• 08.02.2011 18:32

  • von Pete Fink

Sutil-Interview: Hoffen auf den "großen Wurf"

Adrian Sutil hofft 2011 auf den Durchbruch und spricht im Interview unter anderem auch über die Wintertests und die Reifenproblematik

(Motorsport-Total.com) - Per Definition ist Adrian Sutil (28) kein Nachwuchstalent mehr: Nur zehn von insgesamt 23 gegnerischen Piloten im Starterfeld sind älter als er, nur drei der fünf Weltmeister im Feld haben mehr Grands Prix bestritten als der Deutsche. Dementsprechend erreicht er nun langsam ein Stadium seiner Karriere, in der es mit dem Durchbruch klappen sollte.

Titel-Bild zur News: Adrian Sutil

Entschlossen: Adrian Sutil geht sehr selbstbewusst in die neue Saison

Dass das 2011 klappen wird, davon ist Sutil überzeugt: "Ich hoffe, dass uns bald ein großer Wurf gelingen wird", kündigt er an und ergänzt selbstbewusst: "Ein Podium ist auf jeden Fall drin." Vor der heutigen Präsentation seines neuen Arbeitsgeräts, des Force-India-Mercedes VJM04, traf sich der WM-Elfte der vergangenen Saison in München mit 'Motorsport-Total.com' und sprach dabei nicht nur über seine ehrgeizigen Ziele für dieses Jahr.

Frage: "Adrian, du bist vergangene Woche zum ersten Mal wieder im Auto gesessen. Force India hatte das neue Fahrzeug noch nicht in Valencia, während die Konkurrenz ihr neues Auto schon gebracht hat. Ist das nicht ein Nachteil?"
Adrian Sutil: "Nein. Ich denke, das hat zwei Seiten. Natürlich will man das neue Auto so schnell wie möglich ausprobieren, denn jeder Test ist sehr wichtig."

Verspätete Premiere richtig?

"Andererseits verliert man speziell zu Beginn möglicherweise ein wenig Zeit, wenn nicht alles auf Anhieb funktioniert. Dann muss man warten. Klar, wir werden unser neues Auto auch irgendwann bringen und werden dann vielleicht auch diese Wartezeit haben, weil irgendetwas nicht sofort funktioniert. Speziell am ersten Testtag fährt man ganz selten die maximale Rundenzahl."

"Aber das Positive in Valencia war, dass ich das Auto schon kannte und mich komplett auf die neuen Reifen konzentrieren konnte. Normal ist das Auto neu, das Regelwerk ist neu, alles verhält sich ganz anders - und dann sind auch noch die Reifen neu. Da ist man dann mit so vielen neuen Dingen auf einmal konfrontiert, sodass die Sache schon schwierig wird. Jetzt weiß ich genau, wie sich das alte Auto mit den neuen Reifen verhält, also habe ich auch einen sehr genauen Maßstab, wie sich das neue Auto mit den neuen Reifen verhalten muss."

Force-India-Mercedes VJM04

So sieht Adrian Sutils neues Arbeitsgerät, der Force India VJM04, aus Zoom

Frage: "Also seid ihr in Valencia noch mit vielen Elementen der Konfiguration 2010 gefahren?"
Sutil: "Das Auto war schon modifiziert, also weniger Aerodynamik, weniger Downforce. Wir haben das berechnet, also sollten wir die neuen Regeln schon ziemlich gut abgedeckt haben. Wir haben keinerlei Interesse daran, irgendwelche Fabelzeiten vorzulegen, bei denen jeder weiß, dass dies sowieso nicht der Wirklichkeit entspricht. Das war schon alles auf 2011 hin abgestimmt und deswegen sind die Zeiten auch so, wie sie mit dem neuen Auto werden."

Frage: "Alles klingt danach, als würden 2011 die neuen Pirelli-Reifen zur ganz großen Story des Jahres werden. Würdest du mir dabei zustimmen?"
Sutil: "Ja, auf jeden Fall. Die neuen Reifen halten nicht sehr lange, man hat genau eine schnelle Runde. Ich bin in Valencia auf den superweichen, den weichen und den mittleren Reifen gefahren. Jeder von denen hatte seinen Peak in der ersten Runde."

Lob für Bridgestone

Frage: "Also eine Aufwärmrunde und danach muss alles passen?"
Sutil: "Ganz genau. Nun ist Valencia eine Strecke, die die Reifen nicht wirklich fordert. Wenn wir woanders fahren, dann wird es noch extremer werden. Ich glaube, man muss eine ganz langsame Outlap fahren, um dann genau diese eine Runde hinzubekommen. Das macht schon Sinn. Ich finde das für die Qualifikation besser, denn so soll es schließlich sein."

"Vergangenes Jahr waren die Bridgestone-Reifen fast zu gut. Man hat es nie so richtig glauben wollen, aber Bridgestone hat wirklich sehr gute Arbeit geleistet. Die Reifen waren so konstant, dass man ohne große Probleme ein ganzes Rennen auf einem Satz fahren konnte. Das ist nun definitiv nicht mehr der Fall und ich glaube, dass das auch von einigen wichtigen Personen im Fahrerlager nicht gewünscht war. Ich sehe das genauso, denn ein ganzes Rennen auf einem Satz durchzufahren ist langweilig. Boxenstopps machen die ganze Sache interessanter."

"Jetzt bauen die Reifen extrem ab. Die zweite Runde ist schon eine Sekunde langsamer, die dritte Runde ist noch einmal eine Sekunde langsamer. Man verliert also in vier Runden drei Sekunden. Das Auto ist teilweise unfahrbar, man hat große Probleme mit der Traktion hinten. Es ist sehr rutschig mit viel Übersteuern, aber dann pendelt sich dieses Niveau ein. Man kann je nach Reifenmischung zehn, 15 oder 20 Runden fahren, aber spätestens nach 20 Runden ist jeder Reifen am Ende und du musst an die Box."

¿pbvin|512|3312||0|1pb¿Frage: "Pirelli sagt voraus, dass zwei Stopps die Regel werden..."
Sutil: "Auf jeden Fall. Ich rechne sogar mit drei Stopps oder im Extremfall sogar mit vier Stopps. Wenn wir zum Beispiel in Monaco mit den superweichen Reifen fahren müssen, dann wird es sehr häufig in die Box gehen."

Frage: "Was erwartest du für das Qualifying, wenn du mit einem bestimmten Setup fahren müsstest, du damit aber im Rennen vermutlich in arge Probleme kommst? Welche neuen Auswirkungen hat das für einen Kompromiss?"
Sutil: "Klar, für eine Pole-Position bekommst du nichts und bei so vielen Boxenstopps würde es wahrscheinlich sehr schnell nach hinten gehen. Man kann nicht wirklich das ganze Feld aufhalten, denn schließlich kann dein Verfolger hinter dir auf einen Knopf drücken und verstellt seinen Flügel. Die Strategiespielchen werden jetzt ein wenig anders werden, weil man ohne starke Pace seinen Platz nicht mehr halten kann."

Keine Probleme mit neuen Knöpfen

Frage: "Wie gut bist du in der neuen Disziplin Knöpfchendrücken am Lenkrad?"
Sutil: "Also mir macht das keine Probleme. Ich habe das im Simulator getestet. Der ist so realistisch, dass man das alles ganz genau ausprobieren kann. Es ist kompliziert, man hat mit dem KERS und dem Flügel besonders im Qualifying extrem viel zu tun. Es ist für den Kopf sehr anstrengend, denn man muss sich noch mehr konzentrieren und man kann natürlich mehr Fehler machen."

Frage: "Neue Reifen, viele neue Knöpfe und Verstellmöglichkeiten. Wird die Formel 1 wieder mehr fahrerspezifisch? Geht es in diese Richtung?"
Sutil: "Die Technik wird immer mehr, das ist wichtig, aber auch der Fahrer wird mehr gefordert. Fahrerisch war die Formel 1 aber schon immer eine Herausforderung. Das wird jetzt noch einmal mehr, fast schon zu viel. Man kann sich nur noch schwer auf das Renngeschehen konzentrieren, wenn du dicht hinter einem herfährst, den angreifen willst und du aber noch auf viele Knöpfe drücken musst und das alles perfekt ausnutzen willst."

"Das wird sicher irgendwann in Routine übergehen." Adrian Sutil

"Das wird sicher - ähnlich wie das Hoch- und Runterschalten - irgendwann in Routine übergehen, aber du musst ja die normalen Knöpfe wie Differenzial, Boxenfunk, Bremsbalance und die ganzen Motoreinstellungen auch noch betätigen. Man hat auf der Geraden keine Hand mehr frei, irgendwo ist der Finger drauf. Und dann wird es schon schwierig, sich mit den anderen Dingen zu beschäftigen."

Frage: "Aber dir kommt das entgegen?"
Sutil: "Ich finde das schön, mir macht das Spaß. Das ist so ein bisschen Need-for-Speed-mäßig, so wie auf der Xbox oder PlayStation mit dem ganzen Power-Boost oder Turbo-Boost. Das ist schon auch leistungsfördernd. Man muss ja nicht immer nur einen größeren Motor bauen und mehr allgemeine Leistung reinpacken, um schneller zu werden. Denn das ist schon sehr effizient: Auf den Geraden stelle ich den Flügel flach, in den Kurven steil - und am Ende gewinne ich Rundenzeit. Das ist schon eine gute Lösung."

Evolution statt Revolution

Frage: "Wie sieht es im Vergleich zum Vorjahr teamintern aus? Gibt es da wesentliche Veränderungen oder setzt Force India auf Konstanz?"
Sutil: "Nein, wir machen nicht alles neu. Wir bauen auf dem Vorjahr auf, die Strukturen passen. Jeder muss einfach nur zu 100 Prozent die richtige Arbeit machen. Wir haben einen neuen Mann an Bord, der nur für die Reifen zuständig sein wird, was auch sehr wichtig ist. Davon können wir meiner Meinung nach profitieren, aber das war in Sachen Personal unser einziger großer Neuzugang."

"Konstanz ist wichtig, aber wir haben natürlich große Ziele. Wir wollen nicht dort weitermachen, wo wir vergangenes Jahr gefahren sind, also in den Top-10-Rängen. Wir wollen weiter nach vorne. Fünfter in der WM ist das nächste große Ziel. Klar wird das schwierig, denn dazu müsste man einen der Großen schlagen. Das ist auf keinen Fall einfach."

"Jedes Team baut einmal ein besseres oder ein schlechteres Auto." Adrian Sutil

Frage: "Glaubst du, dass durch die neuen Reifen in der Formel 1 ein neues Kräfteverhältnis entsteht? Oder bleibt alles beim Alten?"
Sutil: "Es gibt immer Überraschungen. Jedes Team baut einmal ein besseres oder ein schlechteres Auto. Es wird sich also wieder auf das Auto konzentrieren. Jeder hat die gleichen Reifen. Der eine wird besser damit zurechtkommen, der andere schlechter, aber am Ende ist es für jeden gleich. Am Ende geht es um die Frage, wer das beste Auto hat - und da schätze ich Red Bull wieder sehr stark ein. Aber es wird meiner Meinung nach ein enger Kampf, denn Ferrari hat auch etwas gutzumachen."

Frage: "Du glaubst, dass dein Freund Lewis Hamilton der neue Weltmeister wird?"
Sutil: "Lewis ist extrem heiß. Ich glaube, auch mit McLaren muss man wieder rechnen. Lewis hatte vergangenes Jahr eine große Chance, Weltmeister zu werden, aber wegen seines Durchhängers in drei Rennen hat er es am Ende nicht geschafft. Aber jetzt ist er so gut drauf. Ich habe mich vor kurzem mit ihm getroffen, wir haben miteinander gesprochen. Da wurde mir sofort klar: Er ist richtig heiß! Und auch das neue Auto schaut gut aus."

Große Ziele für Sutil

Frage: "Was ist mit dir? Endlich einmal aufs Podium? Oder können wir erwarten, dass ein Adrian Sutil sogar um einen Sieg mitfährt, wenn es zum Beispiel in Monaco regnen sollte?"
Sutil: "Das wäre natürlich toll. Ich bin jederzeit bereit für die großen Erfolge und ich hoffe natürlich, dass sie bald kommen werden. Besonders mit Force India, mit denen mich natürlich sehr viel verbindet. Es ist mein erstes Team, ich fühle mich hier sehr wohl. Vijay Mallya und ich haben die gleichen Ziele: Ich will ganz nach oben, er will mit seinem Team nach ganz oben. So ergänzen wir uns gut und ich hoffe, dass uns bald ein großer Wurf gelingen wird."

"Mir ist schon klar, dass das hohe Ziele sind, weil man dafür die Großen schlagen muss. Verglichen damit sind wir immer noch ein kleines Team, aber es ist auch nicht unmöglich. Ein Podium ist auf jeden Fall drin. Ich war ein paar Mal schon nahe dran. Monza und Platz vier war mein bisher bestes Ergebnis, da bin ich ganz knapp am Podium vorbeigeschrammt. Im vergangenen Jahr hatte ich noch einige andere gute Resultate - zweimal Fünfter, einmal Sechster. Das ist alles nicht so weit weg. Deswegen wird es jetzt langsam Zeit."

Frage: "Wenn man die Historie des Teams - also Force India, Spyker, Midland und auch Jordan - zurückverfolgt, dann bist jetzt mittlerweile der dienstälteste Fahrer..."
Sutil: "Stimmt. Ich glaube, Rubens Barrichello habe ich jetzt geknackt!"


Fotos: Präsentation des Force India VJM04


Frage: "Das ist ja - einmal angesehen von Michael Schumacher und Ferrari - eine fast ungewöhnlich lange Zusammenarbeit."
Sutil: "Ganz genau. Es kommt sehr darauf an, wie wohl man sich fühlt und wie man miteinander zurechtkommt. Man muss nicht immer das machen, was einem vorgeschrieben wird oder was die Regel ist. Jeder geht seinen eigenen Weg."

"Mir hat man nach meinem ersten Spyker-Jahr gesagt, wenn du nicht wechselst, dann ist deine Karriere vorbei - aber meine Karriere ging da erst richtig los. Ich bin ein zweites Jahr geblieben, im dritten Jahr hatten wir auf manchen Strecken sogar ein Siegerauto. Man muss durchhalten, man darf niemals aufgeben. Man sollte auch nicht immer auf die anderen hören, sondern sein eigenes Ding machen."

Vorfreude auf Noida

Frage: "Für dein Team kommt ja nun bald das ganz große Highlight, wenn der Indien-Grand-Prix vor der Tür steht. Ist das noch einmal ein Höhepunkt, den man gemeinsam mit dem Team erleben will?"
Sutil: "Auf jeden Fall. Ich erwarte da einen unglaublichen Andrang. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern..."

Vijay Mallya, Manfred Zimmermann und Adrian Sutil

Teamchef Vijay Mallya, Manager Manfred Zimmermann und Adrian Sutil Zoom

"Als Vijay das Team übernommen hat, sagte er: 'Bald kommt der Indien-Grand-Prix und mein Traum ist es, dann auf dem Podium zu stehen.' Damals dachte ich nicht, dass es mit dem Indien-Rennen so schnell gehen würde, aber jetzt ist es umso schöner, dass ich das im Team miterleben darf. Damit hätte ich damals nicht gerechnet, aber jetzt wird das ein richtig großer Moment - besonders für ein indisches Team, besonders für Vijay Mallya. Da wollen wir natürlich glänzen."

Frage: "Glaubst du, dass ihr mit Paul di Resta und Nico Hülkenberg nun auch eine fahrerisch richtig gut aufgestellte Truppe habt, die auch intern den nötigen Druck ausüben kann? Wie ist die Stimmung?"
Sutil: "Die Stimmung ist gut. Ich finde es schön, immer neue Teamkollegen zu bekommen. Ich habe schon viele gehabt und es ist immer eine neue Herausforderung. Paul hat in der DTM, die er als Sieger abgeschlossen hat, eine große Karriere hingelegt. Er hat es ganz bestimmt verdient, jetzt ein Formel-1-Cockpit zu bekommen. Er ist genauso heiß wie ich."

"Nico muss natürlich jetzt mit seiner Situation zurechtkommen. Ich hoffe, dass er uns eine richtig gute Hilfe sein wird. Auch ein Testfahrer hat seinen Job - er muss dem Team weiterhelfen und gute Informationen bringen. Nico wird einige Male am Freitag im Auto sitzen, er wird viel im Simulator sein. Jeder hat seine Aufgaben und jeder muss dazu beitragen, dass das Team am Ende so weit vorne wie möglich steht."