powered by Motorsport.com
  • 19.09.2001 09:49

  • von Marcus Kollmann

Ross Brawn im ausführlichen Interview

Der Technische Direktor spricht über Monza, die Zwei-Stopp-Strategie und Michael Schumacher und Indianapolis

(Motorsport-Total.com/Haymarket) - Was eigentlich ein freudiges Wochenende für Ferrari und die Motorsportfans in Monza hätte werden sollen, an dessen Ende man die Verteidigung der beiden Weltmeisterschaften hatte feiern wollen, war nach den schrecklichen Ereignissen in Amerika nur eine normale Rennveranstaltung. Vor allem Ferraris Michael Schumacher hatten die Ereignisse und Bilder aus den Staaten enorm zugesetzt, sodass der Deutsche das ganze Wochenende verschlossen und in sich gekehrt wirkte und nicht wie zuvor in der Saison auf der Strecke die von ihm erwartete Leistung zeigte. Rubens Barrichello hieß deshalb der Mann des letzten Wochenendes - zumindest bei Ferrari. Der Brasilianer hatte sich am Samstag Startplatz zwei gesichert und fuhr am Sonntag ein starkes Rennen, in welchem er auch Siegchancen besaß. Insgesamt betrachtet war das zurückliegende Wochenende aber auch für die Teamverantwortlichen, wie zum Beispiel Ross Brawn dem Technischen Direktor der Scuderia Ferrari, schwierig. Der Engländer sprach nach dem Rennen über den Grand Prix, die Zwei-Stopp-Strategie, die Probleme und Hintergedanken bei dieser Taktik und Michael Schumacher.

Titel-Bild zur News: Ross Brawn (Technischer Direktor)

Brawn war mit der Leistung Ferraris in Monza zufrieden

Frage: "Wie schwierig ist dieses Wochenende gewesen?"
Ross Brawn: "Es ist für jedermann schwierig gewesen. Wir wissen ja nicht welche Folgen diese Anschläge für die gesamte Welt haben werden und es wird eine Weile brauchen, bis sich jeder von dieser Sache wieder erholt hat. Es war deshalb ein schwieriges Wochenende, an welchem aber jeder sein Bestes gegeben hat und versuchte seine Aufgabe trotz der bekannten Umstände so gut wie möglich zu machen."

Frage: "Sie kennen Michael besser als irgendjemand anderes. Wie sehr ist er von den Ereignissen betroffen gewesen?"
Brawn: "Sehr stark. Er ist ein sehr emotionaler Typ und war von dem, was vorgefallen ist, geschockt. Er hat ja zwei kleine Kinder und macht sich Sorgen über deren Zukunft, so, wie sich wahrscheinlich alle Eltern sorgen. Er ist wirklich mitgenommen gewesen."

Frage: "Und dann gab es da noch den Unfall von Alex Zanardi..."
Brawn: "Ja genau. Das hat sicherlich nicht geholfen und die Sache nicht besser gemacht."

Frage: "Haben Sie selbst oder das Team Michaels Vorschlag bezüglich des Starts geteilt?"
Brawn: "Wir haben dem, was die Fahrer fühlten, zugestimmt. Es hätte aber ehrlich gesagt kaum einen oder gar keinen Unterschied gemacht, hätte jeder Fahrer innerhalb der ersten beiden Schikanen seine Startposition beibehalten. Tatsächlich hätten so einige Fahrer viel länger am Rennen teilgenommen als sie das am Ende taten."

Frage: "Hat ihn das Gespräch mit den anderen Fahrern auf der Startaufstellung abgelenkt?"
Brawn: "Ich denke ja. Er ist ein professioneller Rennfahrer, aber da die Weltmeisterschaft bereits entschieden war, hatte er kein Ziel mehr vor Augen. Er konzentrierte sich auf andere Dinge und an diesem Wochenende war es schwierig, sich auf das Rennen zu konzentrieren. Oder sich einzig und allein darauf zu konzentrieren. Er hat aber wirklich gute Arbeit geleistet."

Frage: "Kann man sagen, dass Michael nicht mit dem Herzen dabei war und Rubens an diesem Wochenende allgemein in besserer Form gewesen ist?"
Brawn: "Das ist wirklich schwierig zu beurteilen. Rubens hatte ganz augenscheinlich ein sehr gutes Rennen, ein extrem gutes Rennen. Ich war darüber sehr froh, vor allem weil wir in Hockenheim Prügel hatten einstecken müssen und nun wieder auf einer Powerstrecke fuhren, wo jeder dachte, dass BMW-Williams wieder so einfach allen auf und davon fahren würde. Ohne das Problem bei einem unserer Boxenstopps, hätten wir noch mehr aus dem Rennen machen können als wir das getan haben."

Frage: "Fiel die Entscheidung zu Gunsten einer Zwei-Stopp-Strategie auf Grund eurer Besorgtheit über die Bremsen?"
Brawn: "Nein, sondern aus Besorgtheit, dass wir ein langweiliges Rennen erleben würden."

Frage: "Traditionell aber versucht man in Monza doch das Auto bis an den Rand voll zu tanken und dann so lange wie möglich draußen zu bleiben..."
Brawn: "Nun, in Montoyas Fall war dem nicht so und bei uns auch nicht. Die Traditionen ändern sich vielleicht..."

Frage: "Aber warum haben Sie sich dafür entschieden?"
Brawn: "Wie ich schon sagte, weil wir in Hockenheim ziemlich gebügelt wurden und ich keine Möglichkeit darin sah, dass wir mit den ultra schnellen BMWs auf den Geraden mithalten können würden. Also entschieden wir mal etwas anderes auszuprobieren."

Frage: "Was wäre passiert, wäre da nicht dieses Problem beim Betanken vorgefallen?"
Brawn: "Ich glaube, dass wir dann Montoya im Getriebe gesessen hätten, jedoch weiß ich nicht, wie viel schneller er hätte fahren können. Ganz gewiss aber hätte Rubens ihn unter Druck setzen können. Es hatte ganz den Anschein, als ihr sie unter Druck gesetzt habt, dass ihre Reifen Probleme zu bekommen schienen. Ja, das ist bei Ralf und Montoya in der Mitte des Rennens der Fall gewesen. Als man sie unter Druck setzte, hatten sie ein wenig zu kämpfen. Dass Rubens nicht vor Ralf auf die Strecke zurückkam, war wirklich sehr schade, denn so hätte er Montoya viel früher unter Druck setzen können."

Frage: "Was war den das Problem mit dem Tankschlauch?"
Brawn: "Wir wollten unsere Strategie ein wenig verändern, weshalb wir die Tankanlage umprogrammierten. Beim Umprogrammieren ist dann etwas schief gelaufen, sodass wir nicht rechtzeitig fertig waren. Es war unser Fehler. Als der Betanker bereit war das Auto zu betanken sah er, dass noch nicht alles vorbereitet war. Man bekommt eine Rückmeldung von der Tankanlage durch verschiedene Anzeigen, ob, oder ob sie nicht bereit ist. In unserem Fall war sie es nicht als wir das Auto betanken wollten, weshalb wir die Tankanlagen wechselten. Rein aus Vorsicht ist die zweite Anlage immer betriebsbereit und vorbereitet, weshalb wir auf diese wechselten."

Frage: "Und es wurde dann die Menge nachgetankt die vorgesehen war? Oder..."
Brawn: "Wir konnten nicht das tun, was wir ursprünglich vorgehabt hatten. Wir hatten Rubens vor Ralf zurück auf die Strecke schicken wollen, was nicht gelang und schließlich alles entschieden hat."

Frage: "Also wurde zu viel nachgetankt?"
Brawn: "Das werde ich nicht verraten! Ich kann nur sagen, dass wir nicht das taten was wir tun wollten. Am Ende, so denke ich jetzt, hat es aber keinen Einfluss gehabt."

Frage: "Rubens ist in der Schlussphase ganz offensichtlich um die Strecke geflogen..."
Brawn: "Ja, es war sehr gut. Die Reifen waren sehr gut, das Auto war gut und wir hatten eine tolle Ausbaustufe auf der Motorenseite im Einsatz, was wirklich geholfen hat. Ich war wirklich zufrieden. Monza war halt nur eines jener Rennen in denen es am Ende nicht hat sollen sein."

Frage: "Michaels Rennen war ein wenig merkwürdig, denn zum Ende hin waren seine Rundenzeiten recht schnell. Was war vorgefallen?"
Brawn: "Er hatte Probleme mit dem zweiten Reifensatz - der linke Hinterreifen war ein wenig mitgenommen. Ich denke, dass sich Michael nichts ausrechnete und deshalb entschied dort zu beleiben wo er ist und das Ganze zu beobachten. Bei Rubens, der ja auch auf zwei Stopps unterwegs war, funktionierte alles prima. Bei Michael konnte man das Problem von zwei Stopps gut sehen. Der eine war gut, der andere nicht so gut. Aber dieses Risiko waren wir bereit gewesen einzugehen. Die Meisterschaft ist entschieden und wir dachten, dass wir einfach etwas ausprobieren und dann abwarten wollten was geschieht."

Frage: "Glauben Sie, dass Michael in Indianapolis wieder einhundert Prozent geben wird?"
Brawn: "Die Zeit hilft, die Zeit hilft immer. Aber wir müssen natürlich erst einmal die weiteren Entwicklungen zwischen heute und in vierzehn Tagen abwarten. Derzeit gibt es jede Menge logistische Probleme nach Indianapolis zu kommen. Aber ich bin sicher, dass es viele Amerikaner gibt die das Rennen sehen möchten und denen gegenüber haben wir auch eine Verpflichtung. Man kann nicht einfach das Land dichtmachen und das Leben einfrieren weil da Schreckliches passiert ist. Sie wollen das auch gar nicht, denn sie wollen nicht zeigen, dass solche Aktionen einen großen Einfluss auf sie haben. Ich denke, dass wir es den amerikanischen Fans schulden dort zu fahren."