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Jean Todt von Ferrari enttäuscht: Vetorecht ist "wie eine Waffe"

FIA-Präsident Jean Todt erklärt, warum Ferrari überhaupt ein Vetorecht besitzt, und fordert zu einem verantwortungsvollen Umgang damit auf

(Motorsport-Total.com) - FIA-Präsident Jean Todt ist enttäuscht darüber, dass sein ehemaliges Team Ferrari ein Veto gegen eine Kostenobergrenze für die Formel-1-Kundenmotoren eingelegt hat. Privatteams wie Force India, Lotus, Manor-Marussia oder Sauber können sich die kolportierten 25 Millionen Euro für das Leasing der Hybrid-Antriebseinheiten nicht mehr leisten und stehen teilweise unmittelbar vor der Insolvenz.

Titel-Bild zur News: Jean Todt

FIA-Präsident Jean Todt kennt beide Seiten des historischen Ferrari-Vetorechts Zoom

Acht Millionen Euro pro Jahr kostete das Leasing zu V8-Seiten, gedeckelt auf Initiative der Teamvereinigung FOTA. Die gibt es inzwischen nicht mehr, und weil die Hersteller die Entwicklungskosten für die hochkomplexen V6-Hybridantriebe irgendwie wieder einspielen müssen, sind die Preise für die Kundenteams enorm gestiegen. Aber gegen die von der FIA vorgeschlagene Halbierung der Kosten auf zwölf Millionen Euro hat Ferrari Veto eingelegt, nachdem die Strategiegruppe zuvor zugestimmt hatte.

"Es war eine Enttäuschung, als Ferrari sein Vetorecht gegen eine Begrenzung des Preises für die Kundenteams genutzt hat", bedauert Todt. "Seither habe ich mit meinen Leuten gesucht, welche anderen Möglichkeiten es gibt, weil wir keinen Einfluss auf die Verteilung der Einnahmen haben. Das ist Thema des Rechteinhabers. Aber wir haben Einfluss auf die Regeln." Und auf die Einführung eines Alternativmotors, die nun ausgeschrieben werden soll.

Alternativmotor statt Kostenobergrenze

Todts Strategie: Wenn er Ferrari und Co. schon nicht dazu bewegen kann, die Antriebseinheiten zu einem für die Privatteams leistbaren Preis anzubieten, dann kann er gemeinsam mit Bernie Ecclestone zumindest ein alternatives Angebot schaffen. Im Raum steht ein 2,2-Liter-V6-Biturbo ohne komplexe Hybridkomponente, den ein unabhängiger Hersteller wie Cosworth für sechs bis acht Millionen Euro anbieten soll.

Dass die Hersteller, allen voran Ferrari und Mercedes, ihre finanziellen Interessen schützen und dafür jetzt auch das Vetorecht eingesetzt wurde, ist Todt ein Dorn im Auge. Er findet, dass Ferrari mit diesem historischen Sonderprivileg verantwortungsvoll umgehen muss: "Ein Veto ist wie eine Waffe in deiner Tasche. Du musst aufpassen, wann du sie ziehst", sagt der 69-Jährige. "Wenn du Macht hast, musst du verantwortungsvoll damit umgehen."

Cyril Abiteboul, Maurizio Arrivabene, Toto Wolff

Renault, Ferrari und Mercedes fürchten um einen Teil ihrer Einnahmen Zoom

"Das Vetorecht für Ferrari", erklärt er, "ist ein historisches Recht. Wenn sie es ausüben, müssen sie beweisen, dass etwas gegen ihre Interessen geht. Der Vorschlag eines Kundenmotors für die Teams ist nicht gegen Ferraris Interessen. Falls erforderlich, diskutiere ich gern darüber. Es ist notwendig, dass wir die Interessen der kleinen Teams schützen, damit der Sport bei Gesundheit bleibt. Am besten wäre natürlich, wenn dem alle zustimmen."

Todt erhöht den politischen Druck

Sollte es auf diplomatischem Weg keine Lösung geben, die Motorenkosten für die Privatteams entscheidend zu reduzieren, sieht es Todt "als einzige Möglichkeit, einen leistbaren Motor zu bringen, der den Privatteams ermöglicht, konkurrenzfähig zu sein. Wenn die Teams sagen, dass sie das wollen, dann werden wir das beim nächsten Meeting der Strategiegruppe vorschlagen. Und ich bin optimistisch, dass die Abstimmung positiv verlaufen würde."

Vorausgesetzt ein solcher Alternativantrieb würde durch die Strategiegruppe gehen (bei je sechs Stimmen für Todt und Ecclestone sowie sechs weiteren für die Teams reine Formsache), würden in weiterer Folge Formel-1-Kommission (wo neben FIA, Ecclestone und Teams zum Beispiel auch Streckenbetreiber und Sponsoren vertreten sind) und Motorsport-Weltrat der FIA zustimmen müssen, bevor es tatsächlich zu einer Ausschreibung für die Saison 2017 kommen kann.


Fotostrecke: F1 Backstage, Austin

Ferrari rechtfertigt sich

Ferrari möchte den Vorwurf, die wirtschaftliche Gesundheit der Formel 1 mit dem Veto aufs Spiel zu setzen, indes nicht auf sich sitzen lassen: "Wir legen ja nicht bei jedem Meeting unser Veto ein", rechtfertigt sich Teamchef Maurizio Arrivabene. Auch entkräftet er Todts Andeutung, wonach Ferrari eigensinnig abgestimmt habe: "Wenn wir von unserem Vetorecht Gebrauch machen, denken wir sorgfältig darüber nach und setzen es nur um, wenn es unbedingt nötig ist."

Das historisch verankerte Vetorecht des Ferrari-Teams, mit dem die Italiener theoretisch alle großen Entscheidungen in der Formel 1 blockieren können, geht übrigens auf das erste Concorde-Agreement der Königsklasse des Motorsports im Jahr 1981 zurück. "Enzo Ferrari fühlte sich in Italien gegenüber all den britischen Teams isoliert. Also musste er geschützt werden", erklärt Todt, wie es überhaupt zu diesem Sonderrecht kam.

"Enzo Ferrari fühlte sich in Italien gegenüber all den britischen Teams isoliert. Also musste er geschützt werden." Jean Todt

"Ferrari", so Todt, "war damals der einzige vollwertige Konstrukteur, der Chassis und Motor selbst gebaut hat. Privatteams wie Williams, Lotus und McLaren verwendeten alle denselben Motor, nämlich Ford-Cosworth. Also wurde das Vetorecht für Ferrari installiert." Und, nicht zu vergessen: Ferrari ist bis heute das einzige Team, das seit 1950 ununterbrochen an allen Formel-1-Weltmeisterschaften teilgenommen hat. Und die wertvollste Marke des Grand-Prix-Sports.

Todt: Anpassung des Vetorechts erreicht

Todt kennt beide Seiten des Vetorechts: Zwischen 1993 und 2006 hatte er als Ferrari-Teamchef die Möglichkeit, selbst davon Gebrauch zu machen, und seit 2009 ist er Präsident des Automobil-Weltverbands. Heute steht er dieser Regelung skeptisch gegenüber: "Als ich im Jahr 2013 zum ersten Mal als FIA-Präsident mit dem Vetorecht konfrontiert war, war ich sehr vorsichtig, denn wie gesagt: Es ist wie eine Waffe."

"Ich war überrascht, weil sowohl der Rechteinhaber als auch alle Teams für das Vetorecht waren. Ich war bemüht, alle Interessen zu berücksichtigen, also stimmte auch ich zu, das Vetorecht im Concorde-Agreement* von 2013 bis 2020 niederzuschreiben", so Todt, der zumindest eine kleine Anpassung erreichen konnte: "Wir haben die Formulierung präzisiert. Denn um das Vetorecht auszuüben, muss jetzt ein plausibler Grund vorliegen."

*Anmerkung: Es gibt kein Concorde-Agreement mehr, das von allen Parteien (FIA, Rechteinhaber, Teams) unterschrieben wurde. Stattdessen existieren heute nur noch bilaterale Verträge, die zwischen den einzelnen Parteien individuell ausgehandelt wurden (sogenannte Concorde-Verträge). Trotzdem wird, in der Regel aus alter Gewohnheit, noch oftmals fälschlich von einem gesamthaften Concorde-Agreement gesprochen.