Wenn die Spezialisten vor dem Fernseher sitzen...

Unglaublich, aber wahr: Die Strategen von McLaren-Mercedes sitzen zum Teil nicht direkt an der Rennstrecke, sondern vor einem TV-Gerät

(Motorsport-Total.com) - Als in Monaco wegen des Verkehrsstaus in der Mirabeau-Kurve das Safety-Car auf die Strecke ging, mussten die Formel-1-Teams binnen weniger Sekunden eine Entscheidung treffen: Sollen wir unsere Autos weiterfahren lassen - oder ziehen wir den Boxenstopp vor? Im Fürstentum war es goldrichtig, nicht nachzutanken, sondern auf der Strecke zu bleiben.

Titel-Bild zur News: Telemetrieraum von Ferrari

Strategische Entscheidungen werden mit Monitoren und Computern getroffen

Während Renault Fernando Alonso und Giancarlo Fisichella gleichzeitig an die Box holte und deren Tanks randvoll anfüllte, war Kimi Räikkönen zum Zeitpunkt, als sein Team von der Safety-Car-Phase Wind bekam, schon an der Boxeneinfahrt vorbei. Damit gewannen die schlauen Köpfe am silbernen Kommandostand ungewollt gut eine Minute für ihre endgültige Entscheidung - und in dem Moment bekamen sie auch schon eine E-Mail zu lesen: "Stay out!"#w1#

Empfehlungen von Strategen von dem Fernseher

Die Nachricht kam nicht etwa von den Ingenieuren im Telemetrieraum hinter der Box oder von Spionen auf der Strecke, sondern von ein paar Strategen, die den Grand Prix in der Fabrik in Woking via Fernsehen verfolgten. Kein Witz: "Wir haben ein paar Jungs in Woking, die sich in solchen Fällen einbringen", bestätigte Adrian Newey, Technischer Direktor von McLaren, gegenüber 'Autosport-Atlas'. "Sie geben strategische Empfehlungen ab, um uns an der Boxenmauer zu helfen."

"Das ist nicht ihr Fulltimejob, sondern sie arbeiten ansonsten in der Simulationsabteilung, aber an den Rennwochenenden schauen sie 'ITV'. Dabei fallen einem oft Dinge auf, die wir an der Boxenmauer gar nicht mitbekommen, jemand wie Martin Brundle ('ITV'-Co-Kommentator; Anm. d. Red.) aber vielleicht schon. In der Boxengasse ist es so voll und laut, dass man manchmal Schwierigkeiten damit hat, klar zu denken", so Newey.

Das in Woking stationierte Team sitzt vor einigen TV-Monitoren und Computern, um die Ereignisse auf der Rennstrecke genau verfolgen zu können. Fällt jemandem etwas Ungewöhnliches auf, wird sofort eine E-Mail direkt an den Kommandostand vor Ort geschickt, wo anschließend in letzter Instanz entschieden wird, welche Strategie anzuwenden ist. Die Empfehlungen aus der Ferne sind daher oftmals ausschlaggebend über Sieg oder Niederlage.

"Entscheidungen treffen wir immer noch an der Rennstrecke"

Überbewerten will Newey den Job des kleinen Teams in Woking aber nicht: "Die Entscheidungen treffen wir immer noch an der Rennstrecke. Wenn es um Kimis Auto geht, entscheidet Ron (Dennis; Anm. d. Red.), und wenn es um Juan-Pablos Auto geht, entscheiden Ron und ich gemeinsam. Man will nicht zu viele Leute in diesen Prozess einbeziehen, denn das würde alles verlangsamen. Außerdem fühlen sich die Leute oft schnell als Spezialisten, die sich dann fragen, warum sie eigentlich nicht selbst am Kommandostand sitzen", erklärte er.

Im speziellen Fall vergangene Woche in Monaco hatte McLaren-Mercedes aber auch jede Menge Glück, denn den ursprünglichen Funkbefehl, doch an die Box zu kommen, konnte Räikkönen wegen eines Kommunikationsproblems nicht hören. Im Nachhinein stellte sich dann aber ohnehin hinaus, dass dies die klügere Entscheidung war, schließlich zeigte das Beispiel Renault, dass die schwere Benzinlast die Michelin-Reifen ansonsten möglicherweise zerfressen hätte.