sollten. Wenn wir es nicht schaffen, dann muss ich die Situation natürlich neu überdenken und schauen, welche Optionen es noch gibt. Ich will erfolgreich sein und wieder zurück an die Spitze."

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