Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Toto Wolff hat für sein Handling des "Kriegs der Sterne" einen Shitstorm abbekommen - Teamorder-Drohung beschert dem Mercedes-Chef keine neuen Fans

Titel-Bild zur News: Susie Wolff, Toto Wolff

Ob Susie Wolff ihren Ehemann Toto gestern Abend von den Sorgen ablenken konnte? Zoom

Liebe Leser,

jeden Montagmorgen überlegen wir uns, wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen haben könnte. Natürlich nicht zwingend buchstäblich gemeint, sondern quasi als Metapher für den Verlierer des zurückliegenden Rennwochenendes - oder jemanden, der es aus irgendwelchen Gründen besonders schwer hatte. Und selten zuvor war sich unsere Redaktion so einig, dass es diesmal nur jemand von Mercedes sein kann. In meinen Augen: Am schlechtesten geschlafen hat wahrscheinlich Toto Wolff.

Rund 20 Minuten referierte er am Samstagnachmittag, als er von der Eskalation im "Krieg der Sterne" noch nichts ahnen konnte, über das Stallduell zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton. Sagte Sätze wie: "Unsere Fahrer müssen nur einen schweren rechten Gasfuß und etwas im Hirn haben, und das haben sie." Oder, fast prophetisch: "Ungarn war vielleicht nicht das letzte Mal, dass es eine Kontroverse zwischen den beiden geben wird. Auch nicht das letzte Mal, dass wir etwas lernen müssen."

Leser sehen Missmanagement bei Wolff & Lauda

Zu seinem eigenen Aufgabenprofil meinte der Sportchef zum Beispiel: "Als Teammanager musst du versuchen, das so gut es geht abzufangen, damit es nicht überhandnimmt." Und weiter: "Wir müssen die Wörter in der Hitze des Gefechts besser wählen." Genau da haben Wolff (und sein Partner Niki Lauda) in den Augen vieler unserer Leser kläglich versagt - weshalb in den sozialen Medien ein kleiner Shitstorm über sie hereinbrach.

Nico Rosberg, Lewis Hamilton

Hier ist der Streit eskaliert: Les Combes, zweite Runde im Grand Prix von Belgien Zoom

Dass die beiden Österreicher mit Rosberg sofort einen Sündenbock hatten, den sie öffentlich an den Pranger stellten, wird ihnen übel genommen. "Inakzeptabel sind nur die Äußerungen von Lauda und Wolff! Herr Wolff ist doch so gut darin, öffentliche Briefe zu schreiben", meint zum Beispiel Twitter-User @vonoss, stellvertretend für viele andere Leser. "Vielleicht sollte er jetzt mal einen schreiben und sich für die Worte bei Rosberg entschuldigen. Das war ein Rennunfall."

Manche gehen sogar noch weiter: "An Nicos Stelle würde ich mir überlegen, wie es weitergehen soll", schreibt @fernandolaaff. "Öffentliche Kreuzigung bei 50:50-Rennunfall - toller Führungsstil." Und: "Die Aussagen der Mercedes-Führung, vor allem von Lauda, sind inakzeptabel. Subjektivität schlägt Objektivität, nichts Neues bei ihm."

Leser kritisiert: Hamilton ist "ein Mädchen"

Auch Facebook-User Christian Ebner stellt sich auf Rosbergs Seite: "Hamilton hat dieses Jahr einige Male hart gegen Rosberg hingehalten, der immer zurückgesteckt hat. Dieses Mal nicht. Und damit hat er recht. Er führt die WM an und deswegen braucht er sich von so einem Mädchen wie Hamilton nicht mehr herumschubsen lassen. Wenn dem Hamilton etwas nicht passt, gibt er auf. Toller Rennfahrer."

Also: Auch wenn Toto Wolff von seinen Knochenbrüchen sicher noch ein paar Schmerzmittel zu Hause hat, von denen er gestern theoretisch mal eine Tablette mehr hätte einwerfen können, und auch wenn seine charmante Frau Susie sicher versucht hat, ihn zu besänftigen - dass er eine ruhige Nacht hatte, ist schwer vorstellbar. Schließlich gab er nach dem gestrigen Krisenmeeting selbst zu, dass noch keine Schlichtung des internen Streits in Sicht ist: "Die Emotionen sind nicht abgekühlt."


Fotostrecke: GP Belgien, Highlights 2014

Größte WM-Hoffnung teamintern isoliert

Und das ist eine denkbar unangenehme Situation, denn wenn die kontroversen Aussagen der Beteiligten stimmen (und das hat die Mercedes-Presseabteilung bestätigt), dann dürfte Rosberg bei dem Krisenmeeting an der Strecke mit dem Rücken zur Wand gestanden sein. Alle gegen einen: Hamilton sowieso, aber auch Niki Lauda und eben Toto Wolff. Selbst Paddy Lowe, der sonst in solchen Situationen eher zurückhaltend rüberkommt, soll Partei ergriffen haben.

Nico Rosberg

WM-Leader Nico Rosberg steht teamintern jetzt ziemlich alleine und isoliert da Zoom

Ein schlechter Zeitpunkt, um Rosberg teamintern zu zerreißen, schließlich ist er seit gestern Mercedes' mit Abstand größte Titelhoffnung. 29 Punkte Vorsprung hat er vor dem Europafinale in Monza auf Hamilton, der seinerseits nur noch 35 Zähler vor Daniel Ricciardo liegt. Das ist, umgerechnet auf das Saisonfinale in Abu Dhabi mit doppelten Punkten, in der Theorie nur ein einziger zweiter Platz.

Klar, der Silberpfeil ist nach wie vor das beste Auto der Formel 1, und so gesehen sollte der Vorsprung auch reichen, um den Titel nach Hause zu retten. Aber Spa hat gezeigt, dass das kein Selbstläufer ist. Red Bull und Renault werden für das WM-Finish noch einmal alle Reserven mobilisieren, und Strecken wie Singapur und Suzuka müssten dem RB10 entgegenkommen. Lass dann vielleicht noch die silbernen Nerven ein bisschen flattern, und schon wird eine vermeintlich "gmahde Wiesn" noch zur Zitterpartie.

Macht jetzt auch der Daimler-Boss Druck?

Sollte das passieren, sollte Mercedes den WM-Titel wirklich noch aus der Hand geben, dann können Wolff und Lauda ihre Koffer wahrscheinlich gleich freiwillig packen. Denn Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche kann schon gestern unmöglich glücklich gewesen sein über Rosbergs zweiten Platz - und wird sicher einmal bei seinen beiden österreichischen Formel-1-Managern angerufen haben. Druck vom schlecht gelaunten Chef, auch das ist für guten Schlaf selten förderlich.

Toto Wolff und Christian Nimmervoll

Sportchef Toto Wolff im Gespräch mit Chefredakteur Christian Nimmervoll Zoom

Und zu guter Letzt hat sich der "Totonator" (der sich jetzt eine raue Schale zulegen muss) auch unter den hartgesottenen Fans des Formel-1-Sports keine Freunde gemacht. "Wir hassen das Wort Teamorder. Das steht jetzt aber zur Diskussion", war einer seiner ersten Schlüsse nach dem Grand Prix von Belgien. Kann es also sein, dass in Zukunft der Zweitplatzierte den Führenden nicht mehr attackieren darf? "Leider kann das sein, ja."

Hoffentlich überlegt er sich das noch einmal anders. Denn noch tragischer als ein verlorener WM-Titel wäre (zumindest aus sportlicher Sicht), trotz WM-Titel gnadenlos ausgebuht zu werden. Das ist Rosberg ja gestern schon passiert. Und wenn das bisher so elektrisierende Duell, das beste Werbung für die Marke Mercedes war und ist, künstlich eingestellt wird, dann weiß ich auch schon, wer Sonntagnacht in Monza am schlechtesten schlafen wird. Nämlich der Formel-1-Fan.

Ihr

Christian Nimmervoll