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Mercedes dementiert: Gentlemen's Agreement gebrochen?

F-Schacht, nächstes Kapitel: Mercedes beteuert, es habe nie ein Gentlemen's Agreement gegeben - Ross Brawn: System nur eine Optimierung des DRS

(Motorsport-Total.com) - Die Diskussionen um das innovative F-Schacht-System von Mercedes gehen auch beim Grand Prix von Malaysia weiter. Nachdem Red Bull und vor allem Lotus schon vorige Woche in Melbourne einen Protest angekündigt, dann aber doch nicht eingelegt hatten - möglicherweise wegen der Nullnummer der Silberpfeile beim Saisonauftakt -, könnte zumindest eines der beiden Teams den Fall morgen in Sepang doch noch bei der FIA anzeigen.

Titel-Bild zur News: Heckflügel des Mercedes F1 W03

Der Mercedes-Heckflügel könnte morgen wieder für Schlagzeilen sorgen

Wenn, dann wird es aber wahrscheinlich eher Lotus sein. Christian Horner ist von dem Thema inzwischen ein wenig genervt und findet, dass darüber bereits "ausreichend gesagt" wurde. "Fragt lieber bei Eric (Boullier, Lotus-Teamchef; Anm. d. Red.) nach. Den regt die Sache am meisten auf", grinst der Red-Bull-Teamchef. Sollte es tatsächlich zu einem offiziellen Protest kommen, wäre das Ergebnis des Grand Prix von Malaysia bis zur Verhandlung vor dem Internationalen Berufungsgericht der FIA nur provisorisch.

Brawn appelliert an guten Stil der Konkurrenz

Für Ross Brawn ist das keine erfreuliche Perspektive. Er versteht die anhaltende Aufregung über das System nicht: "Jeder hat das Recht, Protest einzulegen", sagt er zwar, legt aber nach: "Selbst in einem so wettbewerbsintensiven Business wie der Formel 1 gibt es ein gewisses Protokoll, finde ich. Der richtige Zeitpunkt, um so etwas vorzubringen, ist der Donnerstag. Sobald die technische Abnahme der Autos beendet ist, kannst du Protest gegen ein System einlegen. Das ist der richtige Zeitpunkt - bevor Qualifying und Rennen beginnen."

"Jetzt Protest einzulegen, wäre meiner Meinung nach ziemlich unangenehm, weil es auch am Donnerstag hätte passieren können", unterstreicht der Mercedes-Teamchef. Dann hätte man nämlich theoretisch Gelegenheit gehabt, das System auszubauen. Und Brawn fügt an: "Am Auto hat sich ja seit dem ersten Training in Melbourne nichts verändert. Ich kann verstehen, dass einige Leute frustriert sind, weil sie die Idee nicht hatten oder weil sie glauben, dass es nicht korrekt ist. Das ist ihr gutes Recht."

Eric Boullier

Eric Boullier hat möglicherweise vor, morgen offiziell Protest einzulegen Zoom

"Ich habe aber schon viele Dinge an Rennautos gesehen, bei denen ich mich auch über die Interpretation der Regeln wundern musste, aber das ist ein Teil dieses Geschäfts. Dann musst du am Donnerstag einen Protest einlegen und die Sache den Kommissaren überlassen, damit sie für eine Lösung sorgen können. Das sollte nicht nach dem Qualifying und auch nicht nach dem Rennen geschehen, denn das könnte die Veranstaltung für die Fans verderben", gibt der 57-jährige Brite zu Protokoll.

Welches Gentlemen's Agreement?

Sauer stößt ihm auch der von Red Bull geäußerte Kommentar auf, Mercedes habe gegen eine im Rahmen der Technischen Arbeitsgruppe getroffene Vereinbarung verstoßen: "Es ist mir nicht bekannt, dass es Gentlemen's Agreement gibt, das verbietet, solche Dinge zu tun. Zumindest weiß ich nichts davon. Und ich glaube, ich kann nicht gegen ein Gentlemen's Agreement verstoßen, das ich nicht kenne." Zuvor hatte Red-Bull-Designer Adrian Newey gewettert: "Die FIA hat das System erlaubt, aber Mercedes hintergeht damit das Gentlemen's Agreement der Teams."

Norbert Haug kontert: "Wir sind nicht dafür bekannt, dass wir nicht zu unserem Wort stehen", so der Mercedes-Sportchef. "Das System ist legal. Wir sind überzeugt davon, dass es richtig ist, was wir tun. Jeder hat natürlich das Recht, das anders zu sehen und anzufechten. Ich denke aber, man kennt uns gut genug, um zu wissen, dass wir zu einer Übereinkunft stehen, wenn es eine solche gibt. Wir hätten beim auspuffangeströmten Diffusor auch Lärm machen können, aber das tun wir einfach nicht. Wir drohen nicht mit einem Protest."

F-Schacht nur in Kombination mit DRS

Tatsache ist, dass der F-Schacht nur funktioniert, wenn der verstellbare Heckflügel (DRS) aktiviert ist. Das bedeutet, der Vorteil ist im Qualifying groß, im Rennen, wo DRS nur im Zweikampf und in eingegrenzten Zonen erlaubt ist, aber vernichtend gering. "Das Team", sagt Michael Schumacher, "war clever genug, eine Innovation zu finden, die uns sicherlich einen Vorteil bringt. Wo es ein Vorteil ist, lassen wir einmal dahingestellt. Das wird vom einen oder anderen Team überbewertet, um vielleicht von der - in Anführungsstrichen - eigenen Schwäche abzulenken."

"Wenn man sich die Speeds ansieht, erkennt man: McLaren ist schnell auf der Geraden, Lotus ebenso. Man muss sich auch einmal den Unterschied bei DRS-Einsatz und ohne DRS-Einsatz anschauen. Dann wird man sehen: So groß ist der Unterschied von unserer Seite zu den anderen gar nicht", gibt der siebenfache Weltmeister zu Protokoll und kommt zu dem Schluss: "Ich würde das Ganze nicht überbewerten. Für uns ist es natürlich ein gewisser Vorteil, den wir uns erarbeitet haben. Den wollen wir natürlich auch nutzen."

Norbert Haug

Sportchef Norbert Haug ist das ehrenhafte Image von Mercedes wichtig Zoom

Im Qualifying erzielte Schumacher freilich mit 312 km/h den besten Topspeed, vor Romain Grosjean (Lotus) mit 310 und einigen anderen Piloten mit 309 km/h. Nico Rosberg setzt daher große Hoffnungen in das System, weil der DRS-Vorteil beim Überholen dadurch maximiert wird: "Ich freue mich ganz sicher darauf, am Sonntag ein paar Überholmanöver durchzuführen. Wir haben einen guten Tempovorteil. Ich habe einen Tempovorteil gegenüber meinen Vorderleuten. Das sollte helfen", glaubt der Siebte der Startaufstellung in Sepang.

Kein eigener Name für das System

Bei Mercedes nennt man den F-Schacht übrigens nicht F-Schacht, sondern Brawn betrachtet das System als eine Optimierung des DRS. "Erinnern wir uns doch zurück, wie die Anfänge von DRS waren", erläutert der Mercedes-Teamchef. "Als zum ersten Mal ein beweglicher Flap eingesetzt wurde, brachte das einen Vorteil von etwa fünf km/h. Jetzt stehen wir bei rund 20 km/h. Und warum? Weil wir alle Systeme der Autos dahingehend optimiert haben, dass sie auf die Bewegung des Flaps bestmöglich reagieren."

Ein Beispiel: "Der Kühler sitzt jetzt vor dem Heckflügel. Denn wenn DRS aktiv ist, ändert sich der Luftstrom durch die Karosserie und den Kühler. Es gibt enorm viele Dinge, die wir mit DRS anstellen. Daher ist es falsch, zu sagen: 'Das gefällt uns nicht, weil wir selbst nicht daran gedacht haben.' Wir optimieren alles, um das Beste aus dem Auto herauszuholen. Das Regelwerk ermuntert dazu. Sinn und Zweck von DRS ist, das Überholen zu erleichtern. Genau das versuchen wir alle zu tun. Viel Glück demjenigen, der da am meisten herausholen kann!"

Brawn erwartet im Rennen auch einen Vorteil

In Melbourne sei das System "im Qualifying ein erheblicher Vorteil" gewesen, "aber im Rennen funktionierte es wegen der Streckencharakteristik nicht ganz so gut. Das gilt für alle Autos, nicht nur für unseres. Hier werden wir sehen, wie effektiv DRS sein kann. Es wird im Rennen ein erheblicher Faktor sein." Aber: "Wenn man sich die Geschwindigkeitstabelle ansieht, erkennt man: Wir stehen beim Topspeed nicht alleine auf weiter Flur. Andere Teams erreichen diese Geschwindigkeit wohl auf andere Weise."

Dass das System - wie auch immer man es nennen mag - einen Vorteil bringt, ist unbestritten: "Natürlich ist es ein Vorteil, denn wir wären ja dumm, es zu verwenden, wenn es nichts bringen würde", gibt Brawn zu. "Und wenn es im Rennen aktiviert wird, ist es auch im Rennen ein Vorteil." Allerdings ist die Zeit, in der im Rennen mit DRS gefahren wird, prozentual verschwindend gering, wenn man es mit dem Qualifying vergleicht. Doch wenn Schumacher und Rosberg den DRS-Knopf drücken, gewinnen sie noch einmal um geschätzte fünf km/h mehr als die Konkurrenz.

Ross Brawn

Ross Brawn wundert sich über die Drohgebärden einiger Konkurrenzteams Zoom

"Wir haben ein System, weil es uns einen Vorteil bringt, und es bringt uns einen Vorteil, wenn es aktiviert ist. Es kann den Vorteil nur im aktivierten Zustand liefern. Wann immer es im Rennen verfügbar ist, bedeutet es einen netten Vorteil", erklärt Brawn. "Wir sind die Longruns im Training aber bewusst ohne DRS gefahren, weil sich das auf die Lebensdauer der Reifen und deren Verhalten auswirkt. Es geht also darum, den richtigen Kompromiss zwischen der Leistung im Qualifying und der Leistung im Rennen zu finden."

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