Kaltenborn: Kundenauto-Modell als Büchse der Pandora

Sauber-Teamchef Monisha Kaltenborn erklärt, warum Kundenautos ihr Team in die komplette Abhängigkeit treiben würden und die Lösung für die Krise so einfach wäre

(Motorsport-Total.com) - Beim vergangenen Meeting der Strategiegruppe blieben die großen Lösungen aus. Im Hintergrund versuchte Formel-1-Boss Bernie Ecclestone aber einmal mehr, den Teams ein Kundenauto-Modell schmackhaft zu machen. Was den Standpunkt des Zampanos von dem der Top-Teams unterscheidet: Ecclestone will, dass die Kundenteams ihre Boliden von einem Hersteller beziehen, den er aussucht. Somit würde er wieder an Macht gewinnen.

Titel-Bild zur News: Monisha Kaltenborn

Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn macht sich Sorgen um die Formel 1 Zoom

Geht es nach der Vorstellung der Top-Teams, dann kaufen die kleinen Teams bei ihnen einen Boliden - dadurch würden sie Geld verdienen und die Kunden in die Abhängigkeit treiben. Mit dem Vorteil, dass diese auch bei strategischen Entscheidungen an ihrer Seite stimmen würden, wie dies teilweise schon durch die Motorendeals der Fall ist.

Kundenautos finanziell keine Erleichterung

Kein Wunder, dass Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn kein Fan von Kundenautos ist. "All diese Ideen gehen für mich in die falsche Richtung", stellt die Österreicherin mit indischen Wurzeln klar. Sie fürchtet, dass die Formel 1 mit einem Kundenauto-Modell die Büchse der Pandora öffnen würde.

"Es hat ja einen Grund, warum dieses Modell nie eingeführt wurde", sagt sie. "Ganz einfach - weil zu viele Probleme dabei entstehen würden." Die 44-Jährige hält es für einen Trugschluss, dass die kleinen Teams mit Kundenautos günstiger davon kommen würden als wenn sie ihr eigenes Auto bauen müssen.

"Niemand darf erwarten, dass er um fünf Millionen ein Auto kaufen kann", warnt Kaltenborn. "Das wird eine sehr teure Sache, also muss man dafür das Geld finden." Doch durch die Tatsache, dass man in der B-Kategorie festsitzt, werde es schwieriger, Geldgeber zu finden. "Wie überzeugt man sie davon?", sieht sie Probleme beim Lukrieren von Sponsorengeldern auf die B-Teams zukommen. "Ich wüsste nicht, wie ich es mache."

Der Weg in die "komplette Abhängigkeit"

Gleichzeitig könnte sich ein Kundenauto-Modell aber auch für die verbliebenen Konstrukteure als problematisch herausstellen: "Wenn man sich sein Kundenauto aussuchen kann, dann wird man das beste nehmen wollen. Was passiert also, wenn ein großer Name dann plötzlich ganz hinten ist, weil das ganze Feld aus Kundenautos besteht? Das wäre möglich. Wir sprechen viel zu viel über diese Regeln, weil wir ohnehin wissen, dass es nicht funktioniert."

Sie wirft den großen Teams vor, dass sie das Kundenautomodell unterstützen würden, weil sie zu Geld kommen wollen - und die kleinen Teams weiter in die Abhängigkeit treiben wollen. "Was passiert, wenn der Hersteller entscheidet, dass dein Auto plötzlich nicht zehn, zwölf oder 20 Millionen kostet, sondern das doppelte, weil er so viel Geld in das Auto investiert hat?", stellt Kaltenborn eine Frage in den Raum. "Das haben wir ja schon bei den Motoren erlebt, die so viel teurer geworden sind."

"Was passiert, wenn der Hersteller entscheidet, dass dein Auto plötzlich das doppelte kostet?" Monisha Kaltenborn

Spätestens dann sieht sie die Kundenteams in der Falle: "Wenn du einmal Kunde bist, dann wirst du das nötige Know-how nicht schnell genug zurückbekommen, um wieder ein Konstrukteur zu werden. Man ist also komplett abhängig."

Gesundes Wirtschaften derzeit unmöglich

Mit dem US-amerikanischen Haas-Team und dem ART-Rennstall stehen nun zwei Teams vor der Formel-1-Tür. Haas wird schon kommende Saison einsteigen, bei ART handelt es sich bislang nur um Gerüchte. Doch während die US-Truppe den Ferrari-Motor bezieht und auch im Windkanal in Maranello entwickelt, wird ART ein Naheverhältnis zu McLaren nachgesagt.

Dementsprechend steht Kaltenborn den Neueinsteigern kritisch gegenüber: "Sie sollten mit den richtigen Erwartungen einsteigen und sich nicht irgendwo einfinden, weil es anderen Teams gerade so passt. Man sollte einsteigen, weil man ein eigenständiges Team sein will, obwohl man weiß, dass es schwierig ist."

Marcus Ericsson, Nico Hülkenberg

Sauber, Force India & Co. kämpfen mit dem Rücken zur Wand Zoom

Um die Formel 1 für unabhängige Teams interessant zu machen, müssten allerdings die Kosten gesenkt und die Einnahmenverteilung geändert werden. Derzeit sei es für ein kleines Team "praktisch unmöglich", gesund zu wirtschaften, "außer man hat noch einen anderen Wirtschaftszweig im eigenen Unternehmen. Aber sonst kann der Businessplan nicht funktionieren."

Hausgemachte Probleme

Sie hinterfragt, warum Ecclestone nicht reagiert und die Verteilung ändert. "Der Sport kann sich wirklich nicht darüber beschweren, dass er nicht genug Geld einnimmt", verweist Kaltenborn darauf, dass die Formel 1 in den vergangenen 15 Jahren weltweit laut 'Forbes' mehr Geld erwirtschaftet hat als der Weltfußballverband FIFA. "Warum können wir die Verteilung nicht einfach ändern, wie es in anderen Sportarten der Fall ist? Sie kann schon nach der Konkurrenzfähigkeit gestaffelt sein, aber der Unterschied zwischen dem ersten und dem letzten sollte nicht so groß sein."

Zudem hält sie die Strategiegruppe, von der in der Formel 1 das Reglement ausgeht, für den falschen Ansatz, weil die Top-Teams darin zu mächtig sind. "Das Problem ist, dass der Schritt fehlt, wo eine zukünftige Strategie dem gesamten Forum präsentiert wird, wo alle darüber diskutieren und abstimmen", sagt sie. "Es wird entweder etwas entschieden, und man muss es so nehmen wie es kommt, oder sie sind nicht einmal in der Lage, sich untereinander zu einigen. Was sogar noch schlimmer ist."

"Der Sport kann sich wirklich nicht darüber beschweren, dass er nicht genug Geld einnimmt." Monisha Kaltenborn

Ihr wäre sogar eine Rückkehr zum alten System, wo Reglementvorschläge in Arbeitsgruppen ausgearbeitet wurden, lieber als der Status quo: "Es handelt sich um eine Expertengruppe, in der Ideen besprochen werden und man schauen kann, ob sie sinnvoll sind. Aber die Entscheidung darüber muss woanders fallen. Sonst hast du fünf starke Player, und dann landest du dort, wo wir jetzt sind."

Geldvernichtung als Bumerang für Hersteller?

An Kostensenkungen sei derzeit gar nicht zu denken, weil die Big Player daran gar kein Interesse haben, schließlich ist das bessere Budget ihr großer Vorteil gegenüber den kleinen Teams. Sie fürchtet, dass dies auch für die Hersteller, aber vor allem für die Formel 1 schlecht ausgehen könnte und erinnert sich an die Zeit, als Sauber als BMW-Herstellerteam fungierte.

Abschied vom BMW Sauber F1 Team

BMW zog Ende 2009 in der Formel 1 den Stecker, weil der große Erfolg ausblieb Zoom

"Irgendwann hat man sich die Frage gestellt, ob man so viel Geld verschwenden will, wenn man nicht gewinnt", verweist sie auf das Jahr 2009. "Und als Hersteller oder als großes Unternehmen zählt nur der Sieg. Müssen wir es erneut drauf ankommen lassen, dass einige aussteigen? Zumal ohnehin nicht mehr viele da sind. "Es ist ein Kreislauf, aber wir lernen nicht daraus. Wir sollten rechtzeitig reagieren."