Pocock: "Wollen Rückstand auf Renault verkürzen"
Jaguars Ingenieurs-Direktor Dr. Ian Pocock über seine Rolle im Team und die bevorstehende Formel-1-Saison 2004
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Ian, du bist Ingenieurs-Direktor bei Jaguar. Wie ist das in der Hierarchie mit all den anderen Abteilungsleitern einzuordnen?"
Dr. Ian Pocock: "Im Prinzip bin ich der Klebstoff in der Organisation. Ich stelle sicher, dass alle Abteilungsleiter die nötigen Ressourcen zur Verfügung haben und gebe die Richtung vor. Wir haben jetzt auch endlich interne Prüfungen eingeführt, was früher viel zu selten geschehen ist. David Pitchforth hat ständig ein Auge darauf, was ich mache, und dasselbe gilt für mich und die Bereiche unter mir. Ich helfe allen Abteilungen dabei, ihre vorgegebenen Ziele zu erreichen, und erkundige mich laufend nach den Fortschritten und ob die Ziele erreicht worden sind. Ist das nicht der Fall, setzen wir uns an einen Tisch und suchen nach Lösungen, wie ich ihnen helfen kann. Von internen Schuldzuweisungen halte ich überhaupt nichts, das möchte ich ausschließen. Das ist unglaublich wichtig, denn wenn die Leute das Gefühl haben, dass sie ehrlich ihre Meinung sagen können, läuft die Weiterentwicklung viel reibungsloser ab."#w1#

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Dr. Ian Pocock beim heutigen Launch des neuen Jaguar R5 in Barcelona
Frage: "Willst du damit sagen, dass das frühere Jaguar-Team einfach nicht funktioniert hat?"
Pocock: "Nein, ich denke, man muss anerkennen, dass schon vor der Übernahme durch das jetzige Jaguar-Management große Erfolge erzielt worden sind. Es gibt innerhalb des Unternehmens eine beeindruckende Loyalität und den Willen aller Mitarbeiter, im Interesse des Unternehmens zu handeln. Obwohl wir gerade eine Reorganisation durchlaufen, sind die meisten Mitarbeiter schon seit geraumer Zeit im Team. Früher hat ihnen einfach eine Richtungsvorgabe gefehlt und das Wissen, dass die wichtigen Entscheidungen aus einem Ingenieurs-Hintergrund heraus getroffen werden. Jetzt fühlen sich die Mitarbeiter viel wohler. Wenn du dem Personal solche Klarheit bieten kannst, bauen sie Glauben ins Management auf."
Frage: "Das klingt so, als sei dein Job sehr auf das Management bezogen. Kann man daraus schließen, dass es den klassischen Technischen Direktor in der Formel 1 nicht mehr gibt?"
Pocock: "Ich glaube schon. Niemand bei Jaguar kann aufstehen und sagen, dass der R5 sein Auto ist. Es ist unser Auto. Wir haben immer wieder Meetings, bei denen wir die Entscheidungen gemeinsam treffen. Natürlich muss es dabei einen Vorsitzenden geben ? jemanden, der die Diskussion moderiert, sich alle Argumente anhört und dann nötigenfalls Entscheidungen trifft. Das ist meine Aufgabe, aber ich muss auch zugeben, dass ich nicht immer alles richtig mache."
Pocock wegen seines Fachwissens erster Entscheidungsträger
Frage: "Wie weißt du, welche Entscheidungen zu treffen sind?"
Pocock: "Das ist eine gute Frage. Eine Facette des Managements ist, dass du oft Entscheidungen treffen musst, ohne alle Fakten zu kennen. Das ist der Punkt, wo es Sinn macht, einen Doktor im Ingenieurswesen zu haben. Ich habe ausreichend theoretischen Background, um die technischen Details zu verstehen und trotzdem das Gesamtbild nicht aus den Augen zu verlieren. Ich arbeite auch sehr eng mit der Produktions- und Businessabteilung zusammen, denn es würde keinen Sinn machen, Versprechen abzugeben, die dann nicht gehalten werden können. Ich bin quasi die Brücke zwischen den einzelnen Disziplinen im Team."
Frage: "Wie siehst du Jaguar im Vergleich zu den Top-Teams, für die du schon gearbeitet hast?"
Pocock: "Wir sind auf dem richtigen Weg, das ist sicher. Wir wollen natürlich arbeiten und zuverlässig sein wie ein Spitzenteam vom Schlage Ferraris. Wir alle erkennen an, dass das zu ihren großen Stärken gehört. Ross Brawn hat einmal ein sehr treffendes Statement von sich gegeben, als er auf die Überlegenheit seines Teams angesprochen wurde. Er sagte damals: 'Es geht doch nur um das Ingenieurswesen, vergesst das nicht.' Damit liegt er goldrichtig."
Vier Faktoren bis zur richtigen Entscheidung...
Frage: "Gibt es bestimmte Regeln, um diesen eher wissenschaftlichen Weg nicht aus dem Auge zu verlieren?"
Pocock: "Ich nenne diese Regeln die vier Maßregeln. Wenn wir eine Entscheidung zu treffen haben, ziehen wir vier Schlüsselfaktoren in Betracht, ehe wir uns festlegen. Diese sind Sicherheit, Performance, Zuverlässigkeit und Kosten. Wenn eine Idee einen oder mehrere dieser Faktoren nicht erfüllen kann, wird sie nicht umgesetzt. So einfach ist das. Nehmen wir doch einmal die Kosten als Beispiel: Je mehr Geld wir aus der Produktion herausnehmen, desto mehr steht uns für die Weiterentwicklung zur Verfügung. Dadurch wird die Kosten-Maßeinheit zu einem entscheidenden Faktor. Wenn das Management mit dem Geld so umgehen müsste, als wäre es das eigene Geld, würden alle mit Leichtigkeit zu sparen beginnen. Dadurch können wir dann mehr Geld für aufregende Projekte in der Entwicklungsabteilung ausgeben und so kehrt auch die Effizienz in die Produktion zurück."
Frage: "Man erwartet von Jaguar ein großes Budget. Wie steht ihr diesbezüglich im Vergleich mit anderen Formel-1-Teams da?"
Pocock: "Das ist unmöglich zu beantworten, denn die Etats der anderen Teams sind meistens entweder schwerst übertrieben dargestellt oder ein gut gehütetes Geheimnis. Ich kann zu dem Thema nur sagen, dass wir uns jetzt sehr genau überlegen, wie wir unser Geld ausgeben, weil uns ganz einfach nur ein begrenzter Betrag zur Verfügung steht. Viele Teams müssen sich mit diesen finanziellen Überlegungen nicht auseinandersetzen und verlieren dadurch die Effizienz ein wenig aus dem Blickfeld, was genauso negativ sein kann wie ein von vornherein geringeres Budget."
Ab 2004 neuer Chef in der Qualitätskontrolle
Frage: "In welchen Bereichen rechnest du noch mit weiteren Fortschritten?"
Pocock: "Es gibt noch ein paar Maßnahmen, die wir treffen müssen. Die ständige Suche nach mehr Performance hört nie auf ? sei es bei den Reifen, in der Aerodynamik, bei der Gewichtsverteilung, beim Schwerpunkt und so weiter. Es gibt aber auch hinsichtlich der Zuverlässigkeit noch Schwachstellen, an denen wir zu arbeiten haben. Ich frage mich gerade durch alle Abteilungen durch, welche Risiken sie in ihrem jeweiligen Bereich für die Zuverlässigkeit des Fahrzeugs sehen und wie man diese eventuell ausmerzen könnte. Wir haben einen Mann für die Qualitätskontrolle engagiert, Chris Charnley, der sicherstellt, dass uns unsere Zulieferer und die internen Abteilungen mit Gütern beliefern, die den Anforderungen gewachsen sind. Das ist eine gute Neuerung für 2004 und zeigt, dass unsere Qualitätskontrolle auf dem richtigen Weg ist. Von jetzt an kommt jedes Teil nur nach einer hinlänglichen Prüfung ins Auto und das bedeutet, dass es sich bei einem Defekt nur um einen Ingenieursfehler handeln kann, nicht aber um mangelnde Qualität."
Frage: "Wie sehen deine persönlichen Erwartungen für die kommende Saison aus?"
Pocock: "Hauptsächlich möchte ich beweisen, dass sich das Team weiterhin verbessert. Unsere Teilhaber und technischen Partner fordern, dass wir uns weiter nach vorne orientieren, was nur richtig ist. Auf der Strecke wünsche ich mir, dass die Fahrer etwas von unseren konstanten Fortschritten mitbekommen. Ich hoffe wirklich, dass wir den Rückstand auf Teams wie Renault verkürzen können. Ich rechne nicht damit, sie bei jedem Rennen schlagen zu können, aber wir sollten wenigstens von Anfang an mithalten."

