Kolles: "Alle sollten an einem Strang ziehen"
Colin Kolles exklusiv: Wie er die Kundenautosituation sieht, warum er voll hinter Adrian Sutil steht und was man von Force India 2008 noch erwarten darf
(Motorsport-Total.com) - Erst zu Gast beim Teamchef von Toro Rosso, Franz Tost, dann bei jenem von Force India, Colin Kolles - und die Gegensätze könnten größer kaum sein: Da der herzliche Österreicher, der versucht, die Journalisten mit seinem Lächeln auf seine Seite zu ziehen, und dort der knorrige Deutsche, der zwar das Reden nicht erfunden hat, aber zumindest immer genau das sagt, was er denkt.

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Colin Kolles ist mit seinen beiden Fahrern in dieser Saison sehr zufrieden
Und das, was er denkt, unterscheidet sich zumindest in der Kundenautofrage stark von dem, was man aus dem Toro-Rosso- und Red-Bull-Lager zu hören bekommt - für Kolles ist die Angelegenheit nämlich noch keineswegs ausgestanden. Außerdem unterhielten wir uns mit der rechten Hand von Vijay Mallya über das geplante Concorde-Agreement, die Vertragssituation der beiden Fahrer Adrian Sutil und Giancarlo Fisichella und vieles mehr.#w1#
Kundenautostreit geht offenbar weiter
Frage: "Herr Kolles, man liest, dass der Kundenautostreit mit Toro Rosso vom Tisch ist. Ist das so richtig?"
Colin Kolles: "Wenn das vom Tisch ist, dann wird es wahrscheinlich eine Pressemitteilung oder eine Nachricht geben."
Frage: "Das heißt, das wird dann zu gegebener Zeit auch offiziell kommuniziert?"
Kolles: "Richtig - wenn es die Zeit zulässt."
Frage: "Wird die Sache weiterhin vor Gericht ausgetragen oder nicht?"
Kolles: "Es hat sich nichts verändert an der Situation. Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind, das zu klären, weil gewisse Sachen mit mehr Einsicht betrachtet werden und weil wir im Grunde genommen vor Gericht vielleicht nicht Recht bekommen werden, weil es vielleicht früher gelöst sein wird. Aber es ist in unserem Interesse gelöst worden."
Frage: "Gibt es eine Kompensationszahlung von Red Bull als Ausgleich für entgangene Preisgelder und dergleichen?"
Kolles: "Das ist ihre Interpretation."
Frage: "Hat Bernie Ecclestone Druck gemacht, dass in dieser Frage eine Lösung gefunden wird?"
Kolles: "Diese Meldung ist eine Falschmeldung gewesen. Bernie Ecclestone war und ist immer informiert über den Stand der Dinge, nicht mehr und nicht weniger."
Frage: "Es gibt einen Brief von Max Mosley, der es den Teams selbst in die Hand legen möchte, ein neues Reglement zu erarbeiten. Wie stehen Sie dazu?"
Kolles: "Ich denke, dass generell die Teams das Reglement designen sollten. Natürlich muss man dann auch eine Einigung erzielen."
Frage: "Glauben Sie, dass es eine Einigung geben wird? Oder wird die FIA am Ende wieder ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen, weil die Teams auf keinen gemeinsamen Nenner kommen?"
Kolles: "Das ist wohl die Sache, auf die man spekuliert, aber vielleicht gibt es ja mal eine Überraschung und die Teams können sich einigen."
Einigkeit unter den Teams greifbarer denn je
Frage: "Manche Teamchefs sagen, dass es erstmals seit Jahren das Gefühl gibt, dass die Teams halbwegs an einem Strang ziehen. Haben Sie dieses Gefühl auch?"
Kolles: "Ja, das kann sein. Es gibt sicherlich immer noch gewisse Strömungen, die entgegen arbeiten, aber im Großen und Ganzen denke ich, dass jedem bewusst ist, dass wir ein Concorde-Agreement brauchen. Deswegen sollten alle an einem Strang ziehen."
Frage: "Es gibt ja so etwas wie ein Concorde-Agreement..."
Kolles: "Es gibt ein Concorde-Agreement, das ausgelaufen ist, aber es gibt ein MoU (Verständnismemorandum von Mai 2006; Anm. d. Red.), das rechtlich bindend ist. Das ist im Grunde genommen eine Verlängerung des Concorde-Agreements. Es gibt kein Concorde-Agreement, aber es gibt ein MoU und wiederum Dokumente, die bestätigen, dass ein neues Concorde-Agreement an gewisse Konditionen anschließen muss."
Frage: "Wie stark ist Ihr Wunsch, dass die FIA das Concorde-Agreement auch unterschreiben soll?"
Kolles: "Die FIA kann Unterschreibender des Concorde-Agreements sein, solange klargestellt ist, was die Aufgaben der FIA sind."
Frage: "Halten Sie es für unbedingt notwendig, dass die FIA unterschreibt?"
Kolles: "Die FIA ist sicherlich in der Form, wie die meisten Teams das haben wollen, schon wichtig für den Sport, aber die FIA soll die Aufgaben erfüllen, für die sie bestimmt ist."
Frage: "Die Overtaking-Working-Group hat Vorschläge ausgearbeitet, wie in der Formel 1 2009 wieder mehr überholt werden soll. Diese Arbeitsgruppe setzt sich aus Mitgliedern von drei Teams zusammen: Rory Byrne von Ferrari, Paddy Lowe von McLaren und Pat Symonds von Renault. Haben diese drei Teams dadurch einen Vorteil?"
Kolles: "Das glaube ich nicht. Wir haben ja zugestimmt, dass diese drei Teams das machen sollen. Da sehe ich überhaupt keinen Nachteil. Darüber beschweren wir uns nicht."
KERS wird von Ferrari übernommen
Frage: "Stichwort KERS: Darf man davon ausgehen, dass Sie die Ferrari-Lösung übernehmen werden?"
Kolles: "Ja."

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Force-India-Teamchef Colin Kolles beim Interview mit 'Motorsport-Total.com' Zoom
Frage: "Wissen Sie, ob Ferrari eine eigene Lösung entwickelt oder eine von Magneti-Marelli bezieht?"
Kolles: "Es ist eine Kombination."
Frage: "Können Sie hier und jetzt bestätigen, dass KERS 2009 von Force India eingesetzt wird?"
Kolles: "Das kommt drauf an, ob es funktioniert oder nicht."
Frage: "Wann werden Sie das System für Tests bekommen?"
Kolles: "Sobald es Ferrari auch hat."
Frage: "Beide Fahrer haben mir erzählt, dass sie auch für 2009 bei Force India unter Vertrag stehen. Heißt das, dass sie auch definitiv hier fahren werden?"
Kolles: "Sie haben einen Vertrag für 2009."
Frage: "Sind Sie verkäuflich?"
Kolles: "Alles ist verkäuflich, aber wie gesagt: Die Fahrer haben Verträge und es steht im Moment gar nicht zur Debatte. Was soll ich darauf antworten? Wir können nicht mehr machen als sie unter Vertrag zu nehmen. Wenn ein Fahrer meint, er muss woanders hingehen, weil er ein besseres Angebot hat, dann muss man sich das mal anhören. Dann wird eine Entscheidung getroffen. In diesem Stadium sind wir nicht."
Sutil wieder auf gewohntem Level
Frage: "Es gibt also derzeit keine Anfragen für einen Ihrer Fahrer?"
Kolles: "Das hat nichts mit Anfragen zu tun. Es gibt keine Verhandlungen."
Frage: "Ist Adrian Sutil nach dem schwierigen Saisonbeginn jetzt wieder auf dem Level, auf dem Sie ihn erwarten?"
Kolles: "Ich denke, das ist offensichtlich. In den letzten Rennen ist es genauso eingetreten, wie ich es vorausgesagt habe. Ich denke, dass das auch so bleiben wird, denn die zwei Fahrer sind vom Niveau her sehr schnell. Dass unser Auto nicht auf dem Niveau von anderen Autos ist, ist eine andere Geschichte, aber die Fahrer zeigen, dass sie am Limit sind, wenn sie innerhalb von einer Zehntel fahren - und das passiert seit den letzten vier Rennen."
"Natürlich kann es mal passieren, dass einer ein Problem hat, aber grundsätzlich waren und sind sie innerhalb von einem Zehntel. Das war auch von Anfang an so, nur: Es sind gewisse Sachen passiert im Qualifying, die dazu geführt haben, dass ein Adrian Sutil fünf oder sechs Zehntel oder drei Zehntel dahinter war. Aber das sehen die Leute nicht. Die lesen nur das Ergebnis und sagen: 'Der Sutil ist schlecht!' Die schauen sich die Sache nicht genau an."
Frage: "Inwiefern profitiert Adrian von der Erfahrung von Giancarlo Fisichella?"
Kolles: "Ich glaube, dass er sehr davon profitiert. Ich denke, Giancarlo Fisichella ist vom Standing ein sehr guter Fahrer. Er ist zweimal Weltmeister mit Renault geworden, mit Alonso im Team, hat Alonso auch Paroli geboten."
"Alonso ist einer der stärksten Fahrer im Feld. Giancarlo ist gegen alle Fahrer, gegen die er gefahren ist, immer als Sieger im teaminternen Duell rausgekommen - mit Ausnahme von Alonso. Deswegen ist er für uns sehr wichtig, auch für Adrian als Benchmark für sein Selbstvertrauen und für seine Zukunft. Adrian lernt da was dazu."
Neues Getriebe ab Budapest geplant
Frage: "Sie hatten vor Silverstone einen großen Schritt mit einem neuen Aerodynamikpaket. Wird es so einen Schritt in diesem Jahr noch einmal geben?"
Kolles: "Wir haben in Hockenheim zusätzliche Aeroteile. Dann werden wir sehen, wo wir stehen."
Frage: "Sie planen auch eine Schnellschaltung, ein Getriebe ohne Zugkraftunterbrechung. Wann wird das kommen?"
Kolles: "Die wurde getestet am 16. Juli in Silverstone. Geplant ist es für Budapest. Dort werden wir es am Freitag fahren und dann sehen, wie es funktioniert."
Frage: "Auf dem Prüfstand wird das Getriebe bereits getestet. Kann man abschätzen, wie viel Zeit es auf die Runde gerechnet bringt?"
Kolles: "Es ist allgemein bekannt, was ein Schnellschaltgetriebe bringt. Das sind ungefähr drei Zehntel."
Frage: "Dann haben Sie jetzt auch noch diesen J-Dämpfer oder wie auch immer man ihn bezeichnen möchte. Das System war in Silverstone erstmals im Auto. Wie lange werden Sie brauchen, um das Potenzial voll auszuschöpfen?"
Kolles: "Wir haben jetzt eine neue Version, die wir in Hockenheim getestet haben. Damit sind wir noch in der Lernphase."
Frage: "Mit Schnellschaltgetriebe und J-Dämpfer haben Sie jetzt ein modernes Formel-1-Auto mit allen neuen Systemen..."
Kolles: "Dann sollten wir auch performen!"
Frage: "Wie sieht die Ressourcenaufteilung zwischen 2008 und 2009 bei Ihnen aus? Force India kann da ja klarerweise nicht so aus dem Vollen schöpfen wie die großen Teams..."
Kolles: "Ich denke, dass wir uns nicht verstecken müssen und dass wir vom technischen Budget sehr hoch angesiedelt sind."
Frage: "Wird es ein komplett neues Auto geben?"
Kolles: "Ja. Wir haben einen Plan. Ich denke, dass unser Hauptaugenmerk in relativ kurzer Zeit auf 2009 wechseln wird. Silverstone und das, was in Hockenheim kommt, waren die letzten großen Schritte. Wir werden sehen, wo wir damit stehen."

