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  • 03.06.2015 17:35

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Frag Gary Anderson: Formel 1 muss von CART-Serie lernen

Der ehemalige Formel-1-Designer Gary Anderson beantwortet Fanfragen und erklärt unter anderem, wie die Formel 1 ihre Probleme lösen könnte

(Motorsport-Total.com) - Gary Anderson verrät, wie er die Formel-1-Fans mehr einbinden würde. Immerhin sind sie der Grund, warum Sponsoren in den Sport einsteigen. Außerdem spricht er über die GPDA-Fan-Umfrage, und erklärt, warum Jacques Villeneuve "Müll" redet, wenn er sagt, dass diese für die Königsklasse gefährlich sei.

Titel-Bild zur News: Gary Anderson

Technik-Experte Gary Anderson stellt sich den Fragen der Formel-1-Fans Zoom

Sarah McCallum (E-Mail): "Ich habe gehört, dass du in den 1980er-Jahren in der IndyCar-Serie in Amerika gearbeitet hast, aber konnte nicht viel Information darüber finden. Was kannst du uns über diese Zeit erzählen, und wie vergleichst du es mit deiner Arbeit in der Formel 1?"
Gary Anderson: "Ja, ich habe als Ingenieur in der CART-Serie, wie sie in den 1980er-Jahren geheißen hat, gearbeitet. Es war großartiges Racing. Es gab ein paar verschiedene Chassis, ein paar sehr gute Piloten - Amerikaner, aber auch von anderen Teilen der Welt - und eine tolle Auswahl an Rennstrecken vom kanadischen Circuit Sanair, der ein 0,875 Meilen langes Tri-Oval war, über Michigan - ein beängstigendes Oval mit Durchschnittgeschwindigkeiten von 245 Meilen pro Stunde - bis hin zu Elkhart Lake - noch immer eine der besten Naturrennstrecken der Welt."

"2001 bin ich mit Reynard dorthin zurück, als meine Beziehung zum Jaguar-Formel-1-Projekt kippte. Das war ziemlich anders damals, weil es nur Reynard gegen Lola gab. Es war immer noch unterhaltsam und hat großartiges Racing hervorgebracht, aber der amerikanische Formelsport war im Kriegszustand. Die Formel 1 sollte die CART-Lektion lernen. Die Teams haben die Formel bestimmt, und mit der Zeit konnten sie sich nicht einmal mehr darauf einigen, welchen Wochentag man gerade hatte."

Blüht der Formel 1 ein ähnliches Schicksal wie der CART-Serie?

"Es ging Kopf-an-Kopf mit der Indy Racing League, wie diese damals genannt wurde. Die IRL veranstaltete das Indianapolis 500 und wenn CART nichts geändert hätte, hätte man nicht beim einzigen Event, das für einige Teams zählte, fahren können. Was nun von der IndyCar übrig blieb, sind die Überreste von dem, was einmal eine großartige Serie war. Nun sind es Einheitschassis mit ein paar Anbauteilen, aber nichts im Vergleich zu den Glanzzeiten."

"Vielleicht muss die Formel 1 auch dadurch, mit Kundenautos und verschiedenen Motorformeln in der Startaufstellung. Würden sie das tun, dann würde vielleicht in zehn Jahren etwas aus der Asche auferstehen."

Wyman Pattee (E-Mail): "Gary, früher wurde uns immer gesagt, dass die Reduktion von ungefederter Masse wichtig ist. Zuletzt wurde über breitere Reifen mit weniger Profil und breiteren Felgen-Durchmesser diskutiert. Ich denke mir, dass diese dann schwerer sein werden. Ist ungefedertes Gewicht kein Thema mehr, oder wird dieser Vorschlag, wenn er akzeptiert wird, unerwartete negative Konsequenzen nach sich ziehen?"
Anderson: "Ungefederte Masse wird immer wichtig sein, darum versucht jeder, das Gewicht der Halterungen, Achsen, Radmuttern, Reifen und vielem mehr auf einem Minimum zu halten. Doch, wenn diese Regeln sich ändern und das ungefederte Gewicht steigt an, oder geht sogar zurück, dann wird es das Gleiche für alle sein."

Rückblick: Reifenkrieg Michelin vs. Bridgestone

"Vor ein paar Jahren haben wir ein paar fortlaufende Tests mit ungefederter Masse gemacht, wo wir jeden Eckpunkt bis zu zwei Kilogramm verändert haben und es mit gefederter Masse und der Dämpferregelung ausgeglichen. Es war tatsächlich sehr schwierig, einen Zeitunterschied auf einen Versuch mit zehn Runden festzustellen."

"Als wir unseren letzten Formel-1-Reifenkrieg zwischen Michelin und Bridgestone hatten, waren die Michelin-Reifen erheblich schwerer als jene von Bridgestone. Michelin wollte das Extra-Gewicht, um sich eine interne Struktur zu erlauben, die für eine bessere Aufstandsfläche und mehr Temperatur-Stabilität im Reifen sorgte."

"Leute, die direkt in der Formel 1 involviert sind, glauben sie sind Götter." Gary Anderson

Elias Skaff (Twitter): "Warum sind Leute wie du nicht bei den Strategiegruppen-Treffen involviert? Du hast tolle Ideen."
Anderson: "Elias, die Leute, die direkt in der Formel 1 involviert sind und Veränderungen bestimmen können, glauben sie sind Götter. Sie wissen alles und es wäre ein Gesichtsverlust für sie, wenn sie Leute reinholen würden, um mit der Restrukturierung zu helfen, die die Formel 1 benötigen würde."

Keine Lust auf heiße Luft

"Ich weiß nicht, ob du mit der Redewendung 'Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht' vertraut bist? Grundsätzlich bedeutet das, dass Leute zu nahe an dem dran sind, woran sie arbeiten, daher sehen sie nicht, was getan werden müsste. Das ist meiner Ansicht nach das Problem für viele in der Formel 1."

"Wenn ich an meine Zeit in der Formel 1 zurückdenke, habe ich auch daran gelitten. Als ich ein bisschen zurückgetreten bin und mit der Medienarbeit begonnen habe, konnte ich so viel mehr sehen. Ich stimme dir zu: Es sind viele Leute da draußen, die in den Sport involviert sind und viele interessante Ideen beisteuern könnten. Aber niemand will etwas von ihnen wissen. Für mich wäre es sicherlich interessant involviert zu werden, aber ich würde Aktionen sehen wollen und keine heiße Luft, was wir im Moment bekommen."

George Grazebrook (E-Mail): "Bezüglich der Reduktion des Abtriebs, was derzeit diskutiert wird: Warum ersetzt man nicht die "Planke" mit einer drei Zentimeter weiten Planke (mit Metall-Einsätzen für die Funken)? Dann erlässt man, dass sich der Unterboden zehn Zentimeter nach oben biegt in den Bereich von der derzeitigen Außenkante des Fahrgestells an der Taille des Autos?"

Anderson: "Frontflügel sind zu komplex"

"Die aktuelle Breite würde angepasst werden, um die Breite an manchen Stellen des Autos zu decken, aber kein Teil an dem Auto, abgesehen von den Reifen und Bremsen wäre dann unter zehn Zentimeter Höhe (Abstand vom Boden; Anm. d. Red.). Es bräuchte eine klare Regelung, aber es würde die meisten der derzeitigen Abtriebs-erzeugenden Bereiche reduzieren. Beachte, dass all die Karosserie, auch Vorder- und Heckflügel-Unterbau, an die Regelung angepasst werden müsste. Wie gut würde das funktionieren?"
Anderson: "George, dein Vorschlag ist interessant, aber mit all den Aerodynamik-Konzepten bräuchte es ein bisschen Recherche, um darauf wirklich im Details antworten zu können. Was ich sagen kann ist, dass Abtrieb, der vom Unterboden produziert wird, relativ unbeeinflusst von Turbulenzen ist. Wenn ich also mit einem Aerodynamik-Konzept ankommen würde, um zu untersuchen, ob dieses besseres Racing liefert, dann würde ich den Abtrieb des Unterbodens, den die Autos produzieren, verbessern."

"Die Flügel, speziell der Frontflügel, sind kritische Stellen. Der heutige Frontflügel ist zu komplex und die Oberflächen arbeiten so effizient in freier Fahrt, dass jegliche Form von Störung, ein vorfahrendes Auto oder Wind, sie dramatisch beeinflusst. Das hinterherfahrende Auto verliert viel an Abtrieb."

Toro-Rosso-Frontflügel

Toro-Rosso-Frontflügel: Anderson kritisiert die Empfindlichkeit der Aerodynamik Zoom

"Breitere Reifen mit einem größeren Felgen-Durchmesser, um Grip zurückzubekommen, würden das Feld zusammenschieben und das Racing auf der Strecke verändern."

"Heute werden die Haare der Boxencrews nicht mehr nass"

Daniel Burton (E-Mail): "Gary, du hast letzte Woche über die Verwirrung, die zur Mercedes-Strategie-Panne geführt hat, geschrieben. Glaubst du, dass bei so großen Teams die Entscheidungsfindung beeinträchtigt ist? Ich spreche nicht nur von der Strategie, auch Auto-Design, für was man Geld ausgibt - alles."
Anderson: "Daniel, ja, ich stimme zu, dass die großen Formel-1-Teams ein bisschen wie Öltanker geworden sind. In den alten Zeiten, hast du entschieden ob es regnet, indem du aus deinem Platz in der Boxengasse rausgekommen bist, oder zumindest deine Hand ausgestreckt hast, um zu sehen, ob sie nass wird."

"Heute kontaktierst du das Hauptquartier in Woking, Milton Keynes, Maranello oder Brackley und fragst sie, was sie denken. Es gibt daran etwas Gutes: Zumindest machen sich die Herrn auf der Boxenmauer ihre Haare nicht mehr nass..."


Fotostrecke: Top 10: Die größten Strategie-Flops

"Was das Design und die Entwicklungsrichtung angeht glaube ich, dass es einen Kapitän braucht, der das Schiff steuert. Ich glaube, dass Red Bull das bei ihren vier Titeln gezeigt hat. Adrian Newey hat das Gefährt gelenkt mit einer fähigen Crew, aber die Richtung war einfach - es war die Richtung, die Adrian gehen wollte, in die auch die Firma ging. Jetzt ist er Teilzeit angestellt, diese täglichen Entscheidungen sind nicht so einfach zu treffen und ich glaube, die Leistung von Red Bull leidet darunter."

Anderson: "Habe Medien gehasst!"

Gary Wallace (E-Mail): "Während ich alte Magazine durchgeblättert habe, ist mir aufgefallen, dass du oft in Technik-Geschichten zitiert wurdest, auch als du noch als Technischer Direktor gearbeitet hast. Hast du dir gedacht, dass es wichtig sei, mit den Fans zu sprechen und ist das etwas, wovon der Sport heutzutage lernen könnte?"
Anderson: "Ich habe immer schon daran geglaubt, dass Fans sehr wichtig sind, und das tue ich immer noch. Ich genieße es, ihnen ein besseres Verständnis darüber zu geben, um was es in der Formel 1 geht. Jeder in der Königsklasse tut so, als wären dies alles Nacht-und-Nebelaktionen. Als ich Technischer Direktor war, habe ich wahrscheinlich das Gleiche gemacht. Es war damals ein bisschen anders, weil du dein eigenes Paket schützen musstest, aber wenn jemand ein Feature gemacht und Fragen gestellt hat, dann habe ich mein Bestes gegeben, um klare Antworten zu geben."

"Jetzt, da ich nicht mehr direkt involviert bin, ist es viel einfacher, weil du als Außenstehender ein viel klareres Bild davon bekommst, was bei den Teams, deren Paketen und derer Entwicklungsrichtung passiert. Ich wollte nie etwas mit Medien zu tun haben und als Technischer Direktor habe ich sie gehasst! Aber wenn du die Nachrichten verfolgst, dann wird die Formel 1 ein bisschen weniger verschleiert. Ausgenommen du bist total involviert, kannst du es nie ganz verstehen. Aber hoffentlich kann ich den Fans einen Überblick verschaffen."

Phil Benton (E-Mail): "Jacques Villeneuve sagte vor Kurzem, dass es gefährlich sei, die Fans zu fragen, was sie wollen, weil die moderne Formel 1 genau das ist. Ich denke, er hat nur davor Angst, was die Fans zu sagen haben - aber was denkst du?"
Anderson: "Phil, ich denke, er sagt absoluten Müll. In all den Umfragen, die gemacht wurden, hat niemand den Fans zugehört. Würden sie das machen, wäre die Formel 1 nicht in dem Schlamassel, in dem sie jetzt ist. Schau zurück auf die Änderungen, die über die Jahre gemacht wurden. Die Erkenntnisse der Überhol-Arbeitsgruppe für die Regeln 2009 hätten das Rennfahren revolutionieren sollen. Aber sie taten es nicht. Max Mosleys CDG-Heckflügel, von dem viele produziert wurden, hat nicht einmal das Tageslicht erblickt. Rillenreifen, das Großartigste seit geschnittenem Brot. Wo sind sie jetzt?"

Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuve sagte, die GPDA-Fan-Umfrage sei "gefährlich" für die Formel 1 Zoom

Dinge kommen und gehen...

"Das Fallenlassen der V8-Motoren und die Einführung der neuen 1,6-Liter-Turbo-betriebenen V6-Hybridmotoren für 2014? Sie sind zu teuer, machen nicht genügend Lärm und Bernie Ecclestone möchte sie ändern. Veränderung kostet Geld. Das Nachtanken wurde gestrichen, aufgrund der Kosten und der Sicherheit, und nun wollen sie es zurück. All dieser Funk-Schwachsinn im vergangenen Jahr, wo der Fahrer das Auto alleine und ohne Hilfe steuern muss: Das ist so einfach, aber schau dir Lewis Hamilton in Monaco an. Hamilton fragt, wie sein Tempo in Kurve 1 ist und der Ingenieur darf es ihm nicht sagen. Hamilton: 'Wie ist das Wetter?'. Ingenieur: 'Gut'. Glauben sie wirklich, dass sich die Fans das nicht ansehen und sich fragen, ob sie für komplette Idioten gehalten werden?"

"Der Fahrer fährt das Auto nicht alleine und ohne Hilfe. Man könnte 20 Sachen aufzählen, das er anstiftet, aber etwas anderes hilft ihm. Ich könnte für immer so weitermachen, mit Dingen, die gekommen und wieder gegangen sind, aber jemand außerhalb der Box muss nachdenken und mit etwas Neuem daherkommen."

"Die tausenden Fans, die bei einer Umfrage mitmachen, werden gute Ideen auf den Tisch bringen. Dann ist es an den Mächten diese zu filtern und mit einem Paket anzukommen, das der Formel 1 neue Energie geben wird."

Anderson fordert: Fans müssen mehr eingebunden werden

@humbleflexgab (Twitter): "Glaubst du, dass es für die Formel 1 an der Zeit ist die amerikanische Art der Fan-Bindung einzuführen?"
Anderson: "Das ist eine schwierige Frage, weil die Fan-Bindung von NASCAR bis IndyCar komplett verschieden ist. Bei NASCAR folgen die Fans den Fahrern und interessieren sich nicht wirklich für die Autos. In der IndyCar gibt es mehr Enthusiasten, die sich für die Technologie des Autos interessieren."

"Die Formel 1 braucht Fahrer und Team-Personal, die näher bei den Fans sind. Das kann man bei jedem Rennen mit mehr Autogrammstunden ganz einfach lösen. Man könnte auch offene Diskussionsrunden mit, sagen wir, vier Teams mit je einem Fahrer und einem Ingenieur veranstalten. Dann würden sich die Fans viel verbundener fühlen."

"Ihr seid eigentlich ihre Arbeitgeber. Wenn ihr nicht einschaltet, dann haben sie keinen Job." Gary Anderson

"Ich bin sicher, Sky Sports wäre nur zu glücklich darüber, dasselbe für Zuseher zu machen und es ihnen zu ermöglichen, Fragen zu schicken. Wenn man so etwas durchzubringen versucht, stehen einem die Teams im Weg und behaupten, dass sie aufgrund von Sponsorendeals oder etwas anderem nicht teilnehmen könnten. Aber sie müssen zu realisieren beginnen, dass der einzige Grund für Sponsoren sich in der Formel 1 zu engagieren die Fans sind. Ihr seid eigentlich ihre Arbeitgeber. Wenn ihr nicht einschaltet, dann haben sie keinen Job."