• 03.04.2006 13:39

Todt: "Hätten es selbst in der Hand gehabt"

Ferrari-Teamchef Jean Todt erklärt im Interview die Reifenprobleme von Melbourne, spricht über die geplanten Änderungen für Imola und vieles mehr

(Motorsport-Total.com) - Kein Ferrari in der letzten Phase des Qualifyings, Doppelausfall im Rennen, keine WM-Punkte: "Ein Wochenende zum Vergessen", seufzte Teamchef Jean Todt gestern nach dem Grand Prix von Australien im 19 Grad kühlen Albert Park im Herzen von Melbourne. Dennoch nahm er sich wie üblich Zeit, um das Rennen im Kreis einiger Journalisten zu analysieren.

Titel-Bild zur News: Jean Todt und Michael Schumacher

Jean Todt muss 2006 die gleichen Fragen beantworten wie schon vor einem Jahr...

Frage: "Jean, welche Erkenntnis nimmst du aus Australien mit nach Hause?"
Jean Todt: "Dass es besser ist, aus der ersten Reihe zu starten..."#w1#

Aufwärmen der Reifen war Ferraris Hauptproblem

"Unser Hauptproblem war das Aufwärmen der Reifen, was wir aus der vergangenen Saison schon kennen." Jean Todt

Frage: "Vor einem Jahr haben wir das auch schon von dir gehört, nicht wahr?"
Todt: "Irgendwie schon. Unser Hauptproblem war das Aufwärmen der Reifen, was wir aus der vergangenen Saison schon kennen. Man muss aber sagen, dass wir eine zweite Reifenmischung zur Verfügung gehabt hätten, die von unseren Bridgestone-Mitbewerbern verwendet wurde und viel leichter aufzuwärmen war. Wir hätten es also selbst in der Hand gehabt."

Frage: "Hätte es geholfen, am Freitag mehr zu trainieren?"
Todt: "Ja, bestimmt. Wir verwendeten am Freitag nur je einen Satz der gleichen Reifenspezifikation, weil wir die zweite Mischung am Samstagmorgen ausprobieren wollten, da die Strecke am Samstag normalerweise griffiger ist. Leider spielte uns das Wetter einen Streich. Man lernt immer wieder etwas dazu. Es ist klar, dass wir an einem Rennwochenende normalerweise lieber mehr fahren würden, um alle relevanten Informationen zu erlangen, aber die Regeln lassen das eben nicht zu."

Frage: "Wäre es ein zu großes Risiko gewesen, den anderen Reifentyp auszuwählen, der im Training nicht einmal getestet wurde?"
Todt: "Ja. Mit so kühlen Temperaturen hätten wir nicht gerechnet. Wir hatten keine ausreichenden Informationen, um einen fundierten Vergleich anzustellen."

Frage: "Wie konnte Michael Schumacher nach seinem ersten Boxenstopp auf einmal um zwei Sekunden pro Runde schneller fahren?"
Todt: "Nach dem Boxenstopp, mit viel Benzin an Bord, hatten die Reifen die richtige Temperatur."

Frage: "Wie schätzt du die Leistung des Autos ein, wenn die Umstände wie zum Beispiel die Reifentemperatur stimmen?"
Todt: "Nicht schlecht. Wenn alles zusammenpasst, haben wir gutes Potenzial. Leider konnten wir das heute nicht zeigen. Beim ersten Rennen stimmte fast alles, beim zweiten Rennen hatten wir ein paar Probleme und diesmal lagen wir völlig daneben."

Neue Bridgestone-Teams eine Hilfe für Ferrari

"Wir haben jetzt definitiv mehr Input, was uns im Vorjahr fehlte." Jean Todt

Frage: "Dieses Jahr rüstet Bridgestone insgesamt fünf Teams aus. Hilft euch das und könnte das im Saisonverlauf eine entscheidende Rolle spielen?"
Todt: "Es hilft schon. Wir haben jetzt definitiv mehr Input, was uns im Vorjahr fehlte. In derselben Situation wie jetzt wären wir vor einem Jahr ratlos gewesen. So wissen wir zumindest, wozu unsere Konkurrenten mit einer anderen Reifenmischung in der Lage sind. Wir tauschen auch einige Daten aus."

Frage: "Die heutige Leistung von Toyota und Williams müsste ermutigend für euch sein, nicht wahr?"
Todt: "Das ist ein guter Punkt. Bridgestone hat gute Arbeit geleistet, auch was die Konstruktion angeht. Wir waren einfach mit dem falschen Reifentyp unterwegs, was vergangenes Jahr übrigens auch manchmal der Fall war. Wir hätten auch andere Reifen auswählen können, aber da wir sie am Samstag nicht testen konnten, verzichteten wir darauf, was im Nachhinein betrachtet gut für unsere Konkurrenten war."

Frage: "Dass es nicht gut läuft, lässt sich nicht wegdiskutieren. Schätzt du die Situation dramatischer als 2005 ein oder weniger dramatisch?"
Todt: "Wir haben ein gutes Paket, aber wir können es nicht zeigen."

Frage: "Pat Symonds (Renault-Chefingenieur; Anm. d. Red.) glaubt, dass ihr wieder vorne mitmischen werdet, sobald ihr eure Motorenprobleme in den Griff bekommt und mit voller Drehzahl fahren könnt. Was sagst du dazu?"
Todt: "Wir hatten heute kein Problem mit dem Motor."

Frage: "Könnt ihr die Drehzahl hinsichtlich der Zuverlässigkeit voll ausfahren?"
Todt: "Noch einmal: Wir hatten heute ein Reifenproblem. Weil wir die Reifen nicht auf Temperatur bekommen haben, waren wir ganz einfach zu langsam."

Keine Kritik am etwas übermütigen Massa

Frage: "Was sagst du zur Leistung von Felipe Massa?"
Todt: "Sein Qualifying war nicht einfach. Leider verlor er sein Auto außer Kontrolle. Im ersten Teil des Qualifyings wäre er sehr schnell gewesen, wenn er alles gegeben hätte. Heute konnte er seine Chancen aufgrund des Startunfalls nicht nutzen, aber er ist ein sehr talentierter Fahrer. Ich bin sicher, dass er das noch mehrfach unter Beweis stellen wird."

"Der Motor war sicher nicht der Grund für das Überholmanöver." Jean Todt

Frage: "Michael Schumacher wurde heute von Vitantonio Liuzzi mit dem Cosworth-V10-Motor überholt. Ist der V10 gegenüber dem V8 im Vorteil?"
Todt: "Überhaupt nicht. 15 Runden später, als Michael endlich die richtige Reifentemperatur hatte, war er zwei Sekunden schneller als Liuzzi. Der Motor war sicher nicht der Grund für das Überholmanöver."

Frage: "Es geht nun weiter nach Imola, wo ihr im Vorjahr sehr gut ausgesehen habt. Siehst du Licht am Ende des Tunnels?"
Todt: "Ich denke, dass wir dort konkurrenzfähig sein können - wie konkurrenzfähig genau, das wird sich herausstellen. Vieles hängt auch davon ab, was die anderen machen. Wir werden ein signifikantes Upgrade nach Imola bringen, aber damit stehen wir nicht alleine da. Hoffentlich bekommen wir es auf die Reihe."

Frage: "Werdet ihr nun auf Strecken testen, auf denen die Temperaturen ähnlich sind wie in Imola?"
Todt: "Jede Strecke ist anders, jeder Asphalt ist anders, alles ist anders. Es war wichtig für uns, dass wir gesehen haben, mit welchen Reifen unsere Konkurrenten unterwegs waren. Man konnte sehen, wie schnell Webber unterwegs war, der viel Benzin an Bord hatte, man konnte Ralf (Schumacher; Anm. d. Red.) sehen und auch Michael, wenn die Temperaturen im richtigen Fenster waren. Das sind schon einmal ein paar gute Informationen, die wir nun studieren können."

Frage: "Michael Schumacher wird derzeit ziemlich oft überholt. Verletzt das eigentlich deinen Stolz?"
Todt: "Mein Stolz kann das verkraften. Ich stelle Bescheidenheit über Stolz."