Wie man das Kommissar-Problem in der Formel 1 lösen könnte
Die Ausbootung eines Kommissares, gepaart mit einer fünfstündigen Wartezeit auf das Ergebnis, haben Diskussionen rund um die Stewards wieder entfacht
(Motorsport-Total.com) - Regeln können noch so klar sein, aber ihre Interpretation und Durchsetzung werden immer ein gewisses Maß an Subjektivität enthalten. Deshalb steht die Qualität der Rennkommissare in der Formel 1 regelmäßig im Zentrum der Diskussion - zu Recht oder, viel häufiger, zu Unrecht.

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Lange dauerte es, bis George Russell als Sieger in Kanada feststand Zoom
Manche Kommentatoren haben die Suspendierung von Derek Warwick von seinen Aufgaben als Rennkommissar vor dem Großen Preis von Kanada mit der langen Wartezeit von fünfeinhalb Stunden nach der Zieldurchfahrt bis zur finalen Bestätigung des Ergebnisses in Verbindung gebracht. Das ist allerdings eine Vermischung von Korrelation und Kausalität.
Enrique Bernoldi stieß per Videoübertragung aus dem FIA-Remote-Operations-Zentrum in Genf zu den Kommissaren, und der Prozess funktionierte soweit gut, auch wenn es nicht ideal war.
Der Hauptgrund für die Verzögerung - abgesehen davon, dass Red Bull seinen Protest gegen George Russell nicht sofort einreichte - war, dass die Kommissare nicht nur die Kollision der beiden McLaren-Fahrer untersuchen mussten, die das späte Safety-Car ausgelöst hatte, sondern auch mehrere Verstöße während der Full-Course-Yellow-Phase, die die Rennleitung bereits angezeigt hatte.
Also zwei separate Probleme, eines davon einfacher zu lösen als das andere.

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Derek Warwick wurde vor dem Wochenende von seinen Aufgaben entbunden Zoom
Warwick ist eine Säule der Motorsportgemeinschaft, ein Le-Mans-Sieger, ehemaliger Grand-Prix-Fahrer und ehemaliger Präsident des British Racing Drivers' Club.
Er wurde kurzfristig in Kanada aus der Kommissarentätigkeit genommen, weil er einem Glücksspielanbieter ein Interview gegeben hatte, in dem er verschiedene aktuelle Themen der Formel 1 kommentierte - einschließlich des Zwischenfalls zwischen Russell und Max Verstappen beim Spanien-Grand-Prix.
Im Januar war bereits der ehemalige Formel-1-Fahrer Johnny Herbert aus der Kommissaren-Riege gestrichen worden. Die FIA begründete dies damit, dass seine "Aufgabe als FIA-Kommissar und die eines Medienexperten miteinander unvereinbar" seien.
Das Problem des Ehrenamtes
Bei jedem Grand Prix gibt es vier Kommissare, und seit 2010 ist einer davon immer ein ehemaliger Formel-1-Fahrer. Jean Todt, der damalige FIA-Präsident, führte dies ein, nachdem Teams sich beschwert hatten, dass die Entscheidungen der Kommissare sowohl an Konstanz als auch an Verständnis der Rennsituation mangelten.
Doch auch die Kommissare - sogar die ehemaligen Fahrer - sind immer noch Freiwillige, die ihre Expertise aus Idealismus einbringen. Diese Position ist unbezahlt. Zwar werden ihre Kosten übernommen, doch die Auslagen sind bescheiden. Die Zeiten der Max-Mosley-Ära, in der die Führungsebene der FIA die besten Flaschen Wein aus der Karte ordern konnte, sind lange vorbei.
Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass ein unbezahlter Ehrenamtlicher die Möglichkeit nutzt, sich für ein PR-Interview bezahlen zu lassen.
Dennoch ist es bei der Rolle der Kommissare nicht ideal, wenn der Eindruck entsteht, dass ihre Unabhängigkeit kompromittiert sein könnte - erst recht in der politisch aufgeheizten Stimmung vor dem Kanada-Grand-Prix, wo Red Bull große Sorge hatte, dass andere Fahrer Verstappens Strafpunktestand ausnutzen könnten.
Wer bezahlt die Kommissare?
Eine Lösung, die bereits von Fahrerseite vorgeschlagen wurde, wäre der Einsatz hauptberuflicher, bezahlter Kommissare. Das würde zwar nicht alle absurden Vorwürfe der Korruption und Parteilichkeit aus der untersten Schublade der Internetdiskussionen verhindern - aber es würde das Vertrauen der Teams und Stakeholder deutlich stärken, und darauf kommt es an.
Das Problem dabei ist jedoch die Finanzierung. FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem hat immer wieder betont, dass man neue Offizielle nicht so leicht herbeizaubern könne wie einen neuen Fernseher bei Amazon zu bestellen. Zudem initiierte er die FIA-Karriereleiter für Kommissare und Rennleiter, um ihre Entwicklung zu fördern.

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Mohammed bin Sulayem sucht nach einer Finanzierung für die Kommissare Zoom
Als das Thema Bezahlung der Kommissare letztes Jahr aufkam, sagte Sulayem, die FIA könne sich das nicht leisten - die Fahrer könnten ja selbst dafür bezahlen. Außerdem lautet die Standardposition der FIA zu Entscheidungen während der Rennen stets: "Kein Kommentar", da die Kommissare "unabhängig von der FIA" seien.
Bezahlte Kommissare wären eine klare Lösung für manche der in letzter Zeit diskutierten Probleme. Allerdings ist der Weg dorthin versperrt, wenn die Stakeholder nicht bereit sind, Kompromisse einzugehen.
Flexiblere Prioritäten
Hinsichtlich der langen Wartezeiten, bis das Rennergebnis endgültig feststeht, gibt es allerdings einfachere Ansätze. Zum Beispiel könnte man flexibler gestalten, in welcher Reihenfolge die Kommissare Zwischenfälle behandeln.
Es wäre sportlich, kommerziell und logisch sinnvoll, Vorfälle mit potenzieller Auswirkung auf das Rennergebnis prioritär zu behandeln. Die Ergebnisse stundenlang zu verzögern, ist kein gutes Bild für die Formel 1.
Natürlich könnten Fahrer und Teammanager, die bereits zu einer Anhörung einbestellt sind, frustriert sein, wenn sie länger warten müssen. Aber das sollten sie zugunsten des größeren Ganzen in Kauf nehmen.
Die Hürde muss erhöht werden
Sinnvoll wäre auch, die Höhe der Protestgebühr zu überdenken - aktuell 2.000 Euro, was für ein Formel-1-Team selbst unter Budgetgrenze Peanuts ist.
Der Protest von Red Bull war bestenfalls fragwürdig - ein Beispiel dafür, wie kognitive Verzerrungen die Realität verzerren. Red Bull war der Überzeugung, dass Russell Verstappen zu einem unüberlegten Manöver habe verleiten wollen.
Dies zeigt, dass man beim Bewerten der Onboard-Kamera-Bilder vorsichtig sein sollte, da sie leicht dazu verleiten, die eigene voreingenommene Meinung zu bestätigen. Mercedes konnte anhand der Daten leicht belegen, dass Russell das Safety-Car-Delta einhielt und weder anders beschleunigte noch bremste, als es bei einer Neutralisation üblich ist.
Es war vielmehr das Safety-Car, das unregelmäßig beschleunigte und abbremste - die Bilder zeigen es, aber auch hier ist der Bestätigungsfehler am Werk.
Besonders ironisch ist es dann, dass Tim Malyon, der Sportdirektor der FIA, betonte, dass der angebliche "Bremstest" und der zu große Abstand zum Safety-Car gar nicht erst zur Untersuchung gekommen wären - denn die Rennleitung konnte anhand der Echtzeitdaten schon während des Rennens erkennen, dass die Anschuldigungen haltlos waren.
Hier also ein weiterer Verbesserungsvorschlag: Hört auf, die Zeit der Kommissare zu verschwenden.


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