• 28.03.2011 09:52

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Front-Auspuff: Der F-Schacht von 2011?

Adrian Newey hat einst das Konzept entwickelt, Renault hat es auf die Spitze getrieben: Die Front-Auspuffsysteme könnten 2011 das große Thema werden

(Motorsport-Total.com) - Bereits im vergangenen Jahr holte Adrian Newey mit dem auspuffangeströmten Diffusor ein altes Konzept aus der Schublade, das in der Formel 1 für eine kleine Revolution sorgen sollte. Das Prinzip ist einfach: Man blase die aus dem Auspuff herausströmenden Abgase nicht einfach nutzlos in die Luft, sondern leite sie um, um dank ihrer Energie mehr Anpressdruck zu generieren.

Titel-Bild zur News: Auspuffsystem des Renault R31

Bei Renault führen die Auspuffrohre vor den Seitenkästen aus dem Chassis

2010 strömten die Auspuffgase lediglich den hinteren Teil des Unterbodens an, den sogenannten Diffusor (damals noch in doppelter Ausführung erlaubt), an. Über den Winter hatte dann ein findiger Renault-Ingenieur in Enstone die Idee, dass man die Auspuffgase nicht nur durch den hinteren Teil, sondern durch den kompletten Unterboden strömen lassen könnte, um die Wirkung des Phänomens zu maximieren und noch mehr Anpressdruck zu generieren.

Renault war Erster

"James (Allison, Technischer Direktor; Anm. d. Red.) hat mich von diesem Konzept überzeugt", erinnert sich Renault-Teamchef Eric Boullier. "An einem gewissen Punkt mussten wir uns entscheiden, ob wir den konventionellen Weg wählen oder einem neuen Konzept eine Chance geben wollen. James und ich haben das gemeinsam entschieden. Wir haben uns unter vier Augen in meinem Büro unterhalten und nach 30 Minuten hatte er mich überzeugt."

Der Beginn eines neuen Trends in der Formel 1, denn bis auf Sauber, Williams und die kleinen Teams haben inzwischen alle nachgezogen - und selbst Sauber und Williams werden bald aufrüsten: "Wir schauen nach Alternativen", bestätigt Sauber-Technikchef James Key. "Wenn wir damit zufrieden sind, werden wir es einsetzen. Bis Schanghai wird das wohl nicht klappen, aber sehr viel länger wird es auch nicht dauern." Genauer gesagt bis Barcelona, wie Teamchef Peter Sauber verrät.

¿pbvin|512|3537||0|1pb¿Key erklärt indes, warum ein auspuffangeströmter Unterboden nicht automatisch ein Segen sein muss: "Unser jetziges System funktioniert. Es ist vielleicht nicht ganz so leistungsfähig wie andere hier. Wir haben auch schon Lösungen getestet, die man an anderen Autos sieht. Wenn man es aber nicht zum Arbeiten bekommt, verliert man jeglichen Abtrieb. Daher beginnen wir die Saison mit dem, was wir jetzt haben."

Denn ein Front-Auspuffsystem birgt auch Risiken, die nicht zu vernachlässigen sind. So muss man die brandheißen Auspuffgase an Benzintank und Fahrercockpit vorbei nach vorne leiten. Außerdem führen die Auspuffrohre an KERS vorbei, wo ohnehin durch die Batterien schon ein gewisses Hitzepotenzial vorhanden ist. Das kann zu kritischen Hitzeschäden führen, etwa zu Überhitzungen der Kohlefaser-Karosserie.

Barrichello hofft auf Fortschritte

Aber die Vorteile scheinen zu überwiegen: "Das neue Auspuffsystem könnte sich als großer Vorteil erweisen", glaubt Williams-Pilot Rubens Barrichello. "Red Bull hat es schon, wir noch nicht. McLaren scheint alleine dadurch eine ganze Sekunde gefunden zu haben. Es wird ein paar Rennen dauern, bis sie jemand herausfordern kann." Ganz ähnlich wie im Vorjahr, als McLaren als erstes Team den F-Schacht eingeführt hat, der dann von allen anderen kopiert wurde.

Williams will das System in Schanghai einführen und verspricht sich einen "großen Fortschritt" davon. Technikchef Sam Michael: "Die Arbeiten begannen im Februar - nach Valencia. Erstmals haben wir ein solches System gesehen, als es Red Bull am letzten Testtag in Valencia zum Einsatz brachte. Das haben wir kopiert. Auch eine Variante wie die von Mercedes haben wir nachgebaut. Die Ersten waren vermutlich Renault." Aber: "Die Variante von Red Bull scheint die Beste zu sein."

Red Bull und Renault scheinen auch jene Teams zu sein, die mit einem weiteren Problem von auspuffangeströmten Systemen am besten zurechtkommen. Denn klarerweise werden die Auspuffgase schneller aus den Rohren katapultiert, wenn der Fahrer mehr Gas gibt. Das sorgt je nach Gaspedalstellung für mehr oder weniger Anpressdruck. McLaren brachte dieses Phänomen schon in Silverstone 2010 zur Verzweiflung.

Auspuffsystem des Red Bull RB7

Red Bulls Variante ist nicht so extrem wie die von Renault, aber wirkungsvoll Zoom

Also muss der Motorenlieferant mit dem Mapping gegensteuern: "Bis zu einem gewissen Grad muss man da mit dem Motorenlieferanten zusammenarbeiten", nickt Key, mit dem Sauber-Team ein Ferrari-Kunde. "Zum einen gibt es da die Zuverlässigkeit. Dafür geben sie eine lange Liste mit Werten und Vorgaben heraus. Sie sagen auch, was man nicht tun sollte. Aber viel weiter geht es nicht - der Rest liegt an uns."

Testen besonders wichtig

"Man muss schon in der Vorbereitung unheimlich viel arbeiten, um schlechte Situationen zu vermeiden. Man muss verstehen, wie das genau funktioniert - und das nicht nur auf den Geraden, sondern eben auch in den Kurven und beim Start. So kann ein plötzliches Gaswegnehmen zu einer heiklen Situation führen. Da muss viel simuliert werden. Auch beim Testen legt man dann viel Wert drauf", fährt der Technikchef der Schweizer fort.

Ferrari selbst setzt bereits auf ein modernes Auspuffkonzept, doch das Thema wird wohl die komplette Saison 2011 bestimmen: "Wir müssen bezüglich des Auspuffs nun auch mal andere Lösungsansätze anschauen. Das wird ein wichtiger Faktor", glaubt Technikchef Aldo Costa. "Die Nutzung der Abgase bringt bezüglich Anpressdruck ganz schön viel. Man wird an unserem Wagen, aber auch an allen anderen Autos noch viele Neuheiten sehen."

"Man wird an allen Autos noch viele Neuheiten sehen." Aldo Costa

Denn die meisten Teams stehen mit der Entwicklung ihrer Systeme noch ganz am Anfang. McLaren testete bei den Wintertests sogar eine zu extreme Variante, musste auf ein konventionelleres Auspuffsystem zurückrüsten. Williams und Sauber planen ihre Updates für Schanghai und Barcelona. Indes ärgern sich bis auf Renault-Technikchef Allison und Red-Bull-Stardesigner Newey alle Ingenieure, dass sie die Idee nicht selbst hatten.

"Man möchte neue Dinge immer selbst erfinden", gesteht Key und führt das Auspuffthema als Beispiel für die Schnelllebigkeit der Formel 1 an: "Wenn man vor zwei Jahren gesagt hätte, man schnallt den Auspuff vor das Auto, hätten die Leute einen für verrückt erklärt. Die Regeln lassen aber keinen Raum mehr bei der normalen Entwicklung, daher greift man darauf zurück. Wenn man etwas Neues sieht, dann man möchte man es verstehen."