Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Wie das Williams-Team in Silverstone einen möglichen Sieg verschenkt hat und was man tun hätte können, um gegen Lewis Hamilton zu bestehen

Titel-Bild zur News: Rob Smedley und Pat Symonds

Rob Smedley und Pat Symonds haben die Chance auf einen Sieg verspielt Zoom

Liebe Leser,

meine Freundin Andrea hat keine Ahnung von der Formel 1. Sie interessiert sich nicht dafür, sie hat keine Ahnung, wer Lewis Hamilton, Nico Rosberg und Sebastian Vettel sind, sie guckt aber, seit wir zusammen sind, manchmal auszugsweise die Rennen. Mehr spaßeshalber, um abends mit mir "fachsimpeln" zu können. Gestern Abend, nach dem spannenden britischen Grand Prix in Silverstone, fragte sie mich: "Warum stehen eigentlich immer nur die Drei auf dem Podium?" Nicht ganz unberechtigt, denn in neun Rennen 2015 war das bisher sechsmal der Fall.

Aber der Formel-1-Fan musste letzte Nacht nicht schlecht schlafen. Er hatte das spannendste Rennen seit langem gesehen, und beinahe wäre auch mal ein anderer Fahrer unter den ersten Drei gelandet. Eigentlich hätte das sogar so kommen müssen. Es roch nach einer Sensation, als Felipe Massa und Valtteri Bottas in der Startphase eine Williams-Doppelführung erkämpften, und als nach und nach klar wurde, dass sie von den Silberpfeilen dank ihres Topspeeds zumindest nicht auf der Strecke überholt werden können, schien zumindest ein Podestplatz ein realistischer Minimalanspruch zu sein.

Rob Smedley am Kommandostand muss in dieser Phase des Rennens rotiert haben. Eine Doppelführung zu verteidigen, das ist für Williams anno 2015 keine alltägliche Situation. Naheliegende Überlegung: Stallorder aussprechen, keinen teaminternen Zweikampf zulassen, den Fahrern sagen, sie mögen sich gemeinsam von Mercedes absetzen. Und so kam es dann auch. Aber Smedley und seine Kollegen hatten diese Rechnung ohne Bottas gemacht.

Denn der Finne hätte in jener Phase eigenen Angaben nach um bis zu eine halbe Sekunde schneller fahren können als Massa. Er entschied sich dagegen, die Stallorder zu akzeptieren, kündigte ein Überholmanöver auf der Gegengerade an und zwang Williams dazu, die Stallorder zurückzunehmen. Mit einer Einschränkung: Wenn du ein Manöver riskierst, dann muss es sauber sein. Was Bottas womöglich davon abhielt, es mit der allerletzten Konsequenz zu versuchen. Genau das wäre für Williams aber gut gewesen.

Anstatt in Führung zu gehen und sich mit dem Puffer Massa hinter sich um eine halbe Sekunde pro Runde absetzen zu können, blieb also Lewis Hamilton in seinem Rückspiegel. Dass Williams nicht den schnelleren Fahrer am langsameren vorbeibeorderte, kann man gut finden oder auch nicht. Ich wage zu behaupten: Die Siegchancen wären viel größer gewesen, wenn Bottas das Rennen angeführt hätte. Dass er das nicht tat, hatte er sich aber selbst zuzuschreiben. Massa war schließlich nicht durch ein Geschenk in Führung gegangen, sondern durch seinen besseren Start.

Williams und die Strategie, das ist in Silverstone nicht zum ersten Mal in die Hose gegangen. Man erinnere sich an Österreich 2014. Immerhin: Auf den Mercedes-Bluff mit dem angetäuschten Boxenstopp in der 14. Runde sind Smedley und Kollegen nicht reingefallen. Trotzdem war Marc Surer sicher nicht der einzige Experte, der sich nach dem Rennen fragte: Warum hat Williams die Strategie nicht gesplittet, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein?

Und da redet keiner von einer Zwei- statt einer Einstoppstrategie, sondern es hätte schon gereicht, ein Auto präventiv etwas früher reinzuholen, um zu verhindern, dass es Mercedes mit dem sogenannten "Undercut" probiert. Smedley argumentierte nach dem Rennen, man wollte einen zu frühen Boxenstopp vermeiden, um nicht am Ende in Verschleißnöte zu geraten und alles zu verlieren. Ein valider Punkt, aber er selbst musste im Nachhinein zugeben, dass das nicht der Fall gewesen wäre. Gerade der Williams gilt schließlich als "Reifenflüsterer".

Als Kimi Räikkönen früh Reifen wechselte, war er plötzlich der schnellste Mann im Feld. Man darf mutmaßen: Hätte Williams einen der beiden Führenden früher reingeholt als Hamilton (oder zumindest in der gleichen Runde), wäre diese vorne geblieben. So schnell wie der Ferrari war der Williams allemal. Zumindest hätte man die Führung bei einem zeitgleichen Boxenstopp nur durch einen langsameren Reifenwechsel verlieren können. Aber auf der Strecke wäre man schwierig zu knacken gewesen.

Dass man sich dann mit dem Timing des Intermediate-Wechsels gleich noch einmal verzockte, ist nur das Tüpfelchen auf dem I. Smedley wird schlecht geschlafen haben, weil Williams die Chance auf den Sieg vergeben hat. Beim Heimspiel in Silverstone. Dort, wo Williams zuletzt 1997 gewonnen hat, mit Jacques Villeneuve.

Dass Pat Symonds die Stallorder unterbunden hat ("Das ist nicht die DNA von Williams"), ist im Sinne des Racings lobenswert. Dass man nicht gesplittet, sondern beide Fahrer gleich behandelt hat, ebenfalls. Aber das Ergebnis wäre unter anderen Umständen wahrscheinlich ein anderes gewesen.

Ihr

Christian Nimmervoll

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