Märchen, Mythen, Monte Carlo

Monaco sei "völlig bekloppt", sagt Niki Lauda, aber der einmaligen Faszination des Klassikers kann sich niemand entziehen

(Motorsport-Total.com/sid) - Hüfthohe Leitplanken, weniger als fünf Meter Straßenbreite, ein Tunnel entlang des Hafens und Kanaldeckel, die alle Formel-1-Fahrer schmerzhaft in die Sitzschalen drücken - das ist der unvergleichliche Reiz von Monte Carlo. Wenn die Piloten am Sonntag bei der 62. Auflage durch den Zwergstaat rasen, hat sich erstmals seit Jahren aber auch etwas geändert: Für die Erweiterung der Boxenanlage wurde im Hafen Land aufgeschüttet. Trotz Investitionen in Millionenhöhe wurden einige alte Bäume dem Umbau nicht geopfert, nun wachsen Äste durch die neuen Gebäude - Monaco bleibt seinem Ruf als verrücktester Grand Prix der Welt treu.

Titel-Bild zur News: Juan-Pablo Montoya

Dröhnende Motoren, Traumkulisse, High-Society - Monaco ist einzigartig

Rekordweltmeister Michael Schumacher hat die leichten Änderungen an der Strecke begrüßt: "Ich bin froh, dass hier etwas passiert ist", sagte der fünfmalige Monaco-Sieger, äußerte sich aber dennoch skeptisch gegenüber dem Spektakel in den engen Straßenschluchten: "Es macht mir zwar immer wieder Spaß, hier zu fahren, aber rein nach Aspekten der Sicherheit ist dieser Grand Prix sicher unvernünftig und nicht mehr zeitgemäß."#w1#

Auf einer Stufe mit dem WM-Finale und Olympischen Spielen

Trotzdem versprüht kein anderes Motorsportereignis nur annähernd einen ähnlichen Zauber. Monaco ist die Krone im PS-Zirkus, das Wimbledon der Formel 1. Wenn die Motoren in dem kleinen Fürstentum aufheulen, sitzen knapp eine Milliarde Menschen vor den Fernsehschirmen. Mehr TV-Zuschauer haben nur das Finale einer Fußball-WM oder der 100-m-Endlauf bei Olympischen Spielen.

"Mit einem 800-PS-Auto über einen Stadtkurs zu fahren ist so, als würde man mit einem Hubschrauber durchs Wohnzimmer fliegen", sagte einst der dreimalige Weltmeister Nelson Piquet aus Brasilien, der selbst nie in Monaco gewann. Für den ehemaligen Formel-1-Piloten Hans-Joachim Stuck ist Monte Carlo wie die Fahrt "eines Ozeandampfers in einer Badewanne".

Auf die Piloten warten mehr als 3000 Schaltvorgänge. Bereits hinter der ersten Kurve nach Start und Ziel müssen die Piloten sämtlichen Mut zusammennehmen - mit Tempo 280 fährt man rund 600 Meter bergauf. Danach geht es mit 110 km/h am berühmten Spielcasino vorbei, bis in der Loews-Kurve vor dem Foyer eines Nobel-Hotels der langsamste Streckenabschnitt der gesamten Formel-1-Saison kommt (erster Gang, Tempo 40). Kurz darauf rasen die Autos mit 300 Stundenkilometern und ohrenbetäubendem Lärm durch den Hafentunnel. Wenn man danach vom Tageslicht geblendet wird, bleibt nicht der Bruchteil einer Sekunde, um einen flüchtigen Blick auf den Hafen mit seinen Luxusjachten zu werfen. Die folgende Passage wurde umgebaut: Der Streckenabschnitt zwischen Schwimmbad und Rascasse-Kurve rückte ans Meer. Dadurch entstand Platz für eine neue Boxengasse.

152 km/h Schnitt - Niki Lauda: "Völlig bekloppt!"

Der Österreicher Niki Lauda, der auf Ferrari zweimal in Monaco gewann, bezeichnete den Grand Prix als "völlig bekloppt". Bei der ersten Auflage am 4. April 1929 lag der Schnitt des Siegers bei rund 80 km/h, vor einem Jahr triumphierte BMW-Williams-Pilot Juan Pablo Montoya aus Kolumbien mit 152,772 km/h.

Der folgenschwerste Unfall ereignete sich 1967: Damals überschlug sich Ferrari-Fahrer Lorenzo Bandini und erlag drei Tage später seinen Verbrennungen. Unvergessen ist auch der spektakuläre Abflug von Alberto Ascari 1955 ins Hafenbecken. Der Italiener tauchte sofort wieder auf, kam mit einem Nasenbeinbruch und Prellungen davon. 1994 verlor der Österreicher Karl Wendlinger seinen Sauber außer Kontrolle, er krachte in der Hafenschikane gegen die Begrenzung und wachte erst Wochen nach diesem Zwischenfall wieder aus dem Koma auf.

Ein ganz besonderes Verhältnis zu Monte Carlo hatte Ex-Weltmeister James Hunt, der 1993 im Alter von 45 Jahren einem Herzinfarkt erlag: "Das Rennen habe ich gehasst, aber die Partys waren geil." Wenn der Grand-Prix-Zirkus an die Cote d'Azur kommt, tummeln sich Reiche, Schöne und Wichtige im Fahrerlager - sehen und gesehen werden. Schumacher hat dem Wohnort Monaco im Gegensatz zu zahlreichen Kollegen hingegen schon vor Jahren den Rücken gekehrt. Der 35-Jährige genießt mit seiner Familie lieber die Ruhe in seiner Wahlheimat in der Schweiz.