• 16.10.2007 19:02

  • von Inga Stracke

Inga on Tour: Samba, Sonne und Caipirinha

'Motorsport-Total.com'-Reporterin Inga Stracke über São Paulo und die Freude auf Samba, Sonne und Caipirinha in Brasilien

(Motorsport-Total.com) - Hallo liebe Formel 1 Fans!

Titel-Bild zur News: Fans von Rubens Barrichello

Die brasilianischen Fans sind bekannt für ihr überschäumendes Temperament

Jetzt steht er also an, der letzte Grand Prix dieser spektakulären Saison! Vergangenes Jahr drehte sich hier ja alles nur um eines und einen: Denn es war damals das letzte Formel-1-Rennen von Michael Schumacher. Vergangenes Jahr wollte ich mal ausrechnen, wie viele Stunden ich in den letzten Jahren damit verbracht hatte, auf ihn, respektive seine Ausführungen über sich und seinen Dienstwagen zu warten.

Jetzt könnte ich stattdessen mal ausrechnen, wie viel Zeit ich sozusagen dieses Jahr gewonnen habe, weil diese Warterei wegfiel, oder aber wie viele andere Piloten ich dieses Jahr interviewen konnte, weil ich mehr Zeit hatte.#w1#

Wie auch immer. Samba und Sonne - Brasilien, das ist das Land der guten Laune, aber São Paulo ist nicht jedermanns Sache, und im Laufe der Jahre höre ich an der Strecke von Teamleuten und Kollegen nicht immer die besten Geschichten! Da war zum Beispiel die Spinne, die aus der Klimaanlage kroch und sich bei einem Mechaniker im Hals festbiss (er war am nächsten Morgen bereits wieder in der Box, aber mit einem dicken Verband am Hals). Da wurden Computer aus Zimmern in 5-Sterne-Hotels vom Schreibtisch geklaut.

Die überfüllte Stadt

Armenviertel in São Paulo

Die Armenviertel in São Paulo sind nicht zu übersehen Zoom

Dazu gibt es jedes Jahr jede Menge hübsche Samba tanzende Brasilianerinnen (ein guter Bekannter von mir ist inzwischen nicht nur verheiratet, sondern auch stolzer Vater, und alles begann in São Paulo, und damals "arbeitete" sie noch), und natürlich das Nationalgetränk - Caipirinha: Zucker, Limonensaft, Eis und jede Menge Pitu bzw. Cachaça, brasilianischer Zuckerrohrschnaps - Salut!

Wer tatsächlich in São Paulo Sightseeing betreiben will, kann auf einen Besuch im MASP vorbeischauen, dem Kunstmuseum von São Paulo auf der Avenida Paulista. Hier kann man die Kunstwerke von Bosch, Rembrandt, Poussin, Van Gogh, Renoir und Degas bewundern. Der Salon "São Paulo" ist eine antike Bahnstation, die in eines der weltweit akustisch vollkommensten Theater umgewandelt wurde. Der Park von Ibiraquera gilt als "Lunge von São Paulo" und ist das "Joggingzentrum" der Stadt.

Kulinarisch fehlt es einem in São Paulo an nichts, ich habe dort schon hervorragendes Sushi gegessen, die berühmten "Churrascerias" sind legendär. Allerdings hab ich in São Paulo auch schon eine der besten Pizze überhaupt verspeist. Im Stadtteil Bexiga beschleicht einen das Gefühl, in Italien zu sein, aus den zahlreichen Restaurants duftet es lecker. Ein großer Freizeitpark bietet zudem jede Menge Spaß.

Fast 18 Millionen Menschen leben in São Paulo auf rund 8.000 Quadratkilometern, neben Tokio und Mexiko Stadt macht das São Paulo zu einer der größten Städte der Welt. Verkehrschaos und kilometerlange Staus sind an der Tagesordnung, 10.000 Busse und vier Millionen Pkw, darunter etwa 33.000 angemeldete Taxis füllen die Straßen. Durchschnittlich 2,5 Stunden täglich verbringt der Paulista auf der Straße! Wer Geld hat, kann dem täglichen Stau entkommen, mehr als 400 Hubschraubertaxis gibt es inzwischen in São Paulo für durchschnittlich 1.000 Real (zirka 400 Euro) pro "Fahrt". Damit ist São Paulo nach New York jetzt die Stadt mit den meisten Hubschraubern. Die Kunden sparen sich Zeit und haben eine Sicherheit, die Ihnen auf den Straßen fehlt.

Frühstück im Fahrerhotel 'Transamerica'

Hotel 'Transamericana'

Die Fahrer sind im speziellen VIP-Bereich des 'Transamericana' untergebracht Zoom

Zu schweren Unfällen ist es nach Auskunft der Helikopterfirmen bislang noch nicht gekommen, und das Geschäft floriert. Normalerweise haben die Hubschrauber auf den Hochhausdächern nur eine kurze Landezeit und müssen dann weiter, oft weil schon der nächste im Anflug ist. Eine deutsche Firma baut jetzt eine hydraulisch versenkbare Helikoptergarage, damit in Zukunft auch die Hubschrauberparkplatzfrage gelöst werden kann. Die beste Übersicht über die 20-Millionen-Metropole bietet übrigens das Dachrestaurant "Terraço Itália" auf São Paulos höchstem Gebäude an der Kreuzung der Avenidas São Luís und Ipiranga.

Eigene Hubschrauberlandeplätze hat das Transamerica. Früher ist hier fast die gesamte Piloten- und Teamchef-Riege abgestiegen, noch immer wohnen hier viele Teams und Piloten. Es ist das Hotel, das am nächsten zur Rennstrecke liegt, und bietet exzellenten Komfort. Der Swimming Pool ist immer gut besucht, im Fitnesscenter trainieren die Piloten auf dem Laufband, draußen spielen sie Golf oder Tennis. In den Tagen, bevor der Ernst losgeht, ist im Transamerica eine entspannte Atmosphäre!

Im achten Stock des VIP-Turms gibt es eine eigene Rezeption, eine Lounge und einen eigenen Frühstücksraum. Dort kann es schon mal passieren, dass Konkurrenten an Nebentischen speisen. Weil die Fans natürlich wissen, dass die Piloten hier wohnen, stehen sie vor dem Eingang Schlange. Deshalb hat das Transamerica an den Grand Prix Wochenenden immer einen besonderen Sicherheitsservice, der nicht nur das gesamte Hotel bewacht, sondern auch gezielt den Aufzug zum VIP-Trakt.

Auf dem Weg zum Kurs kommt man an einigen Favelas vorbei. In den vergangenen Jahren wurden diese kurz vor dem Grand Prix immer teilweise "aufgeräumt", doch wer die Augen nicht zumacht, sieht sie trotzdem. Eine Kollegin hat dies so bewegt, dass sie eine Stiftung für brasilianische Straßenkinder ins Leben gerufen hat. Respekt und Anerkennung!

Verrückte Rennen in São Paulo

Giancarlo Fisichella

Giancarlo Fisichella triumphierte nach 2003 nach dem Rennabbruch Zoom

Brasilien ist stolz auf seine Formel-1-Geschichte! Der erste Brasilien-Grand-Prix fand 1973 schon in Interlagos statt. Drei Brasilianer haben zusammen nicht weniger als acht Weltmeisterschaften gewonnen, Ayrton Senna triumphierte dreimal, ebenso Nelson Piquet. Emerson Fittipaldi wurde zweimal Formel-1-Champion.

Nach dem tragischen Tod Sennas 1994 ging das Formel-1-Interesse in Brasilien zurück, auf Rubens Barrichello lastete ein riesiger Druck, an dem er fast zerbrach, den er jedoch mit viel Willenskraft und Nationalstolz gemeistert hat. Mit ihm sind auch wieder mehr grün-gelbe brasilianische Flaggen auf die Tribünen in Interlagos zurückgekehrt. Mit Rubens Barrichello und Felipe Massa bestreiten dieses Jahr zwei Brasilianer ihren Heim-Grand-Prix.

Das einzige brasilianische Formel-1-Team der Geschichte existierte von 1975 bis 1979 und hieß "Copersucar", benannt nach einem brasilianischen Zuckerhersteller. Emerson Fittipaldi verließ McLaren, um sich dem in São Paulo ansässigen Team anzuschließen, schließlich wurde es von seinem Bruder Wilson geleitet. Im Nachhinein erklärte "Emmo": "Ich habe die schlimmsten Jahre meines Lebens in diesen fürchterlichen gelben Autos verbracht. Das war der größte Fehler meines Lebens!"

Die Strecke in Interlagos (übersetzt: "zwischen den Seen") wurde bereits 1940 von Privatiers gebaut. Benannt ist sie nach Carlos Pace, der 1975 hier seinen einzigen Grand Prix gewann, bevor er zwei Jahre später bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam.

Land Unter auf der Buckelpiste

Verkabelung im Pressezentrum in Interlagos

Brasilianische Verkabelungskunst im Pressezentrum Zoom

Wir haben hier schon viele verrückte Rennen erlebt. Zum Beispiel 2003, als Giancarlo Fisichella das Rennen gewann, dies aber erst später festgestellt wurde und er seinen Siegerpokal zwei Wochen später von Kimi Räikkönen sozusagen rück-überreicht bekam. Im gleichen Jahr hatten Juan Pablo Montoya, Michael Schumacher und Jenson Button unsanfte Berührung mit einem Rennsponsor: gleich drei Styroportafeln krachten im Training auf die Strecke. Ich glaube, 2003 war auch das Jahr, in dem der Raum für die Pressekonferenz überflutet war. Auch die Verkabelung war höchst abenteuerlich und im Pressezentrum war das Dach nicht dicht - bei sintflutartigen Regenfällen dachten wir kurzzeitig, wir müssten von einem Speedbootrennen statt einem Grand Prix berichten.

Zur Strecke: Die Kurven sind überwiegend langsam bis mittelschnell. Um auf den langen Geraden schnell zu sein, muss die Fahrzeugbalance in den Kurven davor stimmen. Die Geraden verlangen niedrigen Luftwiderstand und damit geringen Abtrieb, um so die für Überholmanöver notwendigen hohen Spitzengeschwindigkeiten zu erreichen. Hingegen fordert das Infield gute Bodenhaftung und Traktion, also hohen Anpressdruck.

Interlagos ist als Buckelpiste bekannt, deshalb ist es ebenso wichtig, dass das Fahrzeug von der mechanischen Seite mittels guter Feder-, Stabilisatoren- und Dämpfereinstellung optimal abgestimmt ist. Die ausgesprochen lange Boxenstraße in Kombination mit der allgemeinen Tendenz zu frühen ersten Boxenstopps macht die Strategie für dieses Rennen besonders interessant.

Übrigens: Im Jahre 2002 war Fußballstar Pele so begeistert, dass er glatt vergaß, die Zielflagge zu schwenken.

So, ich freue mich auf Samba, Sonne (hoffentlich) und Caipirinha - und packe die Koffer zum letzten Mal in diesem Jahr.

Inga Stracke

PS: Ich werde leider nicht mit dem Helikoptertaxi reisen, sondern einen normalen kleinen Mietwagen nehmen, der mich hoffentlich auch sicher durch den Moloch São Paulo bringt.