• 01.03.2008 14:11

  • von Nimmervoll/Wittemeier

Formel-1-Countdown 2008: McLaren-Mercedes

Das Jahr nach der Spionageaffäre: Warum die Silbernen noch gehandicapt sind, warum Fernando Alonso fehlen wird und wie die WM-Chancen stehen

(Motorsport-Total.com) - Am 16. März beginnt mit dem Grand Prix von Australien in Melbourne die neue Formel-1-Saison. 'Motorsport-Total.com' veröffentlicht aus diesem Anlass jeden Tag einen Artikel aus der Countdown-Reihe - zu den fünf deutschen Stammfahrern und den elf Teams. Heute: McLaren-Mercedes.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton

McLaren-Mercedes ist neben Ferrari Topfavorit auf den Gewinn des WM-Titels

Für die Silberpfeile geht es 2008 darum, den infolge der Spionageaffäre schwer angeschlagenen Ruf wieder aufzupolieren - und zwar am besten mit sportlichen Erfolgen auf der Rennstrecke. Das wird jedoch keineswegs einfach, denn die Nachwehen der Spionageaffäre wirken wie ein Hemmschuh auf das Team. In erster Linie ist damit natürlich die Geldstrafe von 100 Millionen US-Dollar gemeint - nach aktuellem Kurs umgerechnet gut 65 Millionen Euro.#w1#

Wie sehr schmerzt die Geldstrafe?

McLaren-Fabrik

Der McLaren-Mercedes MP4-23 wurde vom Designteam um Tim Goss gebaut Zoom

"Das Geld fehlt in der Kasse, ganz klar. Wenn man das zur Verfügung gehabt hätte, hätte man in die Entwicklung investieren können", analysiert unser Experte Marc Surer. "Es muss sich auswirken. Es kann nicht sein, dass nichts passiert, wenn man 100 Millionen Strafe bezahlen muss, die FIA dauernd in der Bude rumläuft, während du das Auto entwickelst, und du nichts am Auto haben darfst, was ein bisschen nach Ferrari aussieht - obwohl alle anderen auch hemmungslos den Ferrari kopieren."

Klar ist nämlich: Auch wenn die Untersuchungen der FIA offiziell abgeschlossen sind, wird die Konkurrenz und speziell Ferrari die Silberpfeile mit Argusaugen beobachten. Jedes noch so kleine Verdachtsmoment, das bei einem anderen Team vielleicht gar nicht auffallen würde, wird McLaren-Mercedes in einem schiefen Licht erscheinen lassen. Aus diesem Grund hat das Team auch mehr oder weniger freiwillig auf drei ganz konkrete Entwicklungsrichtungen verzichtet.

Trotzdem sieht 'Motorsport-Total.com'-Experte Sven Heidfeld die Situation etwas weniger dramatisch als Surer: "Ich glaube, die Strafen werden kaum Auswirkungen haben - das hätte man wahrscheinlich schlimmer eingeschätzt. Das Ganze belastet vielleicht noch das Image von McLaren, von Mercedes, von Ron Dennis und vielleicht auch von Norbert Haug, aber sie haben trotzdem wieder ein schnelles Auto gebaut."

Zweijahresrhythmus: Folgt nun wieder ein Flop?

Heikki Kovalainen

Im Winter hat sich das Team auch in Sachen Boxenstopps ideal vorbereitet Zoom

Der MP4-23 wurde übrigens unter der Leitung von Tim Goss gebaut. Das ist insofern relevant, als Goss auch für die Flops von 2004 und 2006 verantwortlich war, wohingegen die silbernen Raketen von 2005 und 2007 aus der Feder von Pat Fry kamen. McLaren-Mercedes hat ja zwei alternierende Designteams, die sich im Zweijahresrhythmus abwechseln - eine Philosophie, die einst Mike Gascoyne bei Renault in die Formel 1 gebracht hat.

Natürlich bedeutet das nicht, dass Goss nicht auch auf die Ideen seiner anderen Kollegen zurückgreifen kann, aber kombiniert mit der Entlassung von Spionagetäter Mike Coughlan könnte das Ingenieursteam in Woking theoretisch geschwächt sein. Surer stimmt grundsätzlich zu, schränkt aber ein: "Das letztjährige Auto war so gut, dass man auf einer gesunden Basis weiterarbeiten kann. Das war nicht immer so. Insofern muss sich dieses Auf und Ab nicht unbedingt fortsetzen."

Heidfeld meint dazu: "Die Vergangenheit hat McLaren wirklich in einer Art Wellenbewegung gezeigt." Aber auch er relativiert die Befürchtungen: "Die werden dieses Jahr wieder ein gutes Jahr haben. Insgesamt haben sie sich ja darauf verlegt, jetzt immer weniger radikale Änderungen zu machen im Bereich der Technik. Ich glaube, die haben jetzt wieder ein gutes Auto. Ob es aber zum Titel reicht, kann ich nicht sagen."

Spionageaffäre noch nicht ausgestanden

Heikki Kovalainen und Lewis Hamilton

Die neue Generation im Silberpfeil: Heikki Kovalainen und Lewis Hamilton Zoom

Erschwerend kommt der psychologische Faktor hinzu: Die Spionageermittlungen der Staatsanwaltschaft von Modena laufen ja unverändert weiter - erst kürzlich gab es Hausdurchsuchungen bei Teamchef Ron Dennis, Geschäftsführer Martin Whitmarsh und in der Fabrik in Woking. Außerdem sollen wichtige Teammitglieder demnächst verhört werden. Dass das den Fokus auf das Wesentliche trüben kann, ist nur natürlich.

Zumindest imagetechnisch sieht Heidfeld aber keine gravierenden Probleme: "Das Image ist schnell wieder aufpoliert, denn die haben mit Hamilton und Kovalainen sehr sympathische Fahrer." Und sehr junge: Hamilton, 23, muss man nach seiner sensationellen Premierensaison mit dem Vize-WM-Titel nicht näher vorstellen; Kovalainen, 26, kommt nach einem am Ende starken Jahr bei Renault mit anfänglichen Schwierigkeiten zu den Silberpfeilen. Für beide ist es das zweite Formel-1-Jahr.

Zwei junge Fahrer im zweiten Formel-1-Jahr

Lewis Hamilton

Steht unter Druck: Ganz Großbritannien erwartet von Lewis Hamilton den WM-Titel Zoom

"Ich glaube, Hamilton wird noch stärker sein", so Heidfeld. "Er hat nun mehr Ruhe, weil Alonso weg ist. Kovalainen hat in der zweiten Saisonhälfte gezeigt, dass er in der Formel 1 gut zurechtkommt. Bei ihm hat man gemerkt, wie wenig Zeit beim Einstieg überhaupt bleibt. Er stand schon nach zwei Rennen in der Kritik. Es haben übrigens schon andere Fahrer unter Briatore keine guten Leistungen gebracht und waren dann in anderen Teams wirklich stark. Vielleicht geht Heikkis Stern jetzt auf."

Größter Vorteil der neuen Fahrerpaarung: Zu einer Neuauflage des teaminternen "Kriegs der Sterne" wird es wohl nicht kommen, denn zumindest im Winter wirkten Hamilton und Kovalainen nach außen hin sehr harmonisch. Gleichzeitig fehlt aber eine echte Führungsfigur mit der Erfahrung, denn man kann nach der kontroversen Saison 2007 über Alonso sagen, was man will - seine Qualitäten als Führungsfigur sind unbestritten, solange man ihm freie Hand lässt.

"Kovalainen muss sich erstmal beweisen. Hamilton zwar nicht, aber dafür liegt die Verantwortung auf ihm", erklärt Surer. "Es ist kein Alonso mehr da, der sagt, dass das und das nicht passt und man etwas anders machen muss. Sie haben keinen Fahrer mehr, auf den sie sich hundertprozentig verlassen können, was die Führung des Teams und der Entwicklung angeht. Wenn es gut läuft, ist alles bestens, aber wenn es nicht läuft, wo fangen sie dann zu suchen an?"

De la Rosas Job so wichtig wie noch nie

Ron Dennis und Martin Whitmarsh

Ron Dennis könnte sein Amt angeblich bald an Martin Whitmarsh übergeben Zoom

In dem Fall kommt dann der routinierte Testfahrer Pedro de la Rosa ins Spiel: "Auf ihn kommt eine ganz wichtige Rolle zu", weiß Surer, selbst 82-facher Grand-Prix-Teilnehmer. "Er ist derjenige, der weiß, wie das Auto sein muss. Sollte es nicht laufen, dann kann es bei zwei so jungen Fahrern passieren, dass sie verzweifeln - und dann muss er dem Team mit seiner Erfahrung ganz besonnen weiterhelfen. Auf ihm lastet eine große Verantwortung."

Zumindest im Moment sieht es aber ohnehin nicht nach einer Krise bei McLaren-Mercedes aus, aus der man sich erst einmal hochrappeln müsste. Die Wintertests mit dem MP4-23 sind recht positiv verlaufen - das Auto scheint standfest und schnell zu sein. Ob man die Pace von Ferrari mitgehen kann, ist zum jetzigen Zeitpunkt natürlich reine Spekulation, aber dass es in Melbourne keinen totalen Fehlstart geben wird, davon muss man ausgehen.

Hinter den Kulissen tut sich im silbernen Lager übrigens auch einiges, denn infolge der Spionageaffäre sägt 40-Prozent-Teilhaber Mercedes angeblich am Stuhl von Teamchef Ron Dennis. Offiziell dementiert das Team zwar, man hört jedoch, dass innerhalb der nächsten Monate die Hofübergabe an Martin Whitmarsh erfolgen könnte. Auch hier darf man gespannt sein, wie sich das Jahr 2008 entwickeln wird...

Saisonstatistik 2007:

Team:

Konstrukteurswertung: 2. (203 Punkte)*
Siege: 8
Pole-Positions: 8
Schnellste Rennrunden: 5
Podestplätze: 24
Ausfallsrate: 5,882 Prozent (1.)
Durchschnittlicher Startplatz: 2,882 (1.)
Bisherige Testkilometer 2008 mit neuem Auto: 13.617 (1.)

Lewis Hamilton (Startnummer 22):

Fahrerwertung: 2. (109 Punkte)
Durchschnittlicher Startplatz: 2,588
Bestes Ergebnis Qualifying: 1.
Bestes Ergebnis Rennen: 1.
Ausfallsrate: 5,882 Prozent (2.)
Bisherige Testkilometer 2008: 5.473 (8.)

Heikki Kovalainen (Startnummer 23):

Fahrerwertung: 7. (30 Punkte)
Durchschnittlicher Startplatz: 10,706
Bestes Ergebnis Qualifying: 6.
Bestes Ergebnis Rennen: 2.
Ausfallsrate: 5,882 Prozent (2.)
Bisherige Testkilometer 2008: 5.938 (2.)

* wegen Spionageaffäre aus der Konstrukteurs-WM ausgeschlossen