Umstrittenes Strategiekomitee: Misstrauen der "Kleinen" sinkt

Das neue Strategiekomitee, das das Reglement entwirft, besteht nur aus den sechs großen Teams - Warum sich die "Kleinen" dennoch nicht völlig entmündigt fühlen

(Motorsport-Total.com) - Das neue Concorde-Agreement, das vom Inhaber der kommerziellen Rechte und der FIA, aber noch nicht von den Teams unterzeichnet wurde, beinhaltet eine Festlegung neuer Entscheidungsprozesse in Reglementfragen. Während das Reglement bislang in der Technischen und in der Sportlichen Arbeitsgruppe, an denen alle Teams beteiligt waren, ausgearbeitet wurde, ist dafür nun das neue Strategiekomitee zuständig, das aus den fünf großen Teams Red Bull, Ferrari, Mercedes, McLaren und Williams sowie derzeit Lotus als in der Konstrukteurs-WM abgesehen von den "Großen Fünf" bestplatziertem Rennstall besteht.

Titel-Bild zur News: Ross Brawn, Christian Horner, Stefano Domenicali, Vijay Mallya, Monisha Kaltenborn, Eric Boullier

Sind Mallya und Kaltenborn (vorne) in der Formel 1 nur noch Nebendarsteller? Zoom

Neben diesen sechs Teams haben auch FOM und FIA je sechs Stimmen zur Verfügung - solange die Teams nur eine Absichtserklärung, aber nicht das gesamtheitliche Concorde-Agreement unterschrieben haben, ist im Strategiekomitee statt einer 70-Prozent-Mehrheit nur eine einfache Mehrheit notwendig, um Reglemententwürfe weiterzuleiten.

Diese Änderung des Systems stößt vor allem den kleinen Teams sauer auf. "Wir fühlen uns diesbezüglich nicht so wohl, denn wir sind nicht beteiligt", erklärt Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn den Grund. "Wir haben nichts gegen eine Gruppe, die sich gewisse Themen anschaut, Ideen bringt und die Richtung vorgibt, aber es geht darum, dass alle Interessen vertreten werden sollten."

Strategiekomitee soll Entscheidungsprozess beschleunigen

Genau diese Tatsache, dass alle Interessen vertreten sind, wirkte sich in der Vergangenheit aber auch manchmal lähmend auf die Entscheidungsfindung aus. Vor allem Pirelli kritisiert dies regelmäßig - der Reifenhersteller gerät immer wieder zwischen die Fronten der unterschiedlichen Teams, die von den Italienern geforderten Reifentests können nur unter großer Anstrengung durchgesetzt werden, weil sich rasch ein Team gegenüber einem anderen im Nachteil wähnt.

"Alle Teams sitzen immer noch in der Formel-1-Kommission, die das Recht hat, Reglementvorschläge abzulehnen oder zu genehmigen." Christian Horner

"Wir wollen damit versuchen, die Entscheidungsprozesse bei der Erstellung des Reglements etwas zu beschleunigen", bestätigt Red-Bull-Teamchef Christian Horner den Hintergrund. Er kann die Angst der kleinen Teams nicht ganz nachvollziehen: "Alle Teams sitzen immer noch in der Formel-1-Kommission, die das Recht hat, Reglementvorschläge abzulehnen oder zu genehmigen."

Die Formel-1-Kommission besteht aus 26 Vertretern von Teams, Grand-Prix-Veranstaltern, Motoren- und Reifenherstellern, Sponsoren und so weiter. Sie kann Vorschläge durchwinken oder ablehnen, aber keine eigenen Regeln erarbeiten. Warum aber ausschließlich die Topteams in der Strategiegruppe sitzen und die kleinen Rennställe in diesem Gremium kein Mitspracherecht haben? "Diese Teams haben sich für viele Jahre an den Sport gebunden", argumentiert Horner.

Handeln Vertreter der Topteams im Interesse aller?

Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali wundert sich über die Unzufriedenheit der kleinen Teams bezüglich der Einführung des Strategiekomitees, schließlich haben diese die Absichtserklärung für das Concorde-Agreement unterschrieben: "Ich bin sicher, dass alle Bescheid wussten, denn sie alle haben das Abkommen unterschrieben und damit diesen Weg akzeptiert."

Seiner Meinung nach ist das Misstrauen der kleinen Teams nicht berechtigt: "Wir sagen sicher nicht, dass wir uns nicht um die anderen kümmern, denn das ist wirklich nicht der Fall." Mercedes-Teamchef Ross Brawn stimmt in diesen Tenor ein: "Es ist entscheidend, dass diese Gruppe Entscheidungen trifft und im Interesse von allen in der Formel 1 handelt."

"Es ist entscheidend, dass das Strategiekomitee im Interesse aller in der Formel 1 handelt." Ross Brawn

Schöne Worte, doch Kritiker befürchten, dass dies in der Realität kaum in dieser Form stattfinden wird - zu groß ist die Konkurrenz in der Formel 1, zu sehr blickt jeder auf seine eigenen Interessen. Ein Umstand, den vor allem Force India stets heftig kritisierte - doch Teambesitzer und -chef Vijay Mallya sieht die Lage inzwischen überraschend gelassen.

Formel-1-Kommission gibt kleinen Teams Mitspracherecht

"Zuerst habe ich auch befürchtet, dass es das Ziel war, die kleinen Teams aus dem Entscheidungsprozess auszuschließen", gibt er zu. Warum er nun anders denkt? "Ich fühle mich jetzt etwas wohler, denn mir wurde bestätigt, dass das Strategiekomitee über zukünftige Strategien in der Formel 1 berät, die dann in der Formel-1-Kommission, wo alle Teams anwesend sind, diskutiert werden und über die dann abgestimmt wird."

Zudem erklärt der Inder, dass ihm alle sechs im Strategiekomitee stimmberechtigten Teamchefs zugesichert hätten, dass sie "auf die Interessen aller, also auch die der kleineren Teams, achten werden. Auf Basis dessen habe ich dann im Motorsport-Weltrat für die Einführung der neuen Struktur abgestimmt, solange alles so abläuft wie geplant."

"Zuerst habe ich befürchtet, dass es das Ziel war, die kleinen Teams auszuschließen, jetzt fühle ich mich etwas wohler." Vijay Mallya

Sauber-Teamchefin Kaltenborn stellt abschließend, dass ein gewisses Misstrauen immer bleibt: "Man muss allen ein gewisses Vertrauen entgegenbringen, aber am Ende sind wir immer Konkurrenten. Es wird immer Themen geben, wo große Teams einen anderen Blickwinkel haben als die kleinen. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass Entscheidungen zugunsten des Sports getroffen werden, denn wir sind alle Teil dieses Sports, und aus meiner Sicht benötigt die Formel 1 mehr Konstrukteure als nur die großen Teams."