Nürburgring: Entscheidung durch die Reifentemperatur?

Warum der letzte Stint für die drei Führenden eine Zitterpartie war und was es mit Mark Webbers extrem spätem Boxenstopp auf sich hatte

(Motorsport-Total.com) - Der gestrige Grand Prix von Deutschland auf dem Nürburgring war praktisch bis zum Schluss ein über weite Strecken packender Dreikampf zwischen Lewis Hamilton (McLaren), Fernando Alonso (Ferrari) und Mark Webber (Red Bull). Das Trio tauschte bei den ersten beiden Boxenstopps einige Male die Positionen, letztendlich rennentscheidend war aber der letzte Stint.

Titel-Bild zur News: Lewis Hamilton vor Fernando Alonso und Mark Webber

Lewis Hamilton geriet auch im letzten Stint nicht mehr ernsthaft in Gefahr

Denn nach drei Stints auf den weicheren Pirelli-Options mussten alle drei Siegesanwärter für den Schlussspurt auf die härteren Primes (Gummimischung Medium) wechseln, die eigentlich um eineinhalb Sekunden langsamer sein hätten sollen. Also nahmen die Strategen auf dem Kommandostand an: Wer als Erster an die Box kommen muss, weil seine Options schon abgenutzt sind, könnte am Ende möglicherweise den Kürzeren ziehen.

Petrow als Entscheidungshilfe

Hamilton kam in der 51. von 60 Runden mit rund drei Sekunden Vorsprung auf Alonso als Führender an die Box. Alonso konnte zwei Runden länger draußen bleiben, trotzdem entpuppte sich die McLaren-Entscheidung nicht als Fehlgriff: "Petrow war schon auf Prime und wir sahen, dass er damit persönliche Sektorenbestzeiten fahren konnte. Das war unser Signal, dass wir auch auf Prime wechseln können", erklärt Teamchef Martin Whitmarsh gegenüber der 'BBC'.

Außerdem wusste man, dass die Situation auch für Ferrari nicht optimal war: "Wir dachten, dass Ferrari wegen des Primes ein bisschen nervöser sein könnte als wir, basierend auf den bisherigen Erkenntnissen dieser Saison. Wir waren optimistisch, die Temperaturen in den Reifen zu bekommen, und Lewis hatte den Prime sofort im Griff. Als er dann auch Sektorenbestzeiten fuhr, wussten wir, dass wir das Rennen gewinnen würden", sagt er.


Fotos: Großer Preis von Deutschland, Sonntag


"Du weißt aber nie, denn es kann auch sein, dass du die Temperaturen einfach nicht hinbekommst. Dann kann dir so ein Rennen ganz plötzlich entgleiten", so Whitmarsh. Hintergrund: Der Ferrari 150° Italia gilt zwar als sehr reifenschonend, hat dafür aber traditionell Schwierigkeiten, wenn es darum geht, das "schwarze Gold" schnell auf Betriebstemperatur zu bringen - bei gerade mal 13 Grad Lufttemperatur und der härteren Gummimischung keine einfache Aufgabe.

"Wir wussten, dass wir bei diesen Temperaturen Schwierigkeiten haben, die Reifen auf Temperatur zu bekommen. So ist es halt", seufzt Teamchef Stefano Domenicali. "Lewis ist ein fantastisches Rennen gefahren, Fernando war nahe dran, aber das Wichtigste ist: Wenn wir diese Performance halten können, werden wir eine andere zweite Saisonhälfte erleben. Wir werden versuchen, Red Bull herauszufordern, auch wenn sie immer noch sehr stark sind."

Lob für Hamiltons Überholmanöver

Die Reifentemperatur war letztendlich auch entscheidend für das Manöver von Hamilton gegen Alonso unmittelbar nach Alonsos zweitem Boxenstopp, denn während die Pneus am McLaren schon auf Betriebstemperatur waren, kam der Ferrari frisch aus der Boxengasse. Als Hamilton in der Mercedes-Arena kompromisslos jenes Manöver vollzog, mit dem Webber zuvor an gleicher Stelle an ihm selbst gescheitert war, kämpfte Alonso mit stumpfen Waffen.

Pirelli-Reifen

Die Pirelli-Reifen spielten gestern wieder einmal eine entscheidende Rolle Zoom

Das ändert freilich nichts daran, dass Hamilton in jener (rennentscheidenden) Situation wieder einmal seinen Racerinstinkt unter Beweis gestellt hat: "Wenn großartige Fahrer wie Lewis einen Sieg schnuppern, dann packen sie etwas Außergewöhnliches aus", lobt Whitmarsh. "Was Lewis heute geschafft hat, ist außergewöhnlich - auch wenn man von ihm Außergewöhnliches erwartet. Trotzdem: Es war eine außergewöhnliche Leistung."

Übrigens: Webber, der vor dem dritten Stopp mit mehr als acht Sekunden Rückstand schon fast aussichtslos zurücklag, wechselte erst in der 56. Runde von den weichen auf die harten Pirelli-Pneus - eine Strategie, die unter Umständen auch aufgehen hätte können. Denn hätte es tatsächlich noch plötzlich zu regnen begonnen, hätten alle auf Regenreifen wechseln müssen - und der Australier hätte sich somit einen Boxenstopp gespart...