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Williams' junge Garde für eine bessere Zukunft

Von Sam Michael über Jörg Zander bis hin zu Chris Chapple und der 'Senior Management Group' setzt sich Williams aus eher jungen Mitarbeitern zusammen

(Motorsport-Total.com) - Frank Williams (63) und Patrick Head (59) sind zwar das derzeit älteste Führungsgespann der Formel 1, doch auch wenn die beiden Briten nach außen manchmal knorrig und altmodisch wirken, haben sie es in den vergangenen Jahren nicht verabsäumt, ihr Team zu verjüngen. Es wird also langsam Zeit, die wichtigsten Mitarbeiter einmal vorzustellen...

Titel-Bild zur News: Sam Michael

Sam Michael ist der Shooting-Star des Williams-Teams - mit gerade mal 34

Quasi die Nummer drei bei Williams ist Sam Michael, der im Mai 2004 den Posten des Technischen Direktors von Head übernommen hat. Der 34-Jährige wuchs auf einer Farm in Australien auf und lernte dort früh, landwirtschaftliche Maschinen zu bedienen und zu reparieren. Natürlich hatte er dort auch Zugang zu einigen Motorrädern, die ihn von Anfang an faszinierten - und mit 16 Jahren gewann er sogar eine regionale Motocross-Meisterschaft.#w1#

Collins legte Michael die Rutsche in die Formel 1

1993 machte Michael an der Universität von New South Wales seinen Abschluss im Maschinenbau, doch bereits in den Jahren zuvor hatte er Erfahrungen als Mitarbeiter eines Formel-Holden-Teams gesammelt. Über seinen damaligen Teamchef Greg Siddle lernte er beim Grand Prix in Adelaide Lotus-Teammanager Peter Collins kennen, der ihn prompt engagierte. Als Lotus zusperren musste, wurde der Australier von Konstrukteur Gary Anderson zu Jordan geholt.

Michael arbeitete sich bei der dynamischen Truppe aus Silverstone rasch nach oben, baute trotz seines jungen Alters die Forschungs- und Entwicklungsabteilung auf und entwickelte obendrein einen neuartigen Radaufhängungsprüfstand. Dass er zu Beginn seiner Karriere in der australischen Motorsportszene gelernt hatte, die finanziellen Ressourcen stets möglichst effizient zu nutzen, kam ihm bei Jordan natürlich sehr zugute.

Als Renningenieur bei den Gelben betreute der aufstrebende Techniker in den späten 90er Jahren zunächst Ralf Schumacher und dann Heinz-Harald Frentzen, den er 1999 beinahe zum WM-Titel geführt hätte, während Damon Hill im zweiten Wagen sang- und klanglos unterging. Natürlich ist diese Tatsache den Experten im Fahrerlager nicht entgangen, so dass Frank Williams auf Michael aufmerksam wurde und ihn 2001 als Chefingenieur unter Vertrag nahm.

Michael ist sich seiner Verantwortung voll bewusst

"An Williams hat mir damals besonders gefallen", so der 34-Jährige heute, "dass das Team vom Ingenieurswesen angetrieben wird. Ich habe hier eine gute Mannschaft mit guten Leuten um mich, aber es ist meine Aufgabe, alle in die Richtung zu delegieren, die ich für richtig halte - und ich muss hohe Standards und Ziele setzen, die wir als Team insgesamt umsetzen müssen."

"An Williams hat mir besonders gefallen, dass das Team vom Ingenieurswesen angetrieben wird" Sam Michael

Michael arbeitete zunächst drei Jahre an der Seite von Head und lernte so viel darüber, die Technikabteilung eines Topteams zu leiten, so dass er im Mai 2004 für die Beförderung bereit war, als Williams auf Druck von BMW Head als Technischen Direktor ablösen musste und stattdessen dem Jungspund die Chance gab, sich auch auf höchstem Niveau zu etablieren. Nun fehlen eigentlich nur noch die Erfolge auf der Rennstrecke...

Übrigens lebt Michael gemeinsam mit seiner Frau Vanessa und zwei Kindern in Oxford, wenngleich er jede freie Minute nutzt, um zum Surfen nach Frankreich zu gehen. Mit seiner Gattin treibt er nicht allzu gerne Sport: "Mit Vanessa konnte ich beim Laufen nur mithalten, als sie im sechsten Monat schwanger war", so der enge Vertraute von Mark Webber. Kein Wunder: Frau Michael war früher Leichtathletin und gewann als solche unter anderem einen australischen 400-Meter-Titel...

Chapple: Aus dem Golfkrieg in die Formel 1

Etwas älter, nämlich 41, ist Chris Chapple, eine weitere Entdeckung der jungen Williams-Garde. Der heutige Geschäftsführer des 500 Mann starken Formel-1-Teams studierte in Oxford Jura, ging dann aber zur britischen Marine und landete dadurch nach dem ersten Golfkrieg als Friedenssicherer im Irak. Mit 100 Helfern und denkbar schlecht ausgestattet musste er dort 150.000 Menschen umsiedeln, was eine logistische Meisterleistung darstellte.

1992 suchte er einen Tapetenwechsel und landete bei der US-Investmentbank 'Goldman Sachs', wo er zehn Jahre lang arbeitete: "Das war eine tolle Erfahrung", so der Brite im Nachhinein, "denn vieles war ähnlich wie bei der Marine. Man musste immer total auf die gerade aktuelle Aufgabe fokussiert sein. Es war eine sehr intensive, aber auch eine befriedigende Zeit, in der ich gelernt habe, kommerzielle und strategische Angelegenheiten richtig einzuschätzen."

Als Geschäftsführer hat Chapple großen Einfluss

Über die Stationen 'Marconi' und 'SUAL International', die ihn teilweise zwangen, jede Woche nach Moskau zu fliegen, fand er im Januar 2005 schließlich zu Williams, wo gerade die neue 'Senior Management Group' aufgebaut wurde. Die Herren Williams und Head bestellten Chapple zum Geschäftsführer und übertrugen ihm damit große Bereiche des Tagesgeschäfts, auch wenn sie sich die Entscheidungsgewalt natürlich bis heute nicht wegnehmen lassen.

Der 'Senior Management Group' gehören außerdem noch Chief Operating Officer Alex Burns, Marketingchef Jim Wright und der Leiter der Rechtsabteilung, John Healey, an. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern dieses Gremiums sind sie in alle Entscheidungsprozesse bei Williams involviert, weil Williams und Head bewusst ist, dass sie nicht auf Dauer das Sagen haben werden. Die 'Senior Management Group' soll einen fließenden Übergang zur künftigen Nachfolgeregelung schaffen.

Burns, ein dreifacher Familienvater, hat wie viele seiner Kollegen einen bemerkenswerten Hintergrund, denn für das britische Unternehmen 'Meggitt' war er bis 2002 unter anderem an Raumfahrtprojekten wie 'Ariane 4' und 'Ariane 5' beteiligt. Für Williams arbeitet er seit nunmehr fast vier Jahren, und seine Hauptaufgabe ist es, den kompletten operativen Bereich zu leiten und Arbeitsmethoden zu überwachen und zu verfeinern.

Wright ist eines der Urgesteine bei Williams

Wright ist im Gegensatz dazu ein Racer der alten Schule, schließlich schnupperte er schon 1980 in der Formel 3 ein wenig Motorsportluft. Anschließend war er unter anderem für ATS und Jordan tätig, ehe er 1986 seine eigene Beratungsfirma gründete. 1994 stieß er mit dem Auftrag zu Williams, Sponsoren zu akquirieren, und nur zwei Jahre später wurde ihm die Leitung der kompletten Marketingabteilung übertragen, die er seither innehat.

Der Jurist Healey ist indes vielleicht dem einen oder anderen Fan ein Begriff, denn der dreifache Familienvater spielte in der schlagzeilenträchtigen Wechselaffäre um Jenson Button eine tragende Rolle. Sein Aufgabengebiet umspannt auch andere rechtliche Angelegenheiten wie beispielsweise die erst kürzlich unterschriebene Neufassung des Concorde Agreements - für einen langjährigen Mitarbeiter der Rechtsabteilung von Sportwarenhersteller 'adidas' natürlich kein Problem.

Immer wieder Kritik an Williams' Personalentscheidungen

Doch während das Management in Grove zweifellos recht kompetent besetzt ist, kritisieren viele Insider die Personalpolitik des Williams-Teams im technischen Bereich: Die Truppe hat erst Adrian Newey an McLaren und Geoff Willis an BAR verloren und später - nach einem Motorradunfall - Gavin Fisher vor die Tür gesetzt, um den noch relativ unerfahrenen Jörg Zander von BAR als Chefdesigner zu verpflichten.

Autoklave

In der Fabrik eines jeden Formel-1-Teams arbeiten bis zu 1.000 Mitarbeiter Zoom

Was jedoch kaum jemand weiß: Zander arbeitete schon in verschiedenen Motorsportklassen wie der Rallye-WM, der FIA-GT-Serie und der ITC. Für seinen damaligen Arbeitgeber Toyota schnupperte er Ende der 90er Jahre auch erstmals Formel-1-Luft, als der Einstieg der Japaner in die Königsklasse vorbereitet wurde, und 2002 verließ er seine deutsche Heimat, um bei BAR in Brackley die Entwicklung der Kraftübertragung zu übernehmen.

2005 wurde er als Nachfolger von Fisher von Williams verpflichtet - mit der verantwortungsvollen Aufgabe, die Entwicklung des neuen FW28 zu leiten. Heute ist der 41-Jährige, der 1996 unter anderem am Auto von 'F1Total.com'-Experte Hans-Joachim Stuck geschraubt hat, für 30 Designgruppen zuständig. Außerdem muss er die Richtung in den Bereichen Aerodynamik, Elektronik und Produktion sowie für das Renn- und Testteam vorgeben.

Bigois hat bisher noch keine Siegerautos gebaut

Ihm zur Seite steht Loïc Bigois, der in Formel-1-Kreisen ob seiner bisher eher mageren Erfolgsgeschichte einen zweifelhaften Ruf genießt. Der Franzose kommt aus der Luftfahrt, arbeitete zwischen 1990 und 2003 für Teams wie Ligier, Sauber, Prost und Minardi und übernahm bei Williams 2004 das Erbe der ehemaligen Ferrari-Aerodynamikerin Antonia Terzi, die damals nicht zuletzt wegen des Misserfolgs ihrer fast schon legendären "Hammerhai"-Nase rausgeschmissen wurde.

Abgerundet wird die junge Williams-Garde von Tim Newton, dem bisherigen Leiter des Testteams, der nun in derselben Position ins Rennteam befördert wurde. Der 43-jährige Brite begann seine Laufbahn 1980 als Mechaniker bei Hesketh, wechselte später in die Britische Tourenwagenmeisterschaft und in die Formel 3. Mitte der 80er Jahre lebte er kurzzeitig in Österreich, wo er für das Team von Helmut Marko schraubte, ehe er erst im Tourenwagensport und später in der Formel 1 bei Williams unterkam.

Über all diesen Mitarbeitern thront natürlich weiterhin das Führungsduo Williams/Head, welches manchmal mit Samthandschuhen, meistens aber mit Peitsche regiert - aber für seine geradlinige Art in Szenekreisen sehr geschätzt wird. Ob die Mischung aus Erfahrung und Jugend 2006 zum Erfolg führen wird, kann ohnehin nur die Zeit zeigen; für den Mut zu unkonventionellen Personalentscheidungen müsste man Williams die Rückkehr an die Spitze aber eigentlich gönnen...