Kolumne 24h Le Mans 2025: Hypercar-Reglement in der Vertrauenkrise

Das Hypercar-Reglement war ein gigantischer Wurf, doch nach dem dritten Ferrari-Sieg gibt es Kratzer - Vor allem wie Ferrari gewinnt, wirft unbequeme Fragen auf

(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde der Hunaudieres-Geraden,

Titel-Bild zur News: Ferrari führt die Gegner - legal - an der Nase herum: Frust wird laut

Ferrari führt die Gegner - legal - an der Nase herum: Frust wird laut Zoom

so schnell kann sich der Wind drehen. Das bislang als genial gefeierte Hypercar-Reglement - kosteneffizient, herstellerfreundlich, zukunftssicher - steht nach dem dritten Ferrari-Sieg in Folge bei den 24 Stunden von Le Mans vor seiner ersten großen Glaubwürdigkeitskrise.

Die Grundidee war bestechend: Jeder Hersteller sollte zu vertretbaren Kosten eine realistische Chance auf den Le-Mans-Gesamtsieg haben. Die Industrie nahm das Angebot an - mit Cadillac, Porsche, Alpine, BMW und Co. ist die Langstrecken-WM so gut besetzt wie seit Jahrzehnten nicht mehr und es kommen noch mehr. Doch was, wenn sich zeigt, dass die Theorie in der Praxis nicht aufgeht?

Dass Ferrari zum dritten Mal in Folge gewonnen hat, war keine Überraschung. Schon am Testtag war erkennbar, dass der 499P in Le Mans das Maß der Dinge ist. Und der Sieg war deutlich dominanter, als es das Ergebnis vermuten lässt.

Sowohl die Werksautos als auch der siegreiche Privat-Ferrari handelten sich zahlreiche Strafen ein und machten teils gravierende Fehler wie den Dreher in der Boxeneinfahrt. Ohne diese Schnitzer wäre es ein überlegener Dreifachsieg geworden. Obendrein wurde die #50 disqualifiziert.

Porsche hatte lediglich einen Reifenschaden, der durch das Safety-Car Makulatur war. Die #6 leistete nahezu Übermenschliches, denn sie kämpfte erfolgreich einen Kampf mit stumpfen Waffen. Hätte dieser Porsche gewonnen, hätte der Triumph auf einer Stufe mit dem magischen Audi-Sieg von 2008 gestanden.


Fotos: WEC 2025: 24h Le Mans, Rennen


Zur Einordnung: Ohne Ferrari hätte der Porsche mit zwei Minuten Vorsprung gewonnen. Und diese wurden in zwölf Stunden herausgefahren (Safety-Car). Was Kevin Estre, Laurens Vanthoor und Matt Campbell hier geleistet haben, war einfach sensationell.

Ferrari spielt ein Spiel, das Porsche nicht spielen kann

Dass der gelbe Ferrari gewonnen hat, ist vollkommen in Ordnung. Er hat die wenigsten Fehler im Ferrari-Camp gemacht und hatte den gleichen Speed wie die Werksautos.

Vor allem aber hat der private Ableger von AF Corse insbesondere dank Nicht-Werksfahrer Robert Kubica von Anfang an mit offenen Karten gespielt, während die Werks-Ferrari ihre Performance in den Trainings verschleiert haben. In den Longruns lag die #83 regelmäßig vorne, während sich die roten Fahrzeuge im Hintergrund hielten.

Und genau dieses Verschleiern stößt der Konkurrenz sauer auf. Ferrari kann immer zulegen, wenn es drauf ankommt. Dass AF Corse schon in der dritten Stunde aufdrehte, kam etwas überraschend. Bislang hatte Ferrari bei seinen Siegen sich langsam, aber sicher nach vorne gearbeitet.

Anzahl der gefahrenen Runden unter 3:27 (Blau), 3:28 (Orange), 3:29 (Grau) und 3:30 Minuten (Grün) bei den Top 10 des Rennens

Anzahl der gefahrenen Runden unter 3:27 (Blau), 3:28 (Orange), 3:29 (Grau) und 3:30 Minuten (Grün) bei den Top 10 des Rennens Zoom

Ähnlich lief es nach dem nächtlichen Safety-Car-Restart, als es nicht lange dauerte, bis die Dreifachführung wiederhergestellt war, und am Sonntagmorgen, als Strafen gegen die #83 und #51 verhängt wurden und sie die Pace erhöhten. Sobald Ferrari in Führung lag, wurde das Tempo so reguliert, dass der Abstand auf den größten Gegner nicht zu groß wurde.

Ferrari hat das System geknackt - legal

Ferrari fuhr im Rennen elf Runden im 3:26er-Bereich und 62 weitere im Bereich von 3:27 Minuten. Porsche kam auf eine einzige 3:26er- sowie 33 3:27er-Runden. Trotzdem lag der Porsche #6 im Schnitt der 60 Prozent schnellsten Runden - also jener Basis, die zu zwei Dritteln zur BoP-Ermittlung außerhalb von Le Mans dient - nur 0,080 Sekunden hinter dem besten Ferrari.

Das zeigt: Ferrari beherrscht es wie kein anderer Hersteller, die Berechnung der Balance of Performance auszuhebeln. Das ist kein Vorwurf, sondern verdient in erster Linie Anerkennung. Das System so auszuspielen, ist ganz hohe Ingenieurskunst. Neu ist es ebenfalls nicht - schon zu Zeiten der LMGTE Pro wurde Ferrari nachgesagt, die damalige automatisierte BoP unterlaufen zu können.

Die BoP bei den regulären WEC-Rennen untermauert das ebenfalls. Obwohl die 499P alle drei Rennen gewonnen haben, hatten sie immer eine bessere Einstufung als Toyota und waren erst in Spa erstmals schlechter eingestuft als Porsche - und das auch nur minimal.

Durchschnitt der 60 Prozent schnellsten Runden aller Hypercars in Le Mans: Ferrari sieht weit weniger überlegen aus, als sie es waren

Durchschnitt der 60 Prozent schnellsten Runden aller Hypercars in Le Mans: Ferrari sieht weit weniger überlegen aus, als sie es waren Zoom

Das Problem bei dieser Sache ist: Was auch immer Ferrari macht, den LMDh-Herstellern stehen diese Stellschrauben nicht zur Verfügung. "Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem alles so ausgereizt ist, dass mittlerweile kleinste Kleinigkeiten einen großen Ausschlag geben, und da haben die LMH einfach mehr Möglichkeiten", sagte mir ein ranghohes Teammitglied aus dem LMDh-Camp nach dem Rennen.

Auf die Frage, ob es ein LMH- oder ein Ferrari-Problem sei, lautete die Antwort: "Wenn Ferrari das kann, kann es jeder andere LMH-Hersteller theoretisch ebenfalls."

Toyota muss sich also an die eigene Nase fassen, dass man zwar gemeinsam mit Ferrari das schnellste Auto hat, die Performance aber nicht so elegant verschleiern kann wie die Italiener. Das führte unter anderem zur geradezu lächerlichen Einstufung des GR010 Hybrid in Spa-Francorchamps, als wir in unserer BoP-Analyse sogar die Skala erweitern mussten, weil die alte gesprengt wurde.

Durchschnitt der besten zehn Rundenzeiten aller Hersteller: Cadillac und BMW auf eine Runde richtig schnell

Durchschnitt der besten zehn Rundenzeiten aller Hersteller: Cadillac und BMW auf eine Runde richtig schnell Zoom

Bei den zehn schnellsten Rennrunden, die immerhin zu einem Drittel in die Erstellung der BoP einfließen, machen sich die LMDh-Hersteller Cadillac und BMW dann auch noch selbst das Leben schwer. Auf eine Runde funktionieren die LMDh, das haben wir nicht zuletzt in der Hyperpole gesehen. Schnell auf eine Runde, zu großer Drop danach - diese Kombination ist Gift für eine gute Einstufung.

Welcher Hersteller vertraut jetzt noch dem Reglement?

Der Ferrari-Sieg und vor allem die Art, wie er zustande kam, sind ein Rückschlag für das Hypercar-Reglement. Der Dualismus zwischen LMH und LMDh funktioniert in der Praxis nicht wie erhofft. Das wird immer deutlicher.

Das "Guaranteed Equal Playing Field" ("garantiert gleiche Wettbewerbsbedingungen"), wie es in den offiziellen Dokumenten der WEC heißt, ist nicht gegeben, wenn ein Hersteller das System austricksen kann, anderen diese Möglichkeit aber nicht offensteht.

Auf dem Papier sah die BoP zwar stimmig aus - mit der Einschränkung, dass die französischen Hersteller unterbewertet waren (eine Ironie, gerade in Le Mans). Bei Peugeot ist das Problem bekannt: Das Auto passt konzeptionell nicht zum Reglement. Bleibt Alpine - die waren chancenlos. Aber alle anderen Fahrzeuge waren nachvollziehbar eingestuft. Kein Vorwurf an die BoP-Macher.

Kein guter Zeitpunkt für schlechtes Zeichen

Es gibt genau einen Le-Mans-Sieg im Jahr. 2027 haben wir elf Werksteams. Selbst wenn jährlich ein anderer gewinnt, müssen zehn Hersteller jedes Jahr erklären, warum Millioneninvestitionen keinen Erfolg gebracht haben. Und wenn ein Hersteller dann auch noch eine Siegesserie hinlegt, wird die Luft für die anderen noch dünner.

Und genau jetzt, wo es angesichts von Gewinneinbrüchen in der Autoindustrie (ja, sie macht immer noch Milliardengewinne, aber wenn man statt acht nur noch drei Milliarden Gewinn macht, steckt man nach moderner BWL-Logik in einer waschechten Krise) erste Gerüchte aufgekommen sind, dass die deutschen Hersteller ihre Hypercar-Programme reduzieren könnten, wirkt die Ferrari-Serie wie ein Brandbeschleuniger.

Wie sollen die Thomas Laudenbach, Andreas Roos oder Bruno Famin es dem Vorstand verkaufen, weiter Millionen in ein Motorsportprogramm zu stecken, in dem sie mit ihren Autos konzeptbedingt keine Chance haben?


Highlights 24h Le Mans 2025: 24 Stunden in 25 Minuten

Wenn es der FIA und dem ACO nicht gelingt, eine Methodik zu entwickeln, die sich nicht austricksen lässt, droht ein Dominoeffekt. Der erste Hersteller, der sich ungerecht behandelt fühlt und aussteigt, könnte Nachahmer finden. Das Hypercar-Reglement ist immer noch genial, doch es muss richtig umgesetzt werden. Verspielt es nicht.

Euer


Gerald Dirnbeck

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