Strategiegruppe polarisiert weiter: "Wie soll das funktionieren?"

Vor allem Marussia und Caterham stoßen sich daran, in die neue Formel-1-Strategiegruppe, die von den Reichen dominiert wird, nicht eingebunden zu sein

(Motorsport-Total.com) - Zunächst war die Gründung der neuen Strategiegruppe für die kleinen Teams ein großer Schock: Während früher in den Arbeitsgruppen alle Rennställe bei der Erstellung von Reglemententwürfen Mitspracherecht hatten, war dies nun nur noch den großen Teams Red Bull, Ferrari, Mercedes, McLaren, Williams und Lotus vorbehalten. Erst im Nachhinein wurde dieser negative erste Eindruck etwas abgeschwächt, weil den "Kleinen" bewusst wurde, dass sie in der Formel-1-Kommission, die schließlich über die Reglemententwürfe abstimmt, nach wie vor vertreten sind.

Titel-Bild zur News: Charles Pic, Max Chilton

Caterham und Marussia sind nicht nur in den Rennen vom Rest isoliert Zoom

Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost befindet sich diesbezüglich in einer interessanten Position: Der Österreicher ist Teamchef eines in der Strategiegruppe nicht vertretenen Rennstalls, das Schwesterteam Red Bull genießt allerdings dieses Privileg. "Ich habe eine gute Beziehung zu Christian Horner von Red Bull, und daher sind wir ein bisschen vertreten", bestätigt er diese Doppelrolle.

Toro Rosso und Williams sehen kein Problem

Er sieht aber auch für die anderen nicht vertretenen Teams "überhaupt kein Problem": "Die Strategiegruppe segnet ohnehin keine neuen Regeln ab, denn das passiert durch die Formel-1-Kommission, und dort sind alle vertreten, und es gibt einen Arbeitsprozess."

Williams ist neben Lotus das einzige finanzschwache Team, das in der Strategiegruppe vertreten ist, und stellt damit gewissermaßen einen Fremdkörper dar. Warum man im Gegensatz zu den direkten Rivalen involviert ist? "Weil wir ein historisches Team sind, wir sind bereits 36 Jahre lang dabei", erklärt die stellvertretende Teamchefin Claire Williams, Tochter von Teamchef-Legende Frank Williams.

Sie glaubt, dass die Strategiegruppe auch im Sinne der schwächeren, nicht vertretenen Teams handeln wird: "Wir werden teilnehmen und repräsentieren Williams, aber hoffentlich auch die anderen Teams und die höheren Interessen unseres Sports."

Marussia-Geschäftsführer Lowdon hinterfragt neue Struktur

Daran zweifeln vor allem die zwei Nachzüglerteams Marussia und Caterham. Vertreter beider Rennställe entschieden sich 2009, in die Formel 1 einzusteigen - unter den geplanten Rahmenbedingungen einer Budgetobergrenze von 45 Millionen Euro. Diese wurde wegen des Widerstands der großen Teams, die um ihren Vorteil fürchteten, nie eingeführt.

Da die Strategiegruppe und damit der Entscheidungsfindungs-Prozess in Reglementangelegenheiten von den großen Teams dominiert wird, ist man entsprechend verschnupft. "Es ist enttäuschend, nicht eingebunden zu werden", klagt Marussia-Geschäftsführer Graeme Lowdon. "Die Führung des Sports basiert grundsätzlich auf Ethik und Fair Play und allem, was dazugehört. Also würden wir uns bei einem Gremium, das wirklich die strategische Richtung vorgibt, irgendeine Art von Demokratie, Transparenz und Rechenschaftspflicht wünschen. Wir sind nicht sicher, wie das funktionieren soll oder funktionieren wird, weil wir nicht dabei sind."

"Es ist enttäuschend, nicht eingebunden zu werden." Graeme Lowdon

Als Außenstehender müsse man überlegen, "wie diese Gruppe überhaupt eine Entscheidung treffen soll, die für alle von Vorteil sein könnte", ist Lowdon skeptisch. Der "Vertrauensvorschuss", der seinem Team abverlangt wird, sei enorm, denn die Strategiegruppe trage die Verantwortung für die Zukunft des Sports.

Caterham sieht Vorteile, vermisst aber Demokratie

Auch Caterham-Teamchef Cyril Abiteboul will sich mit dem neuen System nicht so recht anfreunden. "Ich verstehe einfach nicht, warum nicht alle Teams repräsentiert sind", wundert sich der Franzose. Er verstehe zwar die Bedenken, dass es in einer Demokratie oft schwer ist, alle auf einen Nenner zu bringen, "aber das rechtfertigt nicht, dass die Hälfte des Fahrerlagers nicht vertreten ist".

"Das rechtfertigt nicht, dass die Hälfte des Fahrerlagers nicht vertreten ist." Cyril Abiteboul

Grundsätzlich hält er es für eine gute Sache, dass das Reglement nun nicht mehr ausschließlich in den Arbeitsgruppen der Teamchefs und Technikchefs entworfen wird: "So etwas wie die Strategiegruppe hat in der Formel-1-Landschaft gefehlt. Man geht in gewissem Maße das Risiko ein, dass einige beleidigt sind. Vielleicht ist es ein bisschen zu technokratisch." Gleichzeitig hält er es aber für wichtig, dass die Arbeitsgruppen nach wie vor in beratender Funktion am Reglement-Prozess beteiligt sind.

Whitmarsh bittet um Geduld

Dadurch können seiner Meinung in Zukunft Szenarien wie die sündteuren Motoren in der kommenden Saison abgewendet werden. Diese Kritik an den vergangenen Entscheidungen findet McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh durchaus gerechtfertigt: "Wir haben bei den strategischen Entwicklungen in unserem Sport nicht genügend Umsicht gezeigt - das können wir besser machen."

"Hoffentlich entwickelt sich das zu einer Form, mit der sich jeder wohlfühlt." Martin Whitmarsh

Er gibt sich abschließend einmal mehr versöhnlich: "Die komplette Steuerung des Sports wurde im Concorde-Agreement noch nicht festgelegt. Schauen wir einmal, was passiert. Das wird sich in den kommenden Monaten entwickeln - hoffentlich zu einer Form, mit der sich jeder wohlfühlt."