• 05.03.2008 13:41

  • von Nimmervoll/Wittemeier

Formel-1-Countdown 2008: Toro Rosso

Unsere Experten analysieren: Warum das alte Auto zu Beginn ein Vorteil sein könnte und was man Sébastien Bourdais zutrauen darf

(Motorsport-Total.com) - Am 16. März beginnt mit dem Grand Prix von Australien in Melbourne die neue Formel-1-Saison. 'Motorsport-Total.com' veröffentlicht aus diesem Anlass jeden Tag einen Artikel aus der Countdown-Reihe - zu den fünf deutschen Stammfahrern und den elf Teams. Heute: Toro Rosso.

Titel-Bild zur News: Sébastien Bourdais

Mit der Kraft des Bullen: Toro Rosso gehört zu den jüngsten Formel-1-Teams

Nach nur zwei vollen Jahren in der Formel 1 haben viele schon wieder vergessen, dass Toro Rosso früher einmal Minardi war, ehe Red Bull zunächst 100 Prozent des Teams aus Faenza übernahm und dann später die Hälfte davon an Gerhard Berger, einen engen Freund von Firmenchef Dietrich Mateschitz, weiterverkaufte. Seither hat sich jedoch viel getan, die neuen Eigentümer haben im Grunde genommen keinen Stein auf dem anderen gelassen.#w1#

Österreicher haben das Sagen

Unter Oberboss Berger ist Teamchef Franz Tost, ebenfalls ein Österreicher, für Toro Rosso verantwortlich. Technisch hat der ehemalige Ferrari-Mann Giorgio Ascanelli, früher auch Bergers Renningenieur bei McLaren, das Sagen. Der Passauer Alexander Hitzinger ist inzwischen jedoch wieder nach Großbritannien zurückgekehrt, wo seine Ideen bei Red Bull Technology in Milton Keynes auch Toro Rosso zugute kommen.

Franz Tost und Gerhard Berger

Die Chefs Franz Tost und Gerhard Berger: Was bringt ihnen die Zukunft? Zoom

Apropos Red Bull Technology: Die Drittfirma, die aus rechtlichen Gründen die Autos für Red Bull Racing und Toro Rosso baut, wird auf technischer Ebene von Starkonstrukteur Adrian Newey geleitet. Neweys neuer RB4 gilt nach den Wintertestfahrten als gelungener Wurf, aber Toro Rosso muss zunächst noch mit einer umgebauten Version des vorjährigen STR2 in die neue Saison starten. Erst zum Europaauftakt soll auch das Red-Bull-B-Team auf den neuesten Stand gebracht werden.

Dass das ein großer Nachteil sein muss, ist aber gar nicht gesagt, schließlich sind Toro Rosso Ende 2007 dank einer steil nach oben zeigenden Entwicklungskurve die besten Resultate gelungen - unvergessen Sebastian Vettels vierter Platz in China. Das sieht auch unser Formel-1-Experte Marc Surer so: "Ihr Auto war Ende des vergangenen Jahres verdammt schnell - und zwar nicht nur im Regen, sondern sie sind auch im Trockenen recht gute Zeiten gefahren."

Team kennt den STR2 in- und auswendig

Und weiter: "Wenn du mit einem Auto, das du gut kennst, im Winter noch weitere Verbesserungen erzielst, dann kannst du schon für Überraschungen sorgen. Sie kennen das Auto, wissen, welche Abstimmung sie für welche Strecke nehmen müssen und so weiter. Insofern könnten sie das schaffen, was Super Aguri im Vorjahr mit dem alten Honda-Chassis geschafft hat. Das traue ich Toro Rosso zu", analysiert der Schweizer.

Sebastian Vettel

Sebastian Vettel ist schon im Vorjahr sieben Rennen für Toro Rosso gefahren Zoom

Sein Kollege im Expertenteam von 'Motorsport-Total.com', Sven Heidfeld, widerspricht zum Teil: "Die sind auf dem Weg nach vorne, aber der Start mit dem alten Auto ist sicher ein Nachteil. Du bist technisch immer ein paar Schritte zurück. Der Vorteil ist, dass sie ihr Auto schon verstehen, aber es wird für Topleistungen nicht reichen. Auch die größere Zuverlässigkeit ist kein Vorteil mehr, denn die fahren heutzutage fast alle stabil", ist der Deutsche überzeugt.

Ferrari-Motor als großer Joker?

STR2 hin, RB4 her - unabhängig davon, mit welchem Chassis die Berger-Truppe fährt, hat sie im Jahr eins ohne elektronische Fahrhilfen einen entscheidenden Vorteil gegenüber den meisten anderen Teams: Ferrari-Motoren. Der V8 aus Maranello gilt als das fahrbarste und gutmütigste Triebwerk der Generation 2008, sodass es die Fahrer bei der Kontrolle des Gaspedals ohne Traktionskontrolle einfacher haben, die Kraft auf die Straße zu bringen. Davon profitiert auch Force India.

Scott Speed, Franz Tost und Vitantonio Liuzzi

Mit den vorjährigen Fahrern herrschte oft angespannte Stimmung im Team Zoom

Was die teaminterne Atmosphäre angeht, läuft inzwischen sowieso vieles harmonischer ab als im Vorjahr - längst vergessen ist der Eklat, als Teamchef Tost Scott Speed am Nürburgring an die Gurgel gegangen sein soll. Sebastian Vettel und Sébastien Bourdais funktionieren als Fahrergespann aus Red-Bull-Sicht wesentlich besser als Speed und Vitantonio Liuzzi, was unterm Strich ja auch das Team entwicklungstechnisch nach vorne bringt.

Über Vettel muss man in Deutschland ohnehin keine Worte mehr verlieren; den zweiten "Super-Seb", Bourdais, kennen hierzulande hingegen nur jene Motorsportfans, die sich auch mit der ChampCar-Serie befasst haben. Der Franzose probierte sich Ende der 1990er-Jahre im europäischen Formelsport, brachte es aber nur zu ein paar Formel-1-Testfahrten, ohne je mit einem Vertrag belohnt zu werden. Dafür wurde er in Nordamerika mit vier ChampCar-Titeln en suite zur großen Nummer.

Erst Interesse von Theissen, dann von Berger

Ende 2005 stand Bourdais in Verhandlungen mit BMW Motorsport Direktor Mario Theissen, der noch auf der Suche nach einem Teamkollegen für Nick Heidfeld war. Theissen musste jedoch nach einem langen Hin und Her doch den noch unter der Regie von Peter Sauber abgeschlossenen Vertrag mit Jacques Villeneuve honorieren. Erst etwas später wurden dann Berger und Toro Rosso auf den Franzosen aufmerksam.

Sébastien Bourdais und Nicolas Todt

Neuzugang Sébastien Bourdais (links) wird von Nicolas Todt (rechts) gemanagt Zoom

Berger warf intern gegen den Willen von Juniorkaderchef Helmut Marko für Bourdais und gegen die hauseigenen Nachwuchspiloten Liuzzi/Speed sein politisches Gewicht in die Waagschale - und setzte sich damit durch. Sicher kein Zufall: Die ersten Toro-Rosso-Testfahrten des inzwischen 29-jährigen Piloten wurden von Nicolas Todt eingefädelt, dessen Vater Jean Todt aus Ferrari-Zeiten noch gut mit Berger befreundet ist.

Die große Frage ist jedoch: Wie schnell ist Bourdais eigentlich - und was sind vier ChampCar-Titel wert? Fakt ist, dass Robert Doornbos, der in der Formel 1 keine Bäume ausreißen konnte, in Nordamerika sofort an der Spitze mitfuhr, und Fakt ist auch, dass ein ChampCar-Topstar wie Will Power in Europa selbst bei Minardi durch den Rost gefallen ist. Daher ist sich Experte Surer sicher: "Die Testfahrten haben gezeigt: Bourdais ist langsamer als Vettel."

Renninstinkt als Bourdais' große Stärke

Aber: "Ich hoffe für ihn, dass er seine Qualitäten im Rennen ausspielen kann. In Amerika hat der Kerl in den Rennen immer alles richtig gemacht, das muss man ihm lassen. Wenn er das auch in der Formel 1 schafft, dann kann er vielleicht manchmal bessere Resultate herausfahren, als es das Auto normalerweise zulassen würde. Er kann die Rennen gut lesen und hat diesen Renninstinkt, den ich für sehr wichtig halte", so der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer.

Sébastien Bourdais

In den USA machte sich Sébastien Bourdais einen Namen als echter Racer Zoom

Auch Sven Heidfeld ist leicht skeptisch, was die Chancen des Rookies in der Königsklasse angeht: "Bourdais war in Amerika ein großer Name und er hat auch damals in der Formel 3000 sein großes Talent gezeigt, aber wenn man so lange in der ChampCar-Serie gefahren ist, dann ist die Umstellung gewaltig. Die sind technisch doch um einiges hinter der Formel 1 zurück und auch das Fahrerniveau ist anders", erklärt er.

ChampCar-Niveau unter dem der Formel 1

"Klar, da gibt es auch gute Fahrer, aber die Leistungsdichte ist längst nicht so hoch wie in der Formel 1. Da gibt es nämlich nur noch Toppiloten", gibt der Bruder von Nick Heidfeld zu Protokoll. Umso mehr bewundert er den Wechsel von Bourdais über den "großen Teich": "Ich finde es mutig, was Bourdais macht, denn er hätte auch in den USA bleiben und viel Geld verdienen können - vielleicht wäre er irgendwann sogar NASCAR gefahren."

Sebastian Vettel

Red Bull ist dafür bekannt, die Partys mit den hübschesten Frauen zu feiern Zoom

Einst hat Gerhard Berger gesagt, dass er seine Ziele als Teameigentümer in der Formel 1 innerhalb von fünf Jahren erreichen möchte. Dass er wohl nie Rennen gewinnen würde, dürfte ihm von Anfang an klar gewesen sein, aber 2008 bricht das dritte Jahr auf seine Truppe herein - und dementsprechend soll es nun zumindest etwas öfter WM-Punkte geben als in den ersten beiden Saisons in der Königsklasse.

Heidfeld wünscht sich insgeheim, dass es dazu kommen wird, denn er sieht Toro Rosso als Farbtupfer in der ansonsten viel zu sterilen Formel 1: "Das ist ein absolut sympathisches Team, vor allem auch wegen Gerhard Berger. Der ist wenigstens noch ein Typ, ein Mann der klaren Worte. Toro Rosso ist so wild und jung, wie ich mir Red Bull eigentlich vorstelle", so der ehemalige Formel-3000- und Formel-3-Pilot abschließend.

Saisonstatistik 2007:

Team:

Konstrukteurswertung: 7. (8 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 50,000 Prozent (11.)
Durchschnittlicher Startplatz: 16,206 (9.)
Bisherige Testkilometer 2008 mit neuem Auto: 0 (10.)

Sébastien Bourdais (Startnummer 14):

Fahrerwertung: -
Durchschnittlicher Startplatz: -
Bestes Ergebnis Qualifying: -
Bestes Ergebnis Rennen: -
Ausfallsrate: -
Bisherige Testkilometer 2008: 5.095 (11.)

Sebastian Vettel (Startnummer 15):

Fahrerwertung: 14. (6 Punkte)
Durchschnittlicher Startplatz: 14,375
Bestes Ergebnis Qualifying: 7.
Bestes Ergebnis Rennen: 4.
Ausfallsrate: 37,500 Prozent (19.)
Bisherige Testkilometer 2008: 4.954 (13.)

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