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Newey: "Das Überholen wird 2011 zu einfach"

Red-Bull-Designer Adrian Newey kritisiert das neue Reglement: Durch den verstellbaren Heckflügel sind Überholmanöver wertlos, das Unfallrisiko steigt

(Motorsport-Total.com) - Viele Fans würden sich mehr Überholmanöver in der Formel 1 wünschen. Das Saisonfinale 2010 erwies sich zwar durch die tolle Ausgangssituation als äußerst spannend, aufregende Rad-an-Rad-Duelle waren aber dennoch Mangelware. Aus diesem Grund setzt die FIA 2011 auf den neuen beweglichen Heckflügel, der es nach zahlreichen gescheiterten Versuchen endlich ermöglichen soll, dass in der Formel 1 viel überholt wird.

Titel-Bild zur News: Adrian Newey (Technischer Direktor)

Adrian Newey hält sehr wenig von den Reglementänderungen für 2011

Doch es gibt auch Kritiker der Innovation. Einer davon ist Red-Bull-Stardesigner Adrian Newey. Er befürchtet, dass die "Königsklasse" des Motorsports durch den neuen Flügel an sportlichem Wert einbüßen wird. "Natürlich wird es helfen", antwortet der Brite auf die Frage, ob der Heckflügel das Überholen erleichtern wird. "Er reduziert den Luftwiderstand auf den Geraden, damit man schneller fahren kann."

Für Newey ist das neue Reglement eine Gratwanderung: "Der Schlüssel wird sein, wie man es anwendet, wie man damit jongliert, damit das Überholen zwar ermöglicht wird, aber nicht zu leicht wird. Wenn das der Fall ist und man die gewünschte Position erreicht, indem man als Zweiter in die letzte Runde geht, dann wird das Ganze zu künstlich."

Ist ein Überholmanöver in Zukunft nichts mehr wert?

Dabei handelt es sich laut dem Red-Bull-Designer allerdings keineswegs um eine ferne Zukunftsvision, sondern um eine gegenwärtige Bedrohung für die Formel 1: "Es gibt diese Gefahr und der Boost, der im Moment geliefert wird, ist mit Sicherheit zu groß." Newey vertritt seit Jahren die Ansicht, dass die Überholproblematik medial hochstilisiert wird.

"Ich weiß, dass ich mit meinen Ansichten in der Minderheit bin", sagt er. "Doch die Schwierigkeit des Überholens ist großteils übertrieben. Denn schwieriges Überholen bedeutet, dass es wirklich denkwürdig ist, wenn es jemand schafft." Er untermauert seine These mit Beispielen aus den Jahren 1990 und 1991: "Wir alle erinnern uns an Mansell, wie er in Mexiko außen an Berger vorbeiging, und an Ayrton, der die ganze Gerade in Barcelona nützte. Diese Manöver ragen heraus, weil das Überholen nicht so einfach ist. Wenn es aber wie bei einem NASCAR-Windschattenrennen wird, dann verlieren wir etwas."

"Der Boost, der durch den Flügel geliefert wird, ist mit Sicherheit zu groß." Adrian Newey

Newey befürchtet Unfälle wie Webbers Valencia-Crash

Doch Newey ist mit seiner Kritik am neuen Reglement noch nicht fertig: Er befürchtet, dass die höheren Geschwindigkeitsunterschiede auf den Geraden, die durch den verstellbaren Heckflügel verursacht werden, zu gefährlichen Unfällen führen könnten. "Die höhere Geschwindigkeit beim Heranfahren könnten das Risiko eines Unfalls vergrößern, wie er bei Mark Webber vergangenes Jahr in Valencia passiert ist", meint Newey.

Damals saugte sich der Australier im Windschatten an Heikki Kovalainens Hinterbänkler-Lotus an, unterschätzte den früheren Bremspunkt des Finnen, traf den Boliden im Heck und schlug einen Salto. "Die sehr hohen Geschwindigkeiten am Ende der Geraden sorgen möglicherweise für das größte Risiko", glaubt der Hobby-Rennfahrer. "Das bereitet mir dieses Jahr mit dem beweglichen Heckflügel und KERS ein paar Sorgen. Dabei geht es aber nicht so sehr um die Geschwindigkeit selbst, sondern wenn es plötzlich diesen Unterschied gibt. Genau das ist Mark passiert: Heikki bremste früher als Mark es erwartet hatte und der enorme Geschwindigkeits-Unterschied sorgte für den Unfall."

"Die höhere Geschwindigkeit beim Heranfahren könnten das Risiko eines Unfalls vergrößern." Adrian Newey

Wie kann man aufsteigende Boliden verhindern?

Würde man versuchen, Unfälle dieser Art durch ein verändertes Design zu verhindern, dann würde sich auch das Erscheinungsbild der Boliden laut Newey grundlegend verändern: "Es gibt Wege, über die nachgedacht wird. Das fundamentale Problem ist, dass - solange wir freistehende Hinterräder haben - ein Auto durch die Rotation in die Luft katapultiert wird, wenn eine Nase ein Hinterrad trifft."

Er führt diesen Gedanken weiter: "Man könnte durch das Reglement für sehr tiefe Nasen sorgen, doch das würde andere Dinge mit sich bringen. Das Großartige an den hohen Nasen ist, dass die Gefahr gering ist, wenn ein Auto ein anderes torpediert. Wenn du mit einer niedrigen Nase ein Auto torpedierst, dann könnte das Auto auf deinem Auto landen."

Newey vergleicht die Problematik mit einer banalen Debatte im Straßenverkehr: "Es ist wie mit all diesen Dingen - wie bei der Debatte über Sicherheitsgurte: In 99 Prozent aller Fälle helfen sie dir, doch hin und wieder könnte es einen Unfall geben, bei dem man besser keinen Sicherheitsgurt verwendet." Dennoch ist die Lage nicht ausweglos. Der Brite kennt sogar eine Lösung, die mit Sicherheit den gewünschten Erfolg bringen würde: "Vielleicht sollte man die Fahrer dazu bringen, etwas früher zu bremsen."

"Solange wir freistehende Hinterräder haben, wird ein Auto in die Luft katapultiert, wenn eine Nase ein Hinterrad trifft." Adrian Newey